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Klares Kontra zu Kerrys Putsch-Plattitüden

Ägyptens Muslimbrüder empört über demokratiefeindliche Äußerungen des US-Außenministers *

Nach seiner Rechtfertigung des Sturzes des ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi durch das Militär sieht sich US-Außenminister John Kerry scharfer Kritik ausgesetzt.

»Ist es die Aufgabe der Armee, die Demokratie wiederherzustellen?«, fragte der Sprecher der Muslimbruderschaft, Gehad al-Haddad, am Freitag und warf dem US-Außenminister die Legitimierung eines Militärputsches vor. Der Sprecher der Bruderschaft, der auch Mursi entstammt, nannte Kerrys Kommentare »alarmierend«. »Würde Außenminister Kerry akzeptieren, dass Verteidigungsminister Hagel einschreitet und Obama absetzt, wenn es große Proteste in Amerika gibt?«, fragte al-Haddad. »Wird dann die US-Armee die Verfassung aussetzen und das Repräsentantenhaus und den Senat auflösen? Können sie einen Präsidenten ihrer Wahl ernennen?«

Kerry hatte am Donnerstag während eines Besuchs in Pakistan den Sturz der gewählten Regierung Ägyptens als Entscheidung im Sinne des Volkes gerechtfertigt. »Das Militär wurde von Millionen und Abermillionen Menschen zum Einschreiten gebeten, die allesamt Angst davor hatten, in Chaos und Gewalt abzugleiten«, sagte Kerry dem Fernsehsender Geo. Das Militär habe nicht dauerhaft die Macht an sich gerissen. »Letztlich wurde dadurch die Demokratie wiederhergestellt«, sagte der Minister.

Washington vermeidet es seit Wochen, den Umsturz offiziell als Militärputsch zu werten. Dies würde nämlich gemäß US-Recht zwingend die Aussetzung der Militärhilfe erfordern. Die Armee hatte am 3. Juli nach Massenprotesten Mursi abgesetzt, die Verfassung suspendiert und eine Übergangsregierung eingesetzt. Seitdem gibt es in Kairo Proteste der Anhänger Mursis, die seine Wiedereinsetzung fordern. Dabei kam es wiederholt zu blutigen Zusammenstößen mit insgesamt rund 250 Toten.

In der angespannten Situation bemühte sich auch Bundesaußenminister Guido Westerwelle seit Donnerstag um eine Vermittlung zwischen den verfeindeten Lagern. Am Freitag traf er den Vorsitzenden der gemäßigt islamistischen Misr-al-Kaweja-Partei, Abu al-Fotuh. Im Anschluss an das Gespräch mit dem ehemaligen Präsidentschaftskandidaten wollte Westerwelle nach Berlin zurückkehren. Der Minister hatte sich am Donnerstag besorgt über die »sehr explosive« Lage gezeigt.

In Kairo waren für Freitag weitere Proteste der Anhänger Mursis geplant. Angesichts der drohenden Räumung ihrer Protestlager durch die Sicherheitskräfte rief die Muslimbruderschaft ihre Anhänger auf, die Camps auf dem Platz Rabaa al-Adawija und dem Platz al-Nahda zu verstärken. Das Innenministerium hatte am Donnerstag die Demonstranten gedrängt, »rasch« die Protestlager zu räumen, und ihnen einen »sicheren Abgang« versprochen.

Die vom Militär eingesetzte Übergangsregierung hatte bereits wiederholt mit Räumung gedroht, doch blieben die Demonstranten unnachgiebig. EU-Diplomaten drängten die Regierung zur Zurückhaltung.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 3. August 2013


Militärische Demokratierettung

US-Außenminister lobt Armeeputsch in Ägypten und Drohnenangriffe in Pakistan **

Mit Äußerungen, wonach die Machtübernahme des ägyptischen Militärs in dem Land »die Demokratie wiederhergestellt habe«, hat US-Außenminister John Kerry für Empörung gesorgt. Kerry, dessen Regierung die ägyptischen Streitkräfte jährlich mit 1,3 Milliarden Dollar unterstützt, lobte am Rande seines Besuches in Pakistan am Donnerstag die Absetzung und Verhaftung des demokratisch gewählten Präsidenten Mohammed Mursi vor einem Monat. »Das Militär wurde von Millionen und Abermillionen Menschen zum Einschreiten gebeten, die allesamt Angst davor hatten, in Chaos und Gewalt abzurutschen«, rechtfertigte Kerry die Entmachtung Mursis durch die Armee mit den Massendemonstrationen gegen dessen Regierung. Von einem Putsch will die US-Regierung nicht sprechen, weil sie sonst ihre Militärhilfen einstellen müßte.

