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Lange Gesichter in Kairo nach Burns-Besuch

Hoffnung auf Rückendeckung für IWF-Kredit blieb unerfüllt / Nächtliche Proteste halten an

Von Oliver Eberhardt, Kairo *

Bei Auseinandersetzungen zwischen ägyptischen Sicherheitskräften und Pro-Mursi-Demonstranten sind in der Nacht zum Dienstag sieben Menschen ums Leben gekommen. Die Übergangsregierung hat derweil auf ihrer Suche nach einem Ausweg aus der Krise einen Rückschlag erlitten: Einen Kredit des Internationalen Währungsfonds wird es nicht geben.

Am Dienstag ist die Lage gespannt, aber ruhig. Es ist Ramadan, es ist heiß – selbst der Konflikt zwischen den Gegnern und den Befürwortern des Umsturzes in Ägypten vor fast zwei Wochen macht deshalb derzeit zwischen Sonnenauf- und Sonnenuntergang Pause.

Dafür spitzen sich die Dinge nun in der Nacht zu: Bis in die frühen Morgenstunden protestierten Demonstranten, die der Muslimbruderschaft nahe stehen, am Dienstag im Stadtzentrum in Kairo, und auch anderswo im Land gab es nächtliche Massendemonstrationen, die immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften führen. Die wiederum gehen nach wie vor mit unnachgiebiger Härte gegen die Demonstranten vor.

Mindestens sieben Menschen kamen allein in Kairo ums Leben; zuverlässige Angaben aus anderen Landesteilen gibt es nicht. Ärzte in den Kairoer Krankenhäusern berichten, die meisten der Getöteten seien entweder von Tränengasbehältern getroffen worden oder ihr Kreislauf habe unter dem Einfluss von Ramadan und Hitze den Einsatz des Gases nicht ausgehalten. Zwei Menschen hätten außerdem Schusswunden aufgewiesen.

Die nächtlichen Proteste richteten sich dieses Mal vor allem gegen den Besuch von William Burns, dem stellvertretenden US-Außenminister, der am Tag zuvor zu Gesprächen mit der Übergangsregierung eingetroffen war. Die Muslimbruderschaft wirft den Vereinigten Staaten vor, die Absetzung von Präsident Mohammed Mursi unterstützt zu haben, die aus ihrer Sicht ein Putsch war.

Ein Aussage von Burns, wonach der Umsturz »eine zweite Chance« sei, um den »Traum der Revolution zu realisieren«, versetzte die Demonstranten endgültig in Rage: Die nun Regierenden seien Marionetten der USA, hieß es immer wieder. Doch tatsächlich verliefen die Gespräche wenig harmonisch: Burns mahnte die neue Führung öffentlich, politisch motivierte Festnahmen zu unterlassen und den Dialog mit der Muslimbruderschaft zu suchen.

Seine Mitarbeiter betonten derweil hinter vorgehaltener Hand immer wieder, dass die größte Geste der USA sei, die Ereignisse nicht zum Putsch zu erklären. Denn in diesem Fall müsste Washington die Militärhilfen in Höhe von umgerechnet etwa 1,5 Milliarden Euro jährlich einstellen.

Unerfüllt blieb auch die Hoffnung der Ägypter, dass sich die USA für einen Kredit des Internationalen Währungsfonds einsetzen könnten, über den bereits die Mursi-Regierung über Monate erfolglos verhandelt hatte. Die Bedingungen dafür seien derzeit für Ägypten inakzeptabel, sagte Planungsminister Aschraf al-Arabi. Gefordert werden von den potenziellen Geldgebern vor allem die Beschneidung von Subventionen für Nahrungsmittel, Gas und Benzin sowie Steuererhöhungen. »Die Zeit ist nicht reif für einen neue Verhandlungsrunde mit dem Internationalen Währungsfonds«, sagte Arabi nach einem Treffen mit Burns sichtlich resigniert.

Ägyptens Führung muss nun auf die Finanzhilfen hoffen, die in den vergangenen Tagen von mehreren arabischen Staaten zugesagt worden waren. Theoretisch reichen sie dazu aus, das Haushaltsdefizit zu schließen, das sich nach Angaben von Arabi derzeit auf umgerechnet rund zehn Milliarden Euro beläuft.

