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Demonstration der Entschlossenheit

Ägyptens neue Führungsspitze darf sich über warmen Regen aus den Golfmonarchien freuen

Von Oliver Eberhardt, Kairo *

Der Finanzexperte Beblawi wird neuer Regierungschef in Ägypten; er steht nun vor einer schwierigen Kabinettsbildung. Die Muslimbruderschaft lehnte ein Angebot zur Beteiligung am Kabinett bereits ab. Mehrere ausländische Regierungen haben auf die Ankündigung mit Finanzzusagen in Milliardenhöhe reagiert.

Eine Woche nach dem Sturz von Präsident Mohammed Mursi verlagert sich der Konflikt zunehmend in die politische Arena. Die Zahl der Demonstranten, die sich täglich an vielen Orten vor allem in den Städten versammeln, um gegen die Absetzung des vor etwas mehr als einem Jahr gewählten Präsidenten zu demonstrieren, hat abgenommen. Weil der Fastenmonat Ramadan begonnen hat, und die meisten Menschen den Aufenthalt im Freien, so gut es geht, vermeiden. Aber auch, weil bei vielen Mursi-Befürwortern mittlerweile deutlich wird, dass eine Rückkehr Mursis an die Macht so gut wie ausgeschlossen ist.

Zudem spitzt sich die wirtschaftliche Lage von Tag zu Tag weiter zu. Vielen Menschen auf beiden Seiten wird zunehmend bewusst, dass der Stillstand beendet werden muss.

Dementsprechend sind die Erwartungen an Hazem al-Beblawi groß. Der 76-jährige Finanzexperte soll neuer Regierungschef werden; der ursprünglich für diesen Posten vorgesehene Nobelpreisträger Mohammed al-Baradei wird Vizepräsident – ein Amt, dass allerdings kaum politischen Einfluss mit sich bringt.

Nach der Revolution Anfang 2011 war Beblawi für einige Monate Finanzminister und hatte sich in der Zeit international Respekt erwirtschaft. Beblawi sei ein Mann, mit dem man arbeiten könne, sagt ein Mitarbeiter der US-Botschaft in Kairo: »Er weiß, wo die Stolpersteine versteckt sind, und scheut nicht vor notwendigen Maßnahmen zurück.« Will heißen: Dem Land stehen Sparmaßnahmen bevor. Weil die Konten leer sind. Und weil die Staaten im Gegenzug für langfristige Finanzhilfen eine Reduzierung des aufgeblähten Staatsapparates und der vielfältigen Subventionen, die sich über Benzin bis hin zu Nahrungsmitteln erstrecken, fordert.

Denn die Finanzspritzen, die nun vor allem von Saudi-Arabien und anderen Golfstaaten zugesagt worden sind, dürften nur kurzfristig helfen. Die Staatsschulden sind enorm, ebenso wie die Außenstände bei den Löhnen der staatlichen Bediensteten.

Hinzu kommt, dass der Wechselkurs des Ägyptischen Pfunds schwach ist, was Importe extrem teuer macht – und damit auch die Lebenshaltungskosten.

Insgesamt umgerechnet rund 8,3 Milliarden Euro wurden von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten mittlerweile zugesagt – ungefähr das Doppelte von dem, was die beiden Regierungen ursprünglich hatten zuschießen wollen.

Im Umfeld Beblawis gibt man sich dennoch nur verhalten optimistisch: Erst einmal müsse das Geld auch tatsächlich gezahlt werden, heißt es. Und es wird auf die Erfahrungen der palästinensischen Regierung verwiesen, die immer wieder mit nicht eingehaltenen Zahlungsversprechen zu kämpfen hat.

Zudem steht der Übergangspremier nun vor der Regierungsbildung – eine Aufgabe, die nicht minder kompliziert als die Besetzung des Chefsessels werden dürfte. Denn auch hier wollen alle ein Stück vom Kuchen abhaben. Und auch Beblawi betont wie alle Kandidaten, die in den vergangenen Tagen vor ihm im Gespräch waren, dass er sich um Versöhnung und Einheit bemühen wird.

So bot er wenige Minuten nach der offiziellen Bestätigung seiner Ernennung am Dienstagabend der Muslimbruderschaft die Beteiligung an der Regierung an. Ein Angebot, dass diese allerdings umgehend ablehnte: Man mache keine gemeinsame Sache mit Putschisten, lehne alles ab, was mit dem Staatsstreich zu tun hat; eine Ablehnung, hinter der auch politisches Kalkül steht.

Sprecher der Partei für Freiheit und Gerechtigkeit, dem politischen Arm der Bruderschaft, sagen, man setze nun auf die Wahlen, die demnächst abgehalten werden sollen. Während die Gegenseite auf Einheit setze, wolle man sich selbst als Opposition aufbauen – in der Hoffnung, so auch diese Wahlen gewinnen zu können.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 11. Juli 2013


Verhärtete Fronten in Ägypten

Muslimbrüder lehnen Beteiligung an neuer Regierung ab – und erhalten Haftbefehle

Von Christian Selz **


Mit klaren Worten haben die Muslimbrüder in Ägypten am gestrigen Mittwoch eine Beteiligung an der Übergangsregierung von Interimsministerpräsident Hasem Al-Beblawi abgelehnt. »Wir werden nichts mit einer Regierung zu tun haben, die aus einem Militärputsch hervorgegangen ist«, stellte der Funktionär Saad Emara von der Partei für Freiheit und Gerechtigkeit (FJP) gegenüber dem arabischen Sender Al-Dschasira klar. Die FJP ist der politische Arm der Bruderschaft und politische Heimat des vor einer Woche gestürzten Staatspräsidenten Mohammed Mursi. Letzterer war 2012 legitim gewählt worden, sah sich aber mit Massenprotesten konfrontiert und wurde schließlich vom Militär abgesetzt.