Die Muslimbruderschaft in Ägypten, der Mursi angehört, die islamistische Regierung in der Türkei sowie die außenpolitischen Sprecher von SPD und FDP kritisierten am Freitag die Äußerungen. Der FDP-Politiker Rainer Stinner warf Kerry ein »selektives Demokratieverständnis« vor. Sein Parteikollege und Bundesaußenminister Guido Westerwelle hatte bei seinem Besuch in Kairo zuvor jede Kritik vermieden und betont, Europäer und Amerikaner teilten dieselben Ziele: eine Beruhigung der Lage. Die zeichnet sich derweil nicht ab. Vor der angedrohten Räumung ihrer Protestcamps rüsteten sich die Muslimbrüder am Freitag mit Barrikaden, Stöcken und Helmen zu deren Verteidigung. Die Proteste gegen die Absetzung Mursis haben in den vergangenen Wochen bereits über 100 Menschenleben gekostet.

Auch für Pakistan selbst hatte Kerry im pakistanischen Fernsehen nur äußerst fragwürdige Friedenspläne im Gepäck. Er kündigte ein baldiges Ende der US-Drohnenangriffe an – aus Mangel an Zielen. »Ich denke, das Programm wird enden, da wir den Großteil der Bedrohung eliminiert haben und sie weiter eliminieren«, kündigte Kerry zunächst eine Fortsetzung der Attacken an. Die Forderung der pakistanischen Regierung, die Drohnenangriffe auf deren Territorium einzustellen, ignorierte er. Kerry hatte am Donnerstag in Islamabad den neuen Premierminister Nawaz Sharif und Armeechef Ashfaq Parvez Kayani getroffen, um die Gespräche zwischen beiden Regierungen wiederzubeleben. Das Verhältnis der USA zu Pakistan ist wegen der US-Drohnenangriffe seit Jahren gespannt.

** Aus: junge Welt, Samstag, 3. August 2013


Putsch für die Demokratie?

Von Martin Ling ***

Die erste Reaktion kam nicht von ungefähr aus der Türkei: »Putsche bringen keine Demokratie, sie ruinieren und zerstören den Weg der Demokratie. So wie in Ägypten«, twitterte Ankaras Vizeregierungschef Bekir Bozdag über die Auslassungen des US-Außenministers John Kerry. Denn einerseits steht Ankaras AKP-Regierung den gestürzten Muslimbrüdern in Kairo nah und andererseits gibt es auch in der Türkei – wenngleich längst nicht in derselben Dimension – verbreiteten und öffentlich artikulierten Unmut in der Bevölkerung. Das türkische Militär dürfte den Worten Kerrys mit Interesse gelauscht haben, hat er doch den Putsch in Ägypten mit dem Massenunmut auf den Straßen gerechtfertigt und gar als Wiederherstellung der Demokratie gerühmt. Die AKP-Regierung darf sich aus guten Gründen gewarnt fühlen.

Bozdags Äußerungen dürften darüber hinaus in nicht wenigen Ländern des Südens geteilt werden. Denn die Erfahrungen mit von den USA orchestrierten oder tatkräftig gebilligten Coups reicht in frei gewählten Beispielen von Mossadegh 1953 in Iran über Salvador Allende 1973 in Chile bis zu Manuel Zelaya 2009 in Honduras. Wie viel US-Einfluss es 2013 in Ägypten gab, werden Historiker irgendwann einmal präziser benennen können. Fakt ist: Ägyptens Militär hängt mit 1,3 Milliarden US-Dollar pro Jahr am Tropf der USA, die es bei einem Putsch sofort auf Eis zu legen gälte. Für den Süden bleibt es dabei: Wo es eine US-Botschaft gibt, ist ein Putsch nicht weit, wenn es US-Interessen dient.

*** Aus: neues deutschland, Samstag, 3. August 2013 (Kommentar)


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