Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Ägypten blickt auf die Armee

Trotz Regierungsumbildung reißen die Forderungen nach Rücktritt Mubaraks nicht ab *

Auch mit neuen Demokratieversprechen und massiver Militärpräsenz bekommt die ägyptische Staatsführung die Massenproteste nicht in den Griff.

Am Samstag und Sonntag (29. und. 30. Jan.) gingen wieder Zehntausende gegen das Regime von Präsident Hosni Mubarak auf die Straße. Nach unbestätigten Berichten soll es dabei erneut Tote gegeben haben. Insgesamt kamen seit Freitag bei den landesweiten Unruhen nach einer Zählung des arabischen Senders Al-Dschasira mehr als 100 Menschen ums Leben. Insgesamt sollen seit Beginn der Unruhen vor einer Woche 150 Personen getötet worden sein.

Mubarak ernannte Geheimdienstchef Omar Suleiman am Samstag zu seinem Stellvertreter. Unter dem Eindruck der Massendemonstrationen hatte Mubarak in einer Fernsehansprache am Freitagabend die Bildung eines neuen Kabinetts angekündigt und »neue Schritte hin zu mehr Demokratie« und eine Verbesserung des Lebensstandards versprochen.

Beim Versuch, Insassen des Gefängnisses Abu Saabal in der ägyptischen Provinz Kaljubija zu befreien, starben nach Medienberichten acht Menschen, mehr als 100 wurden verletzt. Vor dem Gebäude des Fernsehens forderten Soldaten die Menschen auf: »Geht nach Hause«.

Im Gefolge friedlicher Demonstranten treiben Plünderer und kriminelle Randalierer ihr Unwesen. Sie verwüsteten Geschäfte und Supermärkte, andere griffen eine Villensiedlung nahe der Hauptstadt an. Der in Kairo unter Hausarrest stehende Friedensnobelpreisträger Mohammed el-Baradei rief Mubarak in Al-Dschasira zum Rücktritt auf. Eine Regierungsumbildung sei nicht genug. Das Kairoer Büro des Senders musste inzwischen schließen. Am Sonntag nahm Baradei trotz seines Hausarrests an einer Demonstration teil.

US-Präsident Barack Obama drängte Mubarak zur Umsetzung der Reformversprechen. Dieser habe »die Verantwortung, seinen Worten eine Bedeutung zu geben«, sagte Obama. Angesichts der Lage drohte das Weiße Haus Einschnitte bei der milliardenschweren Unterstützung für Kairo an.

* Aus: Neues Deutschland, 31. Januar 2011


"Das hier in Ägypten ist eine Revolution"

Deutsche Regierung soll aufhören, "Diktatoren zu unterstützen"

Von Karin Leukefeld, Kairo **


Sieben Uhr, Sonntagmorgen in Kairo. Nach sechs Tagen des Protestes hat eine neue Arbeitswoche angefangen – eigentlich

Die Sonne ist schon lange aufgegangen, doch erst gegen acht Uhr sieht man die ersten Autos auf den Straßen. Acht Uhr ist das offizielle Ende der Ausgangssperre, die seit Donnerstagabend jeweils für die Nachtstunden gilt und am Samstag auf 16 Stunden ausgedehnt worden war. Bis zu 50 000 Menschen hatten sich den ganzen Samstag über wie schon in den vorherigen Tagen auf dem zentralen Tahrir-Platz versammelt und weiter den Rücktritt von Präsident Hosni Mubarak verlangt.

Ebenso deutlich brachten sie ihren Unmut über den neu ernannten Vizepräsidenten, Geheimdienstchef Osman Suleiman, und den neuen Ministerpräsidenten, den Luftwaffengeneral Ahmed Scharif, zum Ausdruck. Nur wenige der Demonstranten waren bereit zu gehen, als um 16 Uhr die Ausgangssperre begann.

Tahrir heißt Unabhängigkeit, dieser Platz ist also von hohem symbolischen Wert für die Ägypter, nicht nur, weil Ägyptens legendärer erster Präsident Gamal Abdel Nasser hier seine wichtigsten Reden hielt. Jenseits des Tahrir-Platzes, wo die Menschen die ganze Nacht über ausharrten, waren in der Nacht zum Sonntag die Straßen der ägyptischen Hauptstadt wie leer gefegt. Auf dem Internationalen Flughafen war kaum ein Wagen ins Zentrum der Stadt zu bekommen. Die wenigen, die fuhren, nutzten die Ausnahmesituation zu völlig überhöhten Fahrpreisen.

