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Der Schaufrieden von Kairo

Ägypten: Muslimbrüder demonstrieren Gewaltlosigkeit

Von Sofian Philip Naceur, Kairo *

Die ägyptische Regierung und die Militärführung um Verteidigungsminister und Generalstabschef Abdel Fattah Al-Sisi verschärfen erneut ihren Tonfall gegenüber der Muslimbruderschaft. Anhänger der Bruderschaft und des gestürzten Expräsidenten Mohammed Mursi demonstrieren seit Wochen für die Wiedereinsetzung Mursis und haben in Kairo und der Nachbarstadt Gizeh am Westufer des Nils zwei Protestcamps errichtet. Am Sonntag sickerten Informationen aus Armeekreisen an die Öffentlichkeit, die besagen, daß die Regierung innerhalb der nächsten 48 Stunden mit der Räumung der Camps beginnen will. Die martialische Rhetorik beider Seiten hat die Fronten verhärtet.

Sowohl die Europäische Union als auch die US-Regierung hatten Vermittler nach Kairo entsandt, beide Seiten erklärten die Verhandlungen in der vergangenen Woche jedoch für gescheitert. Dennoch legte die Übergangsregierung unter Premierminister Hasem Beblawi nun eine andere Gangart an den Tag und verkündete, eine gewaltsame Erstürmung der Protestcamps könne »Tausende Tote« zur Folge haben. Offenbar plant die Regierung eine weiche Lösung, um sich der unliebsamen islamistischen Opposition auf den Straßen zu entledigen. Zunächst sollen die Strom- und Wasserzufuhr zu den Camps unterbrochen werden, bevor Sicherheitskräfte den Zugang zu den Lagern absperren. Polizei und Militär sollen niemanden mehr in die Camps lassen. Menschen, die die Camps verlassen wollen, versprachen sie jedoch, unbehelligt abziehen zu können. Der Einsatz von Tränengas und Wasserwerfern soll dann die Auflösung der Lager einleiten.

An der Rabaa Al-Adawija Moschee in Nasr City im Osten Kairos harren nach wie vor Zehntausende Menschen aus. Sie feierten am Wochenende das Ende des Fastenmonats Ramadan. Auch am Nahda-Platz nahe der Universität von Kairo in Gizeh, dem kleineren der beiden Lager, campieren weiterhin mehrere tausend Menschen. »Wir haben keine Angst zu sterben, wir werden bleiben«, gibt sich Saad Mohamed, Student an der Helwan Universität, kämpferisch. »Mursi ist nicht das Hauptproblem, es ist die Demokratie, für die wir hier sind und kämpfen. Die einzige Möglichkeit Mursi loszuwerden, ist eine demokratische Wahl und kein Militärputsch« sagt die 43jährige Shereen Al-Many an der Rabaa Al-Adawija. »Wir haben keine Waffen. Der Koran ist unsere einzige Waffe«, sagt ein Mann an der Rednerbühne vor der Moschee und bezieht sich auf die Vorwürfe von Regierung und ägyptischer Presse, die Sit-ins der Muslimbrüder seien gewaltbereit. Bei Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Mursis Anhängern sind landesweit seit Anfang Juli mindestens 250 Menschen getötet worden. Während die Regierung die Muslimbrüder für die Gewalt verantwortlich macht, da die Demonstranten in den Camps bewaffnet seien, beschuldigen Mursis Anhänger die Polizei, mit Waffengewalt gegen die Protestlager vorgegangen zu sein. Die Wahrheit dürfte irgendwo dazwischen liegen.

Während Mursis Anhänger noch Anfang Juli randalierend und teils bewaffnet durch die Straßen Kairos zogen und Polizei und Militär Zusammenstöße mit ihnen provozierten, demonstrieren beide Seiten derzeit ihre friedlichen Absichten. Die Demonstranten führen Journalisten herum und betonen die Gewaltlosigkeit ihrer Proteste. Am Wochenende fanden in beiden Camps Dutzende Hochzeiten statt, Kinderspielplätze wurden aufgebaut, und Demonstranten richteten ein Fußballspiel auf dem Nahda-Platz aus. Die Regierung scheint dennoch verstanden zu haben, daß die Demonstranten keineswegs vorhaben, sich dem staatlichen Druck zu beugen. Eine weitere gewaltsame Eskalation oder ein erneutes Massaker würde weder der Armeeführung noch der Übergangsregierung nützen, sondern vielmehr der Bruderschaft in die Hände spielen, die sich damit weiterhin als Opfer einer gewaltsamen Machtübernahme der Armee bestätigt sehen könnte. Dennoch ist in den nächsten Tagen mit weiteren Zusammenstößen zu rechnen, sobald die Regierung Ernst macht und mit der geplanten Einkesselung beginnt.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 13. August 2013


Angespannter Frieden in ägyptischen Protestcamps

Die Anhänger des ehemaligen ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi weichen vor der geplanten Räumung ihrer Protestlager in Kairo keinen Zentimeter zurück. Am Montag harrten noch immer Tausende Islamisten in den beiden Zeltstädten in der ägyptischen Hauptstadt aus.

Ein Beamter des Innenministeriums hatte am Sonntag erklärt, die Polizei bereite die schrittweise Räumung der Protestlager vor. Aus Sicherheitskreisen hieß es jedoch dann, die ursprünglich für Montag geplante Räumung der Protestlager werde doch erst später beginnen. Nachdem bekanntgeworden sei, daß die Räumung kurz bevor stehe, hätten die Islamisten zusätzliche Kräfte mobilisiert und zu den Protestlagern geschickt. Es sei sinnvoller abzuwarten, bis die Zahl der Demonstranten wieder gesunken sei, hieß es.

Der entmachtete Präsident Mursi wird von den Militärs weiterhin festgehalten. Das staatliche Fernsehen meldete am Montag, Mursis Untersuchungshaft sei um weitere 15 Tage verlängert worden. (jW, 13.08.2013)


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