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Viele Ägypter verspüren Genugtuung

Husni Mubarak und seine Söhne sitzen ab heute in Kairo auf der Anklagebank

Von Juliane Schumacher, Kairo *

Auf diesen Tag haben Millionen Ägypter gewartet – und oft gezweifelt, dass er tatsächlich jemals kommt: Heute (3. Aug.) beginnt der Prozess gegen Ex-Präsident Husni Mubarak.

Es bedurfte 18 Tage heftiger Proteste: Am 11. Februar trat Ägyptens Präsident widerwillig zurück. Mubarak floh in die Ferienresidenz in Scharm el-Scheich und wurde kurz darauf unter Hausarrest gestellt. Ein Ringen um die Prozesse begann: Während Ägyptens Übergangsregierung international dafür gelobt wurde, wie schnell sie die juristische Aufarbeitung des alten Regimes voranbringe, wuchsen in Ägypten selbst Ungeduld und Ärger über die wiederholte Vertagung von Prozessen gegen ehemalige Regierungsmitglieder oder gar deren Freispruch. Insbesondere im Fall Mubarak wurden Vorwürfe laut, das Militär, das seit Jahrzehnten die Politik Ägyptens mitbestimmt, wolle den ehemaligen Militär Mubarak vor einem Prozess schützen.

Immer wieder war es politischer Druck von der Straße, der das Verfahren voranbrachte: Am 24. Mai, wenige Tage vor einer neuerlichen Großdemonstration, veröffentlichte der Staatsanwalt die Anklage gegen Mubarak. Sie umfasst »Mord und versuchten Mord an Demonstranten ... Amtsmissbrauch und bewusstes Verschwenden öffentlicher Gelder und illegale Bereicherung«. Entscheidend ist vor allem der erste Punkt: Mubarak ist zusammen mit seinem Innenminister Habib Al-Adly der Ermordung von über 800 Demonstranten angeklagt. Sollte er dafür verurteilt werden, könnte ihm die Todesstrafe drohen.

Fast 30 Jahre hat Mubarak geherrscht. An die Macht gekommen war er als Stellvertreter seines Vorgängers Anwar el-Sadat, der im Oktober 1981 ermordet wurde. Während der drei Jahrzehnte seiner Herrschaft haben sich Mubarak und seine Vertrauten schamlos bereichert. Auf 70 Milliarden Dollar wird sein Vermögen geschätzt, während die Armut in Ägypten durch seine neoliberalen Reformen zunahm. Erworben hat er seinen Reichtum größtenteils durch illegale Geschäfte. Der Geheimdeal mit Israel von 2005 ist nur ein Beispiel: Demnach liefert Ägypten Gas zu einem weit unter dem Weltmarktpreis liegenden, für 15 Jahre festgeschriebenen Preis. Am milliardenschweren Gewinn partizipiert neben Mubarak selbst vor allem sein Freund, der Business-Tycoon Hassem Salem, der nach der Revolution nach Spanien geflohen ist und sich bisher erfolgreich gegen eine Auslieferung wehrt. Auch er ist heute, in Abwesenheit, angeklagt. Anwesend sein werden Mubaraks Söhne Alaa und Gamal, letzterer hätte Nachfolger seines Vaters werden sollen.

Zuletzt hatte es immer wieder Zweifel daran gegeben, dass Mubaraks Söhne tatsächlich im Gefängnis sitzen; wiederholt wollten Journalisten sie auf der Straße erkannt haben. Sie sind derselben Tatbestände angeklagt. Als vierter wird Habib Al-Adly auf der Anklagebank sitzen. Der Prozess gegen ihn war zuvor zweimal vertagt worden – was die letzte große Protestwelle im Juli ausgelöst hatte.

Al-Adly war 13 Jahre Mubaraks Innenminister, ihm unterstanden zuletzt eine halbe Million Sicherheitskräfte, neben der Polizei auch der gefürchtete Inlandsgeheimdienst Amn el-Dawla, der nicht nur willkürlich festnahm und folterte, sondern auch äußerst brutal gegen Regimegegner, Islamisten und organisierte Arbeiter vorging und ein »allgemeines Klima von Angst und Misstrauen« schuf, wie es in einem Demonstrationsaufruf hieß. Der Prozess findet unter schärfsten Sicherheitsvorkehrungen statt. Erst vergangene Woche war bekannt geworden, dass das Gericht tatsächlich in Kairo tagt und dass Mubarak dafür aus Scharm el-Scheich eingeflogen werden soll. Zunächst hieß es, das Kairoer Messegelände werde Prozessort sein, aus Sicherheitsgründen wurde das Verfahren jedoch in die Polizei-Akademie in Neu-Kairo verlegt, ganz am Stadtrand.

600 Menschen dürfen in den Gerichtssaal, auch Journalisten, jedoch nur ohne Telefon und Kamera. Das Staatsfernsehen wird den Prozess live übertragen – auch das ein Zugeständnis an die Protestierenden und ein Versuch, die angespannte Stimmung im Land zu entschärfen und den Protesten gegen Übergangsregierung und Armee den Wind aus den Segeln zu nehmen. Um Vorwürfen der Verschleppung vorzubeugen, hat der Strafgerichtshof bereits jetzt angekündigt, die Prozesstermine würden nahtlos und fast täglich aufeinander folgen, viermal die Woche. Unter den Familien der Opfer der Revolution, die seit Wochen für Gerechtigkeit demonstrieren, und ihren Unterstützern ist die Hoffnung auf den Prozess dennoch gering. »Das wird ein riesiges Theater, ein Schauspiel«, sagt eine Aktivistin, »damit wollen sie nur von den aktuellen Problemen ablenken!« Für die meisten Ägypter aber dürfte es schlichtweg eine Genugtuung sein, den ehemaligen Präsidenten und seine als unangreifbar geltenden Söhne und Minister auf der Anklagebank zu sehen.

* Aus: Neues Deutschland, 3. August 2011


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