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Mursi-Prozess auf 2014 vertagt

Von Oliver Eberhardt *

Unter fragwürdigen Umständen hat in Ägypten der Prozess gegen den gestürzten Präsidenten Mursi begonnen. US-Außenminister Kerry glaubt das Land dennoch auf der Rückkehr zur Demokratie.

Ägyptens im Juli abgesetzter Präsident Mohammed Mursi und 14 weitere angeklagte Mitglieder der Führung der Muslimbruderschaft waren gerade unter schärfsten Sicherheitsvorkehrungen in den Gerichtssaal auf dem Gelände einer Polizeischule außerhalb von Kairo gebracht worden, da war der erste Verhandlungstag auch schon wieder vorbei.

Ein Justizsprecher sagte, Mursi habe erklärt, er sei der gewählte Präsident und lehne das Gericht ab, bevor er sich weigerte, den weißen Overall zu tragen, den alle inhaftierten Angeklagten vor einem ägyptischen Gericht tragen müssen; woraufhin das Gericht zunächst die Verhandlung unterbrach, und kurz darauf mitteilen ließ, man vertage den Prozess bis zum 8. Januar.

Einen Prozess, der selbst minimalsten rechtsstaatlichen Standards nicht genügt: So wurde Mursi und seinen Mitangeklagten, denen Anstiftung zum Mord an Demonstranten im Dezember 2012 vorgeworfen wird, bisher ein Treffen mit Anwälten versagt; die Verteidiger können dies mit Ablehnungsschreiben des Innenministeriums belegen, das aber trotzdem auch am Montag an der offiziellen Darstellung festhielt, Mursi wolle sich nicht verteidigen lassen, weil er die Rechtmäßigkeit des Gerichts ablehne. Akteneinsicht erhielten die Verteidiger erst am Sonntagabend. Zudem findet der Prozess »zur Sicherheit der Angeklagten«, so das Innenministerium, unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

Mehr als 20 000 Sicherheitskräfte hatte man aufgeboten, um Schaulustige und Demonstranten vom Ort des Verfahrens fernzuhalten; mehrere Hundert versammelten sich dennoch vor dem Gelände; einige Tausend demonstrierten zudem vor dem Gebäude des Obersten Gerichtshofes. Gewaltsame Auseinandersetzungen blieben bis zum Nachmittag aus; allerdings gab es auf der Sinai-Halbinsel und im Süden des Landes mindestens sechs Tote.

Der Jurist Gamal Eid vom Arabischen Netzwerk für Menschenrechte geht davon aus, dass die Formalität nur ein Vorwand ist, um das Verfahren möglichst schnell für möglichst lange auf Eis zu legen, zumal bereits in der vergangenen Woche ein anderer Prozess gegen Muslimbrüder gescheitert war, nachdem sich die Richter für befangen erklärt hatten.

Am Sonntag hatte US-Außenminister John Kerry überraschend in Kairo Halt gemacht und dabei sanfte Signale der Entspannung im festgefrorenen amerikanisch-ägyptischen Verhältnis entsandt.

Er sehe Anzeichen dafür, dass sich Ägypten auf dem Weg zurück zur Demokratie befinde, so Kerry bei einem Treffen mit Übergangsaußenminister Nabil Fahmy. Er stellte eine baldige Wiederaufnahme der Militärhilfe in Aussicht, auf die die Armee dringend angewiesen ist.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 5. November 2013


Nach Zwischenrufen vertagt

Ägypten: Prozeßauftakt gegen Exstaatschef Mohammed Mursi

Von Sofian Philip Naceur, Kairo **


Der am gestrigen Montag vor dem Kairoer Strafgerichtshof eröffnete Prozeß gegen Ägyptens gestürzten Expräsidenten Mohammed Mursi ist schon nach kurzer Zeit unterbrochen und vertagt worden. Der im Juli von der Armee abgesetzte erste demokratisch gewählte Staatspräsident des Landes wurde seit seiner Absetzung an unbekanntem Ort festgehalten und verweigert die Zusammenarbeit mit Ägyptens Justiz. Mursi zweifelt die Legitimität des Verfahrens an und weigert sich deshalb bislang, juristischen Beistand anzunehmen. Der aus den Reihen der islamistischen Muslimbruderschaft stammende Mursi erschien in Zivilkleidung vor dem Richter und nicht wie gefordert in Gefängniskleidung.

Mursi und 14 andere Mitglieder der Muslimbruderschaft sowie ihres politischen Arms, der Partei für Freiheit und Gerechtigkeit (FJP), sind angeklagt, zu Gewalt aufgerufen zu haben. Konkret geht es bei der Anklage um die Proteste im Dezember 2012 am Präsidentenpalast gegen den damals noch amtierenden Staatschef und die von ihm und der FJP durchgepeitschte neue Verfassung. Bei den tagelangen Ausschreitungen im Osten Kairos zwischen Gegnern und Anhängern Mursis und den Sicherheitskräften waren mindestens zehn Menschen getötet worden. Die Muslimbrüder hatten zuvor ihre Anhängerschaft aufgerufen, für den umstrittenen Verfassungstext auf die Straße zu gehen und sich den Protesten entgegenzustellen. Das wird ihnen nun von der Staatsanwaltschaft als »Anstiftung zum Mord« zur Last gelegt. Den Angeklagten droht die Todesstrafe.

Der Prozeßauftakt am Montag war mit Spannung erwartet worden, da der gestürzte Staatschef seit seiner Absetzung im Juli 2013 nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen wurde. Mursi bezeichnete sich in der Sitzung als der »legitime Präsident« Ägyptens. Allerdings vertagte der Vorsitzende Richter Ahmed Sabry Youssef, der schon andere politisch wichtige Prozesse geleitet hat, die Verhandlung, nachdem Angeklagte im Saal »Nieder mit der Militärherrschaft« gerufen hatten. Ursprünglich sollte das Verfahren in Tora im Süden Kairos stattfinden, wurde aber aus Sicherheitsgründen in die Polizeiakademie der Satellitenstadt New Cairo, zehn Kilometer vor den Toren der ägyptischen Metropole, verlegt.

Die Muslimbrüder hatten aus Anlaß des Prozeßbeginns erneut zu Protesten gegen Armee und Übergangsregierung aufgerufen. Nachdem die nach wie vor regelmäßig stattfindenden Demonstrationen der Bruderschaft zuletzt an Dynamik verloren hatten, wurde gestern erstmals wieder mit größeren Protesten gerechnet. In New Cairo versammelten sich dennoch nur wenige hundert Menschen, während aus Alexandria von Ausschreitungen zwischen Anhängern Musis und der Polizei berichtet wurde.

Die Muslimbruderschaft bezeichnete das Verfahren gegen Mursi als »Farce«, der Prozeß sei von »Putschisten« initiiert worden und nicht legitim. Das ägyptische Internetportal Mada Masr nannte die Verhandlung einen politisch motivierten »Schauprozeß«. Angesichts der aktuellen Debatten um die neue Verfassung des Landes, die derzeit von einer durch die Regierung ernannten verfassunggebenden Versammlung entworfen wird, nährt die Anklage Spekulationen, warum Mursi gerade jetzt im Kontext der Proteste gegen die unter seiner Amtszeit verabschiedete islamistisch geprägte Verfassung von 2012 angeklagt wird.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 5. November 2013


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