Der von der Armee eingesetzte Übergangspräsident Adli Mansur hatte den liberalen früheren Finanzminister Al-Beblawi am Dienstag nachmittag zum Regierungschef ernannt und so auch die salafistische Partei »Das Licht« zurück in die Verhandlungen um die Interimsregierung geholt. Das mächtige Militär will diese auf eine möglichst breite Basis stellen, um Ägypten schnellstmöglich wirtschaftlich zu stabilisieren. Al-Beblawi bot den islamistischen Muslimbrüdern daher noch am gleichen Abend eine Regierungsbeteiligung an. Nachdem diese die Tür zuschlugen, weht nun erneut ein schärferer Wind in Ägypten. Am Mittwoch erließ die Staatsanwaltschaft Haftbefehle gegen den Führer der Muslimbruderschaft, Mohammed Badia, und neun weitere Leitungskader. Ihnen wird vorgeworfen, ihre Anhänger zur Gewalt vor dem Hauptquartier der Republikanischen Garde am Montag aufgehetzt zu haben. Die Armee hatte dort auf die protestierenden Islamisten gefeuert, 51 Menschen starben.

Die Zeichen in Ägypten stehen so weiter auf Konfrontation. Wie angespannt die Lage ist, zeigt auch ein erneuter Anschlag mutmaßlich islamistischer Extremisten auf einen Polizeiposten auf der Halbinsel Sinai, bei dem am Montag zwei Zivilisten ums Leben kamen.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 11. Juli 2013


Verratener Aufstand

USA decken ägyptische Militärherrschaft

Von Werner Pirker ***


Eigentlich müßte Washington seine sich auf jährlich 1,3 Milliarden Dollar belaufende Militärhilfe für Ägypten einfrieren. US-Gesetze schreiben immerhin vor, daß dies zu geschehen habe, sollte es sich bei der Entmachtung der Muslimbruderschaft um einen Militärputsch gehandelt haben. Obwohl daran kaum ein Zweifel bestehen kann, will die Obama-Administration die Absetzung des gewählten Präsidenten durch die ägyptischen Streitkräfte anders interpretiert wissen. Weil als Interimspräsident ein Zivilist eingesetzt worden sei und die Regierungsgeschäfte nicht einer Offiziersjunta, sondern einem Expertenkabinett übertragen werden sollen, könne es sich auch nicht um einen Militärputsch gehandelt haben, gibt die US-Regierung dem jüngsten Machtwechsel in Kairo ihren Segen. Damit sieht sich auch die These bestätigt, daß es sich bei der Einsetzung einer Expertenregierung um die zeitgemäße Form eines Staatsstreiches handle.

Die Regierung der besten Köpfe hätte auch die nationale Einheit repräsentieren sollen. Die ließ sich aber nicht herstellen, weil die Muslimbruderschaft vorerst »keine gemeinsame Sache mit den Putschisten« zu machen gedenkt. Das war nicht immer so. Zwischen Militärmachthabern und Muslimbrüdern war es immer wieder zu Vereinbarungen zu Lasten der Demokratiebewegung gekommen – zuletzt in Form der Machtteilung zwischen der von Mursi eingesetzten neuen Armeeführung und seiner »Partei für Freiheit und Gerechtigkeit«. Das weist die Islamisten eher als betrogene Betrüger aus denn als glaubwürdige Verteidiger der Demokratie.

Was aber ist aus der demokratischen Massenbewegung geworden, die noch vor wenigen Tagen Millionen und Abermillionen zum Sturz von Mursi und Brüder zu mobilisieren vermochte? Es hat ganz den Anschein, als spielte sie im Kampf um die künftige Machtverteilung nicht die geringste Rolle mehr. Die Bewegung Tamarod wurde zwar ganz am Rande in die Regierungsbildung miteinbezogen, den Ton aber geben eindeutig die liberalen und mit dem Westen eng verbundenen Kräfte an. Auch wenn es doch noch zu einer Regierung der nationalen Einheit kommen sollte, wird die Masse der Subalternen in ihr keine Stimme haben. Der Militärputsch hat ihren sozialen Aufruhr in seine Schranken verwiesen. Wieder einmal ist der von den USA gewünschte »geordnete Übergang«, das heißt die Einschränkung der Volkssouveränität angesagt.

In Syrien hingegen steht kein geordneter Übergang, sondern der gewaltsame Umsturz auf der von Washington vorgegebenen Agenda. Von der Regierungsseite gemachte Angebote zur Bildung einer breiten Übergangsregierung, werden von den Rebellen und ihren Sponsoren kaltschnäuzig abgelehnt. Denn während sich in Ägypten eine Volksbewegung ihres sozialen Inhalts zunehmend bewußt wird und damit zu einer Herausforderung für das neoliberale Globalisierungsregime geworden ist, läuft die syrische Rebellion auf das genaue Gegenteil hinaus.

*** Aus: junge Welt, Donnerstag, 11. Juli 2013 (Kommentar)


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