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Ägypten nach der Revolution

Von Rüdiger Göbel *

Die Dauerproteste auf dem Tahrir-Platz in Kairo im Januar 2011 waren prägend für das, was als »arabischer Frühling« in die Geschichtsbücher eingehen wird. Ein Land im Aufbruch zwang den Langzeitpräsidenten Hosni Mubarak zum Rücktritt. Wahlen brachten mittlerweile Mohammed Mursi von den Muslimbrüdern an die Macht. Der Westen scheint sich mit dem Neuen in Kairo ganz gut zu arrangieren, die sozialen Probleme im Land am Nil bleiben die alten. Was ist also aus der Revolution in Ägypten geworden?

Gabriele Habashi beobachtet seit über 20 Jahren die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen in Ägypten, lebt mit ihrem Mann in Kairo. In der Hoffnung auf Neuerungen hat sich an den Protesten im vergangenen Jahr teilgenommen. Die Mobilisierung auf dem Tahrir-Platz begeisterte sie. Im jW-Gespräch beschrieb sie die Demonstranten als »friedlich und freundlich«. Die Menschen hätten sich über die Religionsgrenzen hinweg verbündet. »Es war wie bei einem Volksfest, ähnlich wie Woodstock: Alle waren happy.« (jW vom 3.2.2011)

Im Buch »Das neue Ägypten. Wege zur Demokratie« hat sie nun ihre Eindrücke aus den Tagen der Revolution lebendig aufgeschrieben – die Ängste, als Mubaraks Schläger über die Protestierenden herfielen, die Unsicherheit über das weitere Agieren der Armee. Der Jubel, als der »Pharao« gehen muß. Immer wieder kommen Aktivistinnen und Aktivisten jener Tage zu Wort.

»In Ägypten hatte sich das Volk lange in seine Rechtlosigkeit ergeben und hingenommen, daß vom Staat in bezug auf Bildung, Gesundheitsfürsorge oder öffentliche Infrastruktur nichts mehr zu erwarten war. Armut, Unterentwicklung und die mit Füßen getretene Menschenwürde bildeten den sozialen Sprengstoff, der zum Umsturz führte.« Die Demonstrationen im vergangenen Jahr hätten viele soziale Mißstände angeprangert, viele kleine Reformen seien seitdem eingeleitet worden, »doch noch immer ist die Schere zwischen Arm und Reich immens groß«.

Die Revolution 2011 habe Kräfte vereinigt, die etwas anderen wollten als das bestehende System. Nach dem Sturz Mubaraks herrsche nun Uneinigkeit darüber, was dieses andere sei. »Die derzeitige politische Führungsebene repräsentiert nicht die revolutionären Kräfte, die Masse des unterdrückten Volkes, sie profitiert nur von dessen Richtungs- und Führungslosigkeit«, schreibt Habashi. Und weiter: »Die Massen hatten ein Bauchgefühl – sie wollten ein besseres Leben. Die Islamisten hatten ihnen dies versprochen und sind so an die Macht gekommen. Nun ersetzen sie brennende soziale Fragen durch religiöse Diskussionen.« Statt sich mit Reformen im Bildungs- und Gesundheitssystem zu befassen würden Anträge im Parlament ausgearbeitet, die islamische Rechtsprechung in der Verfassung zu verankern und das Scheidungsrecht für Frauen zurückzunehmen.

Ob sich in Ägypten am Ende eine Demokratie etabliere, werde aber nicht nur auf nationaler Ebene entschieden, urteilt Habashi. »Auch die internationalen politischen Interessen haben einen Einfluß auf die künftige Politik Ägyptens. Der Westen muß sich entscheiden, ob er das Risiko eingehen will, daß sich eine demokratisch gewählte Regierung eventuell gegen seine politischen Interessen stellt.« Gegenwärtig können USA und EU ganz gut mit den Muslimbrüdern an der Macht leben

Gabriele Habashi: Das neue Ägypten - Wege zur Demokratie. Edition Steinbauer, Wien 2012, 160 Seiten, 22,50 Euro

* Aus: junge Welt, Montag, 08. Oktober 2012


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