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Mubaraks Leute

Ägypten: Zahlreiche Funktionäre der "Übergangsregierung§ entstammen dem vor zwei Jahren gestürzten Regime. Tote bei Protesten der Anhänger der Muslimbrüder

Von Sofian Philip Naceur, Kairo *

Nach der Entmachtung der Muslimbruderschaft in Ägypten mobilisiert diese weiterhin ihre Anhänger und protestiert fast täglich in Kairo und anderen Landesteilen für die Wiedereinsetzung des abgesetzten Präsidenten Mohammed Mursi. Die Armee hatte vor drei Wochen nach Massenprotesten der Opposition Mursi und die vom politischen Arm der Bruderschaft, der Partei für Freiheit und Gerechtigkeit (FJP), dominierte Regierung ab- und die Verfassung außer Kraft gesetzt. Das Militär drängt die Muslimbrüder seither in die Enge. Auf die politische Entmachtung durch die Armee folgte eine Verhaftungswelle von Führungskadern der Islamisten. Sicherheitskräfte gehen weiter gegen Proteste der Mursi-Anhänger vor. Ägyptens Staatsanwaltschaft läßt Anklagen gegen Kader von FJP und Bruderschaft prüfen. Ihnen wird vorgeworfen zu Gewalt aufgerufen zu haben und für die Ausschreitungen der letzten Wochen, bei denen landesweit rund 100 Menschen starben, verantwortlich zu sein.

Das von FJP und Salafisten dominierte Oberhaus des ägyptischen Parlamentes, der Shura-Rat, der gleichzeitig mit der Absetzung Mursis vor rund zwei Wochen von der Armeeführung aufgelöst wurde, tagt währenddessen unbeirrt weiter. Ikhwanweb, die Website der Muslimbrüder, veröffentlicht Bilder von Tagungen des Rates oder seiner Ausschüsse und spricht weiterhin konsequent von »Präsident Mursi«. Die Muslimbrüder versuchen zu zeigen, daß sie über Rückhalt in der Bevölkerung verfügen und weiterhin eine einflußreiche politische Kraft darstellen. Dies ist umso schwieriger, da Ägyptens Staatsmedien die Pro-Mursi-Proteste zuletzt nur dann aufgriffen, wenn sie in Gewalt mündeten. Auch der unabhängigen und privaten Presse wird seitens der Bruderschaft vorgeworfen die Demonstrationen zu ignorieren.

Ägyptens vom Militär eingesetzter »Übergangspräsident« Adli Mansur streckte der FJP die Hand aus und rief die Islamisten auf, sich am »politischen Übergangsprozeß« zu beteiligen. In einer Rede am Wochenende betonte der Chef der Interimsregierung Hazem Beblawi den »nationalen Dialog« aller politischen Kräfte und Parteien in Ägypten fördern zu wollen. Die Bruderschaft verweigert allerdings die Kooperation mit der neuen Regierung, bezeichnet sie als »illegitim« und fordert Mursis Widereinsetzung. Muslimbrüder und FJP rufen weiter zu Protesten auf.

Am Freitag folgten Tausende ihrem Aufruf, in Kairo und anderen Städten gegen den »Putsch« zu demonstrieren. In Mansura im Nil-Delta starben bei Zusammenstößen zwischen Anhängern und Gegnern Mursis zwei Menschen, Ikhwanweb spricht von vier Toten und bezichtigt die Sicherheitskräfte und Mursis Gegner, scharfe Munition eingesetzt zu haben. Am selben Tag fanden im Großraum Kairo unzählige kleinere Proteste statt. In Nasr City zogen Pro-Mursi-Demonstranten in Richtung Verteidigungsministerium und Hauptsitz der Republikanischen Garden. Die Armee stoppte den Marsch und setzte am nahe gelegenen Präsidentenpalast Tränengas gegen Mursi-Anhänger ein. Die Bruderschaft ist bemüht, die Friedfertigkeit ihrer Demonstrationen zu beweisen.

Die Armee gebärdet sich weiterhin als Stabilisator und zeigt Präsenz. In Kairos Stadtzentrum sind Dutzende Panzer stationiert. Militärhelikopter kreisen pausenlos über der Stadt, und die Luftwaffe ließ erneut Kampfflugzeuge über die Hauptstadt fliegen. Die Entmachtung Mursis hat der Armee, die sich als Retter in der Not präsentiert, Zustimmung in Teilen der Bevölkerung eingebracht. Die Muslimbrüder warnen indes vor einer »Rückkehr der Korruption« und der Restauration der Herrschaft der Nationaldemokratischen Partei (NDP) des 2011 gestürzten Hosni Mubarak. In der jüngst installierten sogenannten Übergangsregierung Beblawis finden sich in der Tat zahlreiche ehemalige Funktionäre der aufgelösten NDP und gar ehemalige Minister des Mubarak-Regimes.

* Aus: junge Welt, Montag, 22. Juli 2013


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