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Enttäuschung ergreift Ägypten

Zweiter Tag des Mubarak-Prozesses: Künftig keine Direktübertragungen mehr

Von Juliane Schumacher, Kairo *

Der Auftakt des Prozesses gegen den gestürzten Präsidenten Hosni Mubarak vor zwei Wochen hatte in Ägypten Euphorie ausgelöst. Die Fortsetzung am gestrigen Montag machte sie gründlich zunichte.

Enttäuschung löste nicht nur aus, dass die Verhandlung nach nicht einmal einer Stunde abgebrochen und vertagt wurde. Überdies verkündete Richter Ahmed Rifaat vor dem Abbruch, dass die künftigen Verhandlungstermine nicht mehr direkt übertragen werden. Die Live-Übertragung der Prozesse gegen ehemalige Regierungsmitglieder war eine der Forderungen der Millionenproteste im Juli gewesen, der die Übergangsregierung und das herrschende Militär schließlich zugestimmt hatten, um die Lage zu beruhigen.

Der Prozesstag begann mit rund eineinhalb Stunden Verspätung. Gerüchte machten die Runde, Mubarak werde dieses Mal nicht erscheinen. Auf dem weitläufigen Gelände vor dem improvisierten Gerichtssaal in der Polizeiakademie von Neu-Kairo lieferten sich Mubarak-Anhänger und -Gegner Schlachten mit Steinen, mehrere Verletzte wurden in die Krankenwagen geleitet, Einsatzpolizei versuchte, die beiden Lager zu trennen.

Schließlich kam er doch: Wie am ersten Prozesstag wurde der 83-jährige Mubarak auf einer Liege in den Käfig für die Angeklagten geschoben, begleitet von seinen Söhnen Alaa und Gamal, die wie er wegen Korruption und Betrugs angeklagt sind. Mubarak wird zudem der Mord an hunderten Demonstranten zur Last gelegt, zusammen mit seinem ehemaligen Innenminister Habib Al-Adly. Der war am Montag jedoch nicht im Saal – sein Prozess war auf Antrag der Anwälte abgetrennt und schon am Sonntag fortgesetzt worden. Nachdem Tumulte im Gerichtssaal ausgebrochen waren, wurde das Adly-Verfahren auf den 5. September vertagt.

Ähnliches versuchte Richter Rifaat am Montag im Prozess gegen Mubarak zu verhindern. Es scheint jedoch, als entsprächen Störungen und Verzögerungen des Prozesses genau der Strategie der Verteidigung Mubaraks und seiner Anhänger. Auch am Sonntag waren über 100 »Nebenkläger« im Gerichtssaal, die mit Redebeiträgen und Anträgen für Unruhe sorgten. Als Richter Rifaat am Montag offenbar neue Beweismittel einführte, darunter eine CD und vier DVDs, sprach Mubaraks Anwalt Farid Al-Deed von Fälschungen, forderte Kopien und die Verschiebung des Prozesses, um sie prüfen zu können. Zudem stellte die Verteidigung einen Antrag auf Wiederzusammenlegung des Prozesses mit dem gegen Al-Adly. Kurz nach 11 Uhr unterbrach Rifaat die Verhandlung für Beratungen über die Anträge. Doch als er die Angeklagten nach zwei Stunden zurück in den Käfig bringen ließ und wieder ans Mikrofon trat, setzte er den Prozess nicht fort, sondern verkündete nur wenige, dafür umso brisantere Neuigkeiten: Die Verhandlung werde auf den 5. September verschoben und wieder mit dem Prozess gegen Al-Adly zusammengeführt. Vor allem aber: Die Live-Übertragung werde aus Sicherheitsgründen abgebrochen.

Im Gerichtssaal brachen Tumulte aus, die Angeklagten wurden aus dem Saal gebracht. Noch im Gehen drehten sich Alaa und Gamal Mubarak grinsend um und zeigten dem Publikum das Victory-Zeichen.

Der Saal wurde kurz darauf geräumt. Die brisante Frage, welche Zeugen im weiteren Verfahren vorgeladen werden, war im Trubel des zweiten Verhandlungstages untergegangen. Mubaraks Anwälte hatten verlangt, hochrangige Militärs vorzuladen, darunter Feldmarschall Hussein Tantawi, 20 Jahre Mubaraks Verteidigungsminister, seit dessen Rücktritt als Chef des herrschenden Militärrats aber quasi Staatsoberhaupt. Die Verteidigung wirft dem Militär vor, ab 28. Januar alle wesentlichen Entscheidungen im Land getroffen zu haben und für die Tötung von Demonstranten mitverantwortlich zu sein. Sollte Tantawi tatsächlich vorgeladen werden, so hatten viele Beobachter gemutmaßt, könnte das Aufschluss über die Rolle des Militärs während der Revolution geben. Ohne Journalisten und Kameras im Gerichtssaal dürfte das allerdings kaum mehr möglich sein. Vielleicht ist es gerade das, was das herrschende Militär erreichen möchte.

Fern der Polizeiakademie fanden am gleichen Tag, mit weit weniger Medienöffentlichkeit, weitere politische Prozesse statt: gegen Aktivisten der Demokratiebewegung und gegen Soldaten und Offiziere, die sich am 8. April den Demonstrationen angeschlossen hatten. Gegen sie wurde nicht vor einem Zivilgericht, sondern vor Militärtribunalen verhandelt. Der Aktivist Loai Nagati war während der spontanen Aufstände in Kairo am 28. Juni festgenommen worden, sein Fall wurde auf Mittwoch vertagt. Bereits am Sonntag stand die Aktivistin Asmaa Mahfouz vor einem Militärgericht – sie hatte in einem Tweet und auf Facebook die Verschleppung der Prozesse gegen Polizisten und Mitglieder des alten Regimes kritisiert. Gegen Zahlung einer Kaution von umgerechnet 2300 Euro kam sie frei, der Prozess geht jedoch weiter. Auch die Prozesse gegen 17 von 27 angeklagten Soldaten wurden verschoben, ob die anderen bereits Urteile erhielten, ist nicht bekannt.

* Aus: Neues Deutschland, 16. August 2011


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