Da die Hauptverbindungsstraßen vom Militär gesperrt worden waren, suchte mein Taxifahrer seinen Weg durch abseits gelegene Wohnviertel. Weil sich die Polizei seit Freitagnachmittag zunehmend aus dem Straßenbild zurückgezogen hatte, haben sich Bürgerwehren zum Schutz ihrer Wohnviertel gebildet. Gespenstisch tauchen deshalb während meiner Fahrt durch Kairo Gruppen von Männern mit Holzstöcken auf, die den Wagen anhalten, das Fahrziel erfragen.

»Vom Flughafen nach Zamalek«, murmelt der Fahrer, zeigt seinen Ausweis und fragt, welcher Weg dorthin frei und sicher sei. Als die Männer sehen, dass eine Ausländerin im Wagen sitzt, nicken sie freundlich und zeigen dem Fahrer den Weg. »Willkommen daheim«, sagt ein älterer Mann lächelnd.

Vor dem Haus des Präsidenten im Stadtteil Heliopolis hat das Militär die Straße gesperrt, öffnet aber höflich nach der Ausweiskontrolle die roten Absperrgitter und wünscht »Gute Fahrt«. Das ärmliche Viertel Bolaq, wo Anfang des 19. Jahrhunderts noch viele Europäer lebten, ist von Kämpfen gezeichnet: Ausgebrannte Autowracks, Steine, Scherben, Reste von Barrikaden liegen über die Straße verstreut. Gruppen von Männern umringen das Taxi, fuchteln mit ihren Stöcken herum und schauen neugierig durch die Fenster. »Eine Ausländerin, willkommen«, rufen sie und geben rasch den Weg frei, nachdem der Fahrer erneut seinen Spruch »Vom Flughafen nach Zamalek« aufgesagt hat. Nur wenige Meter weiter sitzen die Männer rauchend in Straßencafés. In einem strahlend erleuchteten Obstgeschäft sind Birnen und Apfelsinen kunstvoll aufgetürmt, allerdings das einzige geöffnete Geschäft weit und breit.

»Dies ist eine Revolution«, sagt der Mediziner und Anthropologe, Prof. Youssef Zaki von der Ain Shams Universität der Stadt, der der oppositionellen Wafd-Partei nahe steht. Sollte sie gelingen, wäre es sogar die erste wirkliche Revolution, weil sie nicht nur die Hauptstadt sondern das ganze Land erfasst habe. Mubarak sei »eben so stur wie alle Ägypter«, er habe sich vorgenommen, als Präsident zu sterben, vorher werde er nicht abtreten.

Unklar sei derzeit, wie das Militär sich verhalten werde. Aber heute sei ein wichtiger Tag. »Entweder Mubarak oder das Volk, die Armee muss sich entscheiden«, ist denn auch auf einem der Transparente zu lesen, die die Demonstranten am Sonntagmorgen um den Tahrir-Platz tragen. Und während im Hintergrund die Menge einer Panzerbesatzung applaudiert, die sich mit ihrem Fahrzeug vorsichtig einen Weg durch die Demonstranten bahnt, sagt ein älterer Geschäftsmann mit zum Siegeszeichen erhobenen Fingern: »Dies ist der Anfang vom Ende! Und sagen Sie der deutschen Regierung, sie soll aufhören, Diktatoren zu unterstützen. Wir, das Volk, verdienen Unterstützung«.

Die Unruhen in Ägypten gefährden auch die antiken Kunstschätze des Landes. Im Ägyptischen Museum, wo der Schatz des Tutanchamun ausgestellt ist, kam es zu Plünderungen und Zerstörungen. Arabische Fernsehsender zeigten Bilder umgestürzter Figuren und eingeschlagener Vitrinen in der weltberühmten Sammlung. Die Direktorin des Museums, Wafaa el-Saddik, machte Wachpersonal und Polizisten dafür verantwortlich.

** Aus: Neues Deutschland, 31. Januar 2011

Waffenexporte nach Ägypten beenden!

