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"Nun können sie sich als Märtyrer präsentieren"

Ägypten: Ein weiteres Jahr an der Macht hätte womöglich ausgereicht, um die Unfähigkeit der Muslimbrüder zu beweisen. Ein Gespräch mit Roger Owen


Roger Owen ist Brite, lehrt Geschichte des Mittleren Ostens an der Harvard University und ist Autor mehrerer Standardwerke.


Wie bewerten Sie das Verhalten der US-Regierung zum Militärputsch in Ägypten?

Die zuständigen Stellen der USA scheinen nicht zu wissen, was sie tun sollen, sie wollen die Lage nicht weiter verschlimmern. Sie haben zwar weiterhin Einfluß auf die Armee, wurden aber von deren Vorgehen überrascht. Die amerikanische Botschafterin in Kairo, Anne Patterson, hatte gerade gelernt, mit den Muslimbrüdern zu arbeiten. Wie der ägyptische Dozent Khaled Fahmy denke ich, daß Washington davon ausging, mit den islamischen Parteien im Mittleren Osten kooperieren zu müssen, weil sie über einen großen Wähleranhang verfügen. Allerdings hatte man auch festgestellt, daß sie nicht in der Lage sind, effizient zu regieren.

Gab es von Washington grünes Licht für den Staatsstreich und die Verhaftung des gewählten Präsidenten Mohammed Mursi?

Ja, mit Sicherheit. Die USA sprechen allerdings nicht von Putsch, um bei der Militär- und Wirtschaftshilfe nicht in Erklärungsnot zu geraten. Obama weiß aber sehr gut, daß auch die Militärs inkompetent sind und die vorangegangene Übergangsphase nicht meistern konnten. Sie hatten Mubarak jahrelang verteidigt und wollten ein Eingreifen der Streitkräfte vermeiden. Als sie dann die direkte Kontrolle der Politik übernahmen, haben sie sich immer für eine zivile Regierung ausgesprochen. Den USA behagt allgemein die Vorstellung nicht, daß die Militärs die Macht direkt kontrollieren. Außerdem sind sie daran interessiert, ihre Kriegsindustrie anzukurbeln, indem sie Ägypten weiterhin in großem Stil mit Rüstungsgütern beliefern.

Welche geopolitische Strategie verfolgen die USA?

Sie wahren Israels Interessen, sorgen sich um einen möglichen Anstieg der Erdölpreise und verteidigen ihre wirtschaftlichen Interessen in der Region. Die Verteidigung des Erdölmarktes und des freien Warenverkehrs durch den Suezkanal bilden einen permanenten Eckpfeiler ihrer Politik. Wir könnten sagen, daß es sich nicht um koloniale, sondern um imperiale Interessen handelt. Die Vereinigten Staaten haben bei der Kontrolle des Mittleren Ostens die Rolle Englands übernommen, die die Briten in den 50er Jahren wegen der Fehler in Palästina und ihres generellen Machtverlusts aufgeben mußten.

Inwieweit sorgt diese Einmischung für eine Zunahme des Antiamerikanismus in der ägyptischen Bevölkerung?

Die Amerikaner sind heuchlerische Imperialisten. Sie haben sich zu Verteidigern der Demokratie erklärt und dennoch das Mubarak-Regime unterstützt. Sie wandten sich gegen die Vermengung von Politik und Religion, machten dann aber einen Deal mit der Muslimbruderschaft. Klar, Mursis letzte Worte an die Adresse der Putschisten lauteten: »Ihr werdet angeklagt, Agenten der Zionisten und der Vereinigten Staaten zu sein.« Die Leute wissen aber dank des Nachrichtenflusses und der Enthüllungen von Wikileaks auch so, wie korrupt die Militärs sind. Daher kann diese Lösung für die Streitkräfte kurzfristig sinnvoll sein, weil sie ihr Image als Retter Ägyptens stärkt. Langfristig wird es der ökonomischen Entwicklung nicht helfen. Die Armee interveniert, um die Massenmobilisierung zu stoppen. Sie sagen, daß sie das im Namen des Volkes tun. In Wirklichkeit machen sie es aber, um das Volk nach Hause zu schicken. Während der französischen Revolution ist dasselbe passiert.

Syriens Präsident Baschar Al-Assad hat bereits das Ende des politischen Islam ausgerufen. Liegt er richtig?

Das ist zweifellos verfrüht. Die Islamisten besitzen, wie die iranische Revolution lehrt, eine wesentlich höhere Mobilisierungskraft als linke und kommunistische Bewegungen. Außerdem denke ich, daß das Militärputsch zu früh kam. Ein weiteres Jahr an der Macht hätte ausgereicht, um die Unfähigkeit der Muslimbruderschaft zu beweisen. Nun können sie sich als Märtyrer präsentieren, die gegen Zionismus und Imperialismus eingetreten sind. Für sie ist es noch nicht zu Ende.

Wie haben die Golfstaaten auf die Absetzung Mursis reagiert?

Bahrain ist von allen am glücklichsten darüber. Die dortige Monarchie fürchtet den Einfluß der Muslimbruderschaft und ihrer Forderungen. Deshalb geht sie weiterhin brutal gegen die Opposition vor. Saudi-Arabien und Katar standen den Muslimbrüdern ursprünglich nahe. Die Saudis sind allerdings an engen Beziehungen mit jedweder Regierung in Ägypten interessiert. Das Emirat Katar zeichnet sich vor allem durch eine intensive Machtpolitik der Herrscherfamilie aus.

Interview: Raoul Rigault

* Aus: junge Welt, Dienstag, 16. Juli 2013


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