Militär will Tahrir-Platz räumen
Besetzung durch revolutionäre Jugendbewegungen soll notfalls mit Gewalt beendet werden
Von Juliane Schumacher, Kairo *
Der regierende Militärrat in Ägypten will weiter hart gegen Demonstranten vorgehen. Die
Sympathien der politischen Elite des Landes für das Militär sind trotzdem ungebrochen.
Jetzt sind sie wieder da: Der Tahrir-Platz ist besetzt, den dritten Tag in Folge. Wenige Zelte stehen
dort, die meisten Besetzer bleiben nachts wach, schlafen auf Decken oder neben den spärlichen
Büschen. Anders als sonst fahren keine Kolonnen von Autos und Bussen über den weitläufigen
Platz, stattdessen stehen dort große und kleine Gruppen von Menschen, die sich beraten.
Barrikaden aus Stacheldraht, Zäunen, einem umgestürzten Laster trennen den Platz von den
umliegenden Straßen ab, an den Drahtrollen hängen Transparente: »Revolution!« steht darauf und
»Das Blut derer, die gestorben sind!«
Vor der Barrikade drängen sich Menschen, manche neugierig, andere schimpfend: »Wir brauchen
nicht schon wieder Unruhen und Proteste«, ruft ein Mann. Einige Jugendliche fahren ihn an: »Wir
haben nichts gewonnen, wenn wir ein beschissenes System durch ein anderes ersetzen!« Die
politische Situation ist angespannt in Ägypten, seit am Sonnabend nach einer Demonstration für die
Umsetzung der Revolutionsforderungen und gegen das herrschende Militär Protestierende den
Tahrir-Platz erneut besetzten – woraufhin das Militär scharf auf die Demonstranten schoss. Zeugen
sprachen von mindestens sieben Todesopfern. Für die Jugendbewegungen, die die Revolution
bisher zu einem großen Teil trugen, ist das Verhältnis zum Militär damit endgültig gebrochen. Sie
fordern eine Auflösung des regierenden Militärrates.
Das Militär dementierte, scharf geschossen zu haben, Verletzte und Tote seien auf Angriffe der
Demonstranten zurückzuführen. Angekündigt wurde, den Tahrir-Platz zu räumen, notfalls mit
Gewalt. Aber die günstige Einstellung weiter Teile der Bevölkerung und der politischen Eliten
gegenüber der Armee ist ungebrochen: Am Sonnabend veröffentlichten Persönlichkeiten aus Politik
und Kultur einen offenen Brief, in dem sie Militär und Jugendbewegungen zum Frieden aufriefen und
warnten, dass »Feinde der Revolution einen Keil zwischen Militär und Bevölkerung« treiben
könnten. Unterzeichnet hatten unter anderen der Kopf der Muslimbrüder Essam El Erian, Chefs
liberaler Parteien, die Autoren Gamal Fahmy und Sekina Fouad und Vertreter der
Revolutionskoalition des 25. Januar.
Die Diskussion wurde weiter angeheizt durch eine Rede des gestürzten Präsidenten Husni Mubarak,
die der Fernsehsender Al-Arabiya am Sonntag ausstrahlte: Mubarak wies darin Korruptionsvorwürfe
zurück und kündigte an, seine Amtszeit bis zu Neuwahlen zu Ende führen zu wollen. Die Koalition
der Jugendlichen hat das Militär zu einer Stellungnahme aufgefordert.
Die Vorfälle vom Sonnabend könnten ein Anzeichen für einen Strategiewechsel des Militärs sein:
vom Bemühen um Rückhalt in der Bevölkerung zu einer offenen Konfrontation mit denjenigen, die
seine Macht in Politik und Wirtschaft gefährden. Das Militär kontrolliert etwa 25 Prozent der
Wirtschaft des Landes – seit Wochen geht es hart gegen Streikende vor. Dass am Freitag trotz
Warnung auch Soldaten und Offiziere an den Protesten teilnahmen, zeigt jedoch, dass es im Militär durchaus verschiedene Auffassungen gibt.
* Aus: Neues Deutschland, 12. April 2011
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