Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Revolution heißt einander entdecken"

Vor der ägyptischen Rebellion waren Gegner des Mubarak-Regimes oft isoliert. Gespräch mit Arab Lotfi


Arab Lotfi ist Dokumentarfilmerin in Ägypten und wirkte an der Produktion von »Forbidden« (»Verboten«) von Amal Ramsis mit, die auf dem Frauenfilmfestival in Köln gezeigt wurde.


Der letzte Drehtag für Ihre Dokumentation »Forbidden« war Beginn der Revolte am Tahrir-Platz in Kairo. Sie zeigt die Unfreiheit unter Präsident Hosni Mubarak. Viele sagen im Film: Mubaraks Regime muß weg. Was hätten Sie eigentlich mit dem Material gemacht, wenn die Revolution dann nicht begonnen hätte?

Die Frage haben wir uns nie gestellt. Wir wollten diese Revolution machen. Allerdings hätten wir nicht gedacht, daß tatsächlich so schnell etwas daraus werden würde. Genau wie andere Bevölkerungsgruppen dachten wir, eine kleine Minderheit zu sein. Wir waren alle unorganisiert, weil es ja keine Versammlungsfreiheit gab. Anfang 2011 haben wir plötzlich gemerkt, daß es verdammt viele sind, die dieses undemokratische und ökonomisch ungerechte System stürzen wollten. Revolution heißt, sich gegenseitig zu entdecken – und einander beim Protest darin zu bestärken, daß wir nicht allein sind.

Waren Sie selbst Teil der Revolte?

Klar. Seit 1982 lebten wir unter Notstandsgesetzen: Die Polizei konnte Wohnungen ohne richterlichen Beschluß durchsuchen und ohne Gerichtsverfahren Leute inhaftieren. Und es gab einen ganz praktischen Grund, daß ich mittendrin war: Ich wohne im Zentrum von Kairo, um die Ecke ist das Innenministerium. Meine Wohnung wurde als »Küche der Revolution« bezeichnet. Ständig kamen Leute vom Tahrir-Platz; zum Duschen oder mit Schlafsäcken, um sich auszuruhen. Mein Zuhause ähnelte einem Militärcamp, weil das Innenministerium mit Stacheldraht weiträumig abgeriegelt war – und bis heute ist. Wer dazukam, sagte den Militärs einfach, er wolle mich besuchen, damit sie ihn durch die Absperrung ließen.

Im Film heißt es kämpferisch: »Die eiserne Faust des Staates muß verschwinden!« Ist sie weg?

Nein, es ist noch nicht ausgestanden. Jetzt richtet sich der wichtigste Slogan an die Soldaten: Folgt nicht der Militärführung. Unsere größte Befürchtung ist, daß diese das alte Regime wieder stabilisieren will. Vor wenigen Tagen gab es deshalb eine große Demonstration.

Befürchten Sie, daß die Muslimbrüder religiöse Einschränkungen nach der Präsidentenwahl am 23. und 24. Mai etablieren könnten, die sich gegen die Emanzipation der Frauen wenden?

In der Tat fürchten wir das! Wenn ich »wir« sage, meine ich: Frauen, Atheisten, koptische Christen, viele andere gesellschaftliche Gruppen, auch Moslems. In Ägypten sind die meisten Menschen religiös, aber niemand will wieder eine Regierung, die alles kontrolliert, sei es in einem säkular oder religiös geprägten Staat. Allerdings wollen etwa die Muslimbrüder nur minimal auf parlamentarischem Weg etwas verändern, während die linke Bewegung Demokratie im wörtlichen Sinn verlangt: Herrschaft des Volkes.

Ihr Kampf ist noch nicht beendet. Was fordern Sie?

Die imperialistische Einflußnahme auf unsere Regierung seitens der USA und anderer westlicher Staaten muß aufhören. Bei großen Teilen der Bevölkerung der arabischen Länder schafft dies Armut. Letztlich müssen wir uns in globalen Bewegungen von unten zusammentun und uns gegen diese Einflüsse des Kapitalismus wehren.

Interview: Gitta Düperthal

* Aus: junge Welt, Samstag, 27. April 2012


Zurück zur Ägypten-Seite

Zurück zur Homepage