Die Tamarud-Bewegung hat derweil das Angebot eines Treffens mit Burns abgelehnt: »Der Besuch hat für uns keine Bedeutung, weil sich die USA nicht von Anfang an hinter das ägyptische Volk gestellt haben«, sagte Islam Hammam, einer der Anführer der Bewegung.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 17. Juli 2013


Kredite für Einfluß

Während die Muslimbrüder weiter für die Wiedereinsetzung von Expräsident Mursis protestieren, tobt in Ägypten längst der internationale Verteilungskampf

Von Sofian Philip Naceur, Kairo **


In der Nacht zu Dienstag sind in Ägyptens Hauptstadt Kairo bei Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Anhängern des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi sieben Menschen getötet und rund 260 verletzt worden. Die Muslimbrüder mobilisieren verstärkt ihre Anhängerschaft und fordern die Wiedereinsetzung Mursis als Staatspräsident. Während die Proteste in der Islamisten-Hochburg Nasr City weitgehend friedlich blieben, versuchten Demonstranten, eine Nil-Brücke zu blockieren, und lieferten sich am Ramses-Platz und in Kairos Innenstadt stundenlange Straßenschlachten mit den Sicherheitskräften. Die Ausschreitungen begannen, nachdem diese Tränengasgranaten eingesetzt hatten, um die Demonstranten von der Brücke zu vertreiben. Noch am Vortag hatte das Innenministerium die Gefolgschaft Mursis eindringlich davor gewarnt, »die öffentliche Ordnung zu stören«.

Auch in Alexandria protestierten die Muslimbrüder gegen Mursis Absetzung und ihre faktische Entmachtung. Die Ausschreitungen überschatteten den Besuch von US-Vizeaußenminister William Burns in Kairo, der ersten Visite eines hochrangigen US-Diplomaten in Ägypten seit der Entmachtung Mursis vor zwei Wochen. Burns führte Gespräche mit Übergangspräsident Adli Mansur, dem frisch ernannten Premierminister Hasem Al-Beblawi sowie dem neuen starken Mann in Kairo, Verteidigungsminister Abdel Fattah Al-Sisi. Treffen mit Vertretern der Bruderschaft oder ihres politischen Arms, der Partei für Freiheit und Gerechtigkeit (FJP), fanden nach offiziellen Angaben nicht statt. Burns betonte, die USA würden ein »stabiles, demokratisches und tolerantes« Ägypten auch weiterhin unterstützen.

Währenddessen nimmt die Bildung einer Übergangsregierung Formen an. Das Tauziehen um den Posten des Premierministers hatte zum vorläufigen Austritt der salafistischen Partei »Das Licht« aus den Verhandlungen geführt und den Weg frei gemacht für eine wirtschaftsliberale Interimsregierung unter Al-Beblawi. Der 77jährige Sozialdemokrat gilt als ausgewiesener Wirtschaftsexperte, arbeitete für den Arabischen Währungsfonds in Abu Dhabi und war 2011 kurzzeitig Finanzminister. Diesen Posten übernimmt der langjährige Mitarbeiter der Weltbank, Ahmed Galal. Im Gespräch war auch Hani Kadri, Chefunterhändler bei den Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) über einen 4,8-Milliarden-US-Dollar-Kredit, der Ägypten aus der Wirtschaftskrise helfen soll. Der umstrittene Kredit ist an umfassende Bedingungen geknüpft, unter anderem die Streichung von Subventionen auf Brot und Treibstoffe, die für rund ein Drittel der Bevölkerung überlebenswichtig sind. Die Verhandlungen laufen bereits seit zwei Jahren und könnten durch die Einsetzung einer wirtschaftsliberalen Regierung mit weniger Widerstand abgeschlossen werden.

Ashraf Al-Arabi, Anwärter auf den Posten des neuen Planungsministers, sagte am Montag, es sei unwahrscheinlich, daß der IWF-Kredit noch 2013 zustande komme, betonte jedoch, die Verhandlungen sollten fortgesetzt werden. Zudem reagierten die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien auf Mursis Absetzung und sagten umfassende Finanzhilfen für Kairos Übergangsregierung zu. Beide Staaten stehen den Muslimbrüdern skeptisch gegenüber. Von einer an den IWF-Kredit gekoppelten Öffnung des ägyptischen Marktes würde vor allem Saudi-Arabien profitieren, Riad versucht daher offenbar, die wirtschaftliche Stabilisierung Ägyptens zu stützen. Die Ernennung des in Europa und den USA gut vernetzten Mohammed ElBaradeis, dem ehemaligen Chef der Internationalen Atomenergiebehörde, zum Vizeaußenminister ermöglicht der neuen Regierung in Kairo zudem, ihre Kontakte zum Westen zu verbessern.

