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Fremde Interessen

Zu den Ursachen der blutigen Kämpfe zwischen Militär und Muslimbruderschaft in Ägypten

Von Karin Leukefeld *

Hinter dem blutigen Konflikt zwischen Militär und der Muslimbruderschaft in Ägypten verbergen sich neben innenpolitischen Interessen der verschiedenen Lager regionale und internationale Ursachen. Das ägyptische Volk zahlt für fremde Interessen mit vielen Toten und mit sozialer, politischer und wirtschaftlicher Unsicherheit.

Das Militär und die von ihr eingesetzte Übergangsregierung wissen die politischen und wirtschaftlichen Eliten des Landes sowie die alten Seilschaften des früheren Präsidenten Hosni Mubarak auf ihrer Seite. Auch die Minderheit der Kopten, der ursprünglichen Einwohner Ägyptens, ist mehrheitlich auf der Seite der Militärs. Große Teile der zersplitterten Opposition, die gemeinhin als »Revolutionäre« bezeichnet werden, unterstützen das Vorgehen des Militärs, um den Aktionsradius der islamischen Gruppen wie der Muslimbruderschaft und den Salafisten wieder einzugrenzen.

Die Muslimbruderschaft wiederum kann auf Millionen Ägypter in den Armenvierteln und ländlichen Gebieten setzen. Diese Menschen wurden von den Islamisten jahrzehntelang mit dem versorgt, was die herrschende Elite um Hosni Mubarak der Bevölkerung versagte: soziale und medizinische Hilfe, Arbeitsplätze und Zukunftsorientierung. Zehntausende junger Menschen wurden in Religionsschulen beeinflußt, nicht wenige kämpfen heute in Syrien für einen islamischen Staat. Doch es gibt auch mächtige Geschäftsleute hinter den Muslimbrüdern, viele wanderten vor Jahrzehnten in die Golfstaaten aus, wo sie zu Reichtum gelangten. Von diesen Geschäftsleuten wird ein internationales Netzwerk aus Hilfsorganisationen unterhalten, die mit den Golfmonarchien kooperieren und wirksam Hilfe mit Beeinflussung verbinden. Seit Jahren werden über diese »humanitären« Strukturen in den verarmten Gesellschaften am Horn von Afrika, in Nordafrika, in palästinensischen und heute auch in Flüchtlingslagern der Syrer (Türkei, Jordanien) Kämpfer angeworben. Wege, über die Hilfsgüter und Geld transportiert werden, gewährleisten auch den Transport von Waffen und Kämpfern. Seit Beginn der Kriege in Afghanistan und Irak ist auch Europa in dieses Netzwerk eingebunden.

Beide Lager in Ägypten haben sich ihre Klientel herangezogen. »Feloul« nennt man in Ägypten die personellen Überreste der Mubarak-Ära in Ministerien, Militär, Wirtschaft und ­Medien. Gegen sie hatte Mohammed Mursi kurz vor seiner Entmachtung durch das Militär eine Offensive angekündigt, die ein Sprecher des Präsidentenpalastes damals als »Kampf gegen Korruption« angekündigt hatte. Doch auch die Muslimbruderschaft hat ihre »Feloul«, also Personen, die unter Präsident Mursi Einfluß erhalten haben, deren Familien und Verwandte, Stadtteile und Dörfer. Seit die politischen Umbrüchen in Ägypten auf dem Tahrir-Platz begannen, stritt und diskutierte die aus vielen Richtungen zusammengestzte politische Opposition in Ägypten um den richtigen Weg der Revolution. Die Anhänger Mubaraks auf der einen und der Muslimbruderschaft auf der anderen Seite sicherten derweil ihren Einfluß. Nach der Verhaftung Mursis kehrten die »Feloul« von Mubarak zurück in die Übergangsregierung, wo sie sich nun für eine pluralistische Mehrparteiendemokratie einsetzen. General Abdel Fattah Al-Sisi, der Übergangspräsident Adly Mansour und Ministerpräsident Hazem Beblawi gehören zur alten Mubarak-Garde. Sie haben jahrzehntelang ein politisches System geprägt und sich Macht und Reichtum gesichert.

Regional verfügt die Muslimbruderschaft über starke Unterstützer, die allerdings nicht einheitlich agieren und weniger erfahren sind, als die regionalen Unterstützer von Militär und Übergangsregierung. Auch die Türkei und Katar stehen hinter der Muslimbruderschaft. Die Türkei, weil deren Regierung von einer Partei der Organisation gestellt wird, der AKP. Katar, weil sie mit der Muslimbruderschaft einen Trumpf gegen den starken Nachbarn Saudi-Arabien fördert. Während die Türkei sich mit dem phänomenalen Aufstieg der Muslimbruderschaften in Ägypten, Tunesien, Jordanien und Syrien schon als Führer eines zukünftigen neoosmanischen Reiches um das Mittelmeer sah, verfolgte Katar mit seiner massiven finanziellen Unterstützung für Mursi vor allem eigene, strategische Wirtschaftsinteressen. Als kleines Land mit wenig Bevölkerung versucht Katar, seinen Einfluß durch Investitionen in wirtschaftliche Schlüsselindustrien in Afrika, rund ums Mittelmeer und in Europa auszubauen. In Ägypten ist es die Kontrolle über den Suezkanal, eine wirtschaftlich und militärisch zentrale Versorgungslinie in der Region und wichtigste Einkommensquelle für Ägypten. Um Port Said, den wichtigsten Hafen am Suezkanal, befindet sich die größte Industriezone Ägyptens mit knapp 500 Firmen und Fabriken. Auch die Tourismusindustrie spielt eine wichtige Rolle. Katar hat in den letzten Jahren viel entlang des Kanals investiert und will offenbar die Kontrolle über das große Containergeschäft übernehmen, das bisher von den Vereinigten Arabischen Emiraten (Dubai Ports World) angeführt wird. Generalmajor Ahmed Wasfi, zweithöchster Kommandeur des ägyptischen Heeres, bezeichnete schon im März 2013 die Kontrolle über den Suezkanal für das Militär, dessen Führung auch zur Wirtschaftselite des Landes gehört, als »rote Linie«, die niemand überschreiten dürfe.

Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Kuwait haben sich eindeutig hinter das Militär und die Übergangsregierung gestellt, die ihre regionalen Interessen besser bedienen als die Muslimbruderschaft. Kuwait hat Ägypten die Lieferung von 4,5 Millionen Barrel Öl zugesagt, die Golfstaaten haben erklärt, alle Kosten zu übernehmen, sollten Europa oder die USA Zahlungen an Ägypten einstellen. Das Angebot ist nicht nur eine deutliche Parteinahme für Militär und Übergangsregierung, es hilft dem Westen, auch vor der eigenen Bevölkerung das Gesicht zu wahren.

In Israel hat Ministerpräsident Benjamin Netanjahu seiner Regierung ein Redeverbot mit den Medien verordnet, sollten diese eine israelische Meinung zu den Ereignissen in Ägypten erfragen wollen. Allerdings dürften die israelischen Interessen mit Militär und den »Feloul« der Mubarak-Zeit besser bedient sein als mit der Muslimbruderschaft, die der Hamas zu enormer politischer Anerkennung verholfen hatte. Da die Interessen Europas und der USA in der Region vor allem den Interessen Israels folgen, halten sich Washington und Brüssel bisher mit einer deutlichen Parteinahme zurück.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 21. August 2013


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