Gemeinsame Pressemitteilung
  • Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK),
  • Kampagne gegen Rüstungsexport bei Ohne Rüstung Leben (ORL)
  • und RüstungsInformationsBüro (RIB e.V.)
vom 30. Januar 2011

Friedensorganisationen kritisieren „aktuelle Verdoppelung der Waffenexporte an das diktatorische Regime in Ägypten“ ++ „Ägypten ist als Entwicklungsland bedeutendster Empfänger deutscher Waffen“ ++ Grässlin und Russmann fordern „sofortigen Rüstungsexportstopp für Ägypten und alle anderen menschenrechtsverletzenden Staaten“

Frankfurt / Freiburg / Stuttgart. In Ägypten ist seit dem Jahr 1981 die Notstandsgesetzgebung ununterbrochen in Kraft, die Menschenrechtslage katastrophal.[1] Mit der Waffengewalt staatlicher Sicherheitskräfte, die selbst massiv an Menschenrechtsverletzungen beteiligt waren und sind, konnte sich das diktatorische Regime in Kairo drei Jahrzehnte lang an der Macht halten. Derzeit riskieren Ägypterinnen und Ägyptern ihr Leben, indem sie ihren Protest gegen das diktatorische Regime unter Hosni Mubarak öffentlich artikulieren. Ägyptische Polizisten schießen auf weit überwiegend friedliche Demonstranten, mehr als hundert Menschen sind bereits ums Leben gekommen.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle erklärte, „der Weg zur Stabilität führt über die Wahrung der Menschen- und Bürgerrechte“.[2] Erklärungen wie diese „wirken heuchlerisch angesichts der Tatsache, dass Deutschland zu den Hauptwaffenlieferanten der diktatorischen Machthaber in Ägypten zählt“, sagte Jürgen Grässlin, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) und Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.). Der Freiburger Rüstungsexperte warf der Bundesregierung vor, dass sie 2009 gegenüber dem Vorjahr „mehr als eine Verdoppelung der Lieferungen von Waffen und Rüstungsgütern an Ägypten genehmigt“ habe. So sei der Genehmigungswert von 33,6 Millionen Euro (2008) auf 77,5 Millionen Euro (2009) „dramatisch gesteigert worden“.

„Die Einzelgenehmigungen für ‚Kleinwaffen’ sind aufgrund der hohen Opferzahlen besonders folgenschwer“, so Jürgen Grässlin. Die für ihre rücksichtslose Vorgehensweise bekannte ägyptische Polizei verfüge über Maschinenpistolen des Typs MP5, entwickelt von Heckler & Koch in Oberndorf. Allein im Jahr 2009 habe Ägypten weitere 884 Maschinenpistolen und Bestandteile im Wert von 866.037 Euro erhalten.[3]

„Die Machthaber in Kairo erhielten Teile für Panzer, gepanzerte Fahrzeuge, militärische Landfahrzeuge und Kommunikationsausrüstung“, erklärte Paul Russmann, Sprecher der Kampagne gegen Rüstungsexport bei Ohne Rüstung Leben (ORL). Insgesamt sei „Ägypten mittlerweile sogar das bedeutendste Empfängerland in der Liste der aus Deutschland belieferten Entwicklungsländer“.

Die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) stufte Ägypten in ihrem Rüstungsexportbericht 2009 als „problematisches“ Empfängerland ein. Die dortige Menschenrechtssituation sei laut Bericht der beiden großen christlichen Kirchen „sehr schlecht“, die Gefahr der Unverträglichkeit von Rüstung und Entwicklung sei „groß“.[4] „Angesichts der katastrophalen Menschenrechtslage hätte Ägypten unter Diktator Mubarak niemals Waffen aus Deutschland und anderen Ländern erhalten dürfen“, erklärte ORL-Sprecher Paul Russmann.

Grässlin und Russmann forderten die Bundesregierung auf, „mit sofortiger Wirkung einen Rüstungsexportstopp gegenüber Ägypten und allen anderen menschenrechtsverletzenden Staaten zu verhängen“.

Quellen:
  • AMNESTY INTERNATIONAL REPORT 2010, Ägypten, S. 67 ff.
  • Focus Online vom 26.01.2011
  • Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter im Jahre 2008 (Rüstungsexportbericht 2008), S. 106 und Rüstungsexportbericht 2009, S. 15, 24, 34, 110
  • GKKE-Rüstungsexportbericht 2009, Fachgruppe Rüstungsexporte, S. 40



Zurück zur Ägypten-Seite

Zur Seite "Rüstungsproduktion, Waffenexport"

Zurück zur Homepage