Die Muslimbrüder werden derweil an den Rand gedrängt. Nach der Verhaftung von Führungskadern der FJP ordnete die Generalstaatsanwaltschaft an, das Vermögen von führenden Funktionären der Bruderschaft und der FJP einzufrieren. In Ägyptens Staatsmedien wird kaum noch über die Proteste der Mursi-Anhänger berichtet. Mursi hatte zu Beginn seiner Amtszeit Posten im Staatsrundfunk mit Getreuen besetzt. Das Militär hat nun auch hier die Zügel in der Hand, die Mursi-kritische Berichterstattung seit seiner Absetzung scheint auf Weisung von oben erfolgt zu sein.

<** Aus: junge Welt, Mittwoch, 17. Juli 2013


Entmündigter Aufstand

Putschgeneräle festigen ihre Macht Von Werner Pirker ***

Die Ereignisse in Ägypten drohen eine offen konterrevolutionäre Wende zu nehmen. Denn der gegen die Einschränkung demokratischer Rechte und die massive Verschlechterung der Lebensverhältnisse gerichtete Aufstand der Massen ist von der Armee nicht vollendet, sondern beendet worden. Als »Hüter der (bestehenden) Ordnung«, vor allem aber der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse und einer proimperialistischen Außenpolitik haben sich die Putschgeneräle die Hauptforderung der Demonstranten nach einem Sturz des islamistischen Regimes zu eigen gemacht und damit der Bewegung die radikale Spitze gebrochen. Es war wie im Februar 2011 ein Umsturz zur Verhinderung eines Umsturzes.

In diesen Tagen zeigt sich mehr denn je, daß damals zwar Mubarak gestürzt wurde, nicht aber sein Regime. Der alte Repressions- und Justizapparat ist im wesentlichen intakt geblieben. Die Moslembrüder, als eine Art Gegenelite angetreten, erwiesen sich zwar als ebenso machtbesessen, aber nicht so macht­erprobt wie ihre Widersacher aus dem früheren Regime. Die alten Seilschaften gehören ohne Zweifel zu den Gewinnern der jüngsten Entwicklung. Wie selbstbewußt, ja unverschämt sie inzwischen wieder auftreten, zeigt allein das gegen Mursi und Brüder wegen ihres Gefängnisausbruches in den Umsturztagen 2011 eingeleitete Ermittlungsverfahren, was auf eine Delegitimierung des Aufstandes gegen Mubarak durch die ägyptischen Justizbehörden hinausläuft.

Unverständlich bleibt, warum die gegen das System gerichtete Volksbewegung sich nun von der Armee schon zum zweiten Mal widerstandslos entmündigen ließ. Selbst linke Kräfte, wie die Kommunistische Partei Ägyptens, aber auch die Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP), die sich freilich in Syrien in einem tödlichen Konflikt mit den Islamisten befindet, haben dezidiert den Putsch als Sieg des Volkes gewürdigt. Nichts wäre für den weiteren Verlauf des Aufruhrs schädlicher als ein Kulturkampf zwischen Säkularen und Islamisten. Viele der Ärmsten der Armen hängen dem politischen Islam an. Nur mit ihnen und nicht gegen sie wird eine revolutionäre Veränderung der sozialen Verhältnisse durchzusetzen sein.

Aus umgekehrten Gründen wollen sich auch die Westmächte den politischen Islam nicht vollends zum Feind machen. Sie haben sich seiner radikalen Variante in Libyen bedient und versuchen das gleiche in Syrien. In Ägypten, wo sie keinen Regimewechsel, sondern den Systemerhalt anstreben, war der konservativen Moslembruderschaft die Aufgabe zur Konsolidierung der traditionellen Machtverhältnisse zugedacht. Die ist ihnen mittlerweile wieder von den Militärs abgenommen worden. In den USA scheint gegenwärtig aber die Denkrichtung Oberhand zu gewinnen, die auf eine Einbindung der Bruderschaft in die imperialistische Befriedung orientiert. Die radikale Opposition wird sich in diesem Kräftespiel neu positionieren müssen, will sie nicht auf der Strecke bleiben.

*** Aus: junge Welt, Mittwoch, 17. Juli 2013 (Kommentar)


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