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Die Lager bleiben verfeindet

In Ägypten rufen Muslimbrüder und Opposition zu neuen Demonstrationen *

Vor dem Referendum über den umstrittenen Verfassungsentwurf in Ägypten hat Präsident Mursi den Streitkräften die Befugnis zur Festnahme von Zivilisten erteilt. Der Staatschef wies in einem Dekret am Montag die Armee zur Kooperation mit der Polizei an, um die Sicherheit bis zur Abhaltung des Referendums am Samstag zu gewährleisten.

Die Lage in Ägypten bleibt unvermindert angespannt. Die Islamisten wie auch die Gegner von Präsident Mohammed Mursi haben für den heutigen Dienstag zu Großkundgebungen aufgerufen. Beobachter befürchten, dass es zwischen den Anhängern der beiden verfeindeten Lager erneut zu Straßenschlachten kommen könnte. Präsident Mursi hat die Armee aufgerufen, bis zu der für Samstag geplanten Volksabstimmung über eine neue Verfassung für Ordnung auf den Straßen zu sorgen.

Lokale Medien berichteten am Montag, die Muslimbrüder und ihre Verbündeten planten Kundgebungen unter dem Motto »Ja zur Rechtmäßigkeit«. Die linken und liberalen Parteien wollen bei ihren Protestmärschen eine Verschiebung des Verfassungsreferendums fordern. Sie lehnen den von Islamisten formulierten Verfassungsentwurf ab. Das Dokument stärkt die Rolle der Religionsgelehrten im Staat und schwächt die Stellung der Frau in der Gesellschaft.

Der Koordinator der Jugendrevolutionsbewegung 6. April, Ahmed Maher, sagte, die Tatsache, dass sich die Islamisten so sehr gegen eine Verschiebung des Referendums sträubten, biete Anlass für Misstrauen. Wenn die geplante Volksabstimmung um einen Monat verschoben würde, bliebe mehr Zeit für öffentliche Diskussion.

Wie das Nachrichtenportal »Ahram Online« berichtete, starb am Sonntagabend ein Demonstrant, der bei den Krawallen zwischen Islamisten und ihren Gegnern am Mittwoch vor dem Präsidentenpalast verletzt worden war. Damit erhöhte sich die Zahl der Todesopfer auf acht.

Oppositionelle hatten nach den Ausschreitungen vor dem Palast berichtet, Anhänger der Muslimbruderschaft hätten mehrere Demonstranten der Gegenseite verschleppt und gefoltert. Nach Angaben aus Sicherheitskreisen haben einige der Demonstranten inzwischen Anzeige erstattet.

Mursi, der am Montagabend in Saudi-Arabien erwartet wurde, stoppte unterdessen ein Steuergesetz. Die Medien berichteten, Mursi wolle, dass über dieses Gesetz erst ein »Dialog mit der Gesellschaft « geführt werde. Die Gegner des Präsidenten bezeichneten dies als populistisch.

Die EU-Regierungen haben Mursi und dessen Gegner zu Gesprächen über eine friedliche Beilegung des Streits aufgerufen. Mehrere EU-Außenminister zeigten sich bei einem Treffen am Montag in Brüssel jedoch skeptisch hinsichtlich einer Einigung.

»Das ist eine sehr fragile Lage«, sagte der deutsche Außenminister Guido Westerwelle. »Es ist eine Lage, die mich auch deswegen so besorgt, weil wir den Erfolg der ägyptischen Revolution wollen. « Er begrüßte, dass »etwas Bewegung « durch Mursis Rücknahme eines Dekrets über mehr Machtbefugnisse für den Präsidenten möglich geworden sei. »Aber letztlich geht es darum, dass wirklich auch ein substanzieller Dialog und substanzielle Flexibilität gezeigt werden auf beiden Seiten.«

»Wir sind sehr besorgt über das, was in Ägypten passiert«, sagte die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton. »Wir rufen zu einer Deeskalation und zu einer Diskussion auf, die dazu führt, dass der Prozess des Wandels fortgesetzt werden kann.« Das ägyptische Volk und die von ihm gewählten Abgeordneten müssten das klären. »Der Weg zur Demokratie ist wirklich steinig, aber es ist wichtig, dass die Bürger sich engagieren.«

Italiens Außenminister Giulio Terzi appellierte an die Ägypter, »sich zu mäßigen, zuzuhören und die Vielfältigkeit und den Reichtum der Zusammensetzung der ägyptischen Bevölkerung zu wahren«.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 11. Dezember 2012


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