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Black Bloc am Nil

Ägypten: Staatsapparat und Islamisten in Rage wegen des Auftauchens anarchistischer Gruppierungen

Von Tomasz Konicz *

Ägyptens Staatsmacht scheint einen neuen Lieblingsfeind gefunden zu haben. Am 29. Januar ordnete Generalstaatsanwalt Talaat Abdallah den Polizei- und Sicherheitskräften des Landes an, alle Mitglieder des »Schwarzen Blocks« zu verhaften, die an den Kundgebungen und Demonstrationen der Regierungsgegner teilnehmen. Der »Black Bloc«, dessen plötzliches Auftauchen in der ägyptischen Oppositionsbewegung für viel Aufregung sorgte, sei eine »terroristische Organisation«, erklärte die Staatsanwaltschaft. Bei der folgenden Verhaftungswelle wurden landesweit inzwischen rund 170 Jugendliche festgenommen, denen die »Mitgliedschaft« in dem Black Bloc vorgeworfen wird. Einige Jugendliche wurden sogar angeklagt, Teil einer »israelischen Verschwörung« zu sein.

Zeitgleich wurde eine wütende Pressekampagne in den staatsnahen Medien entfacht, bei der die Aktivisten des Black Bloc als der ideale Sündenbock fungieren und für alle möglichen Gewaltakte verantwortlich gemacht wurden. Vertreter der Muslimbruderschaft warfen den radikalen Anarchisten vor, sie hätten ihre Parteibüros in etlichen Städten Ägyptens attackiert und in Brand gesetzt. In der regierungsfreundlichen Zeitung Al-Ahram wurden Mitglieder des Black Bloc beschuldigt, ein Luxushotel in der Nähe des Tahrir-Platzes in Kairo angegriffen zu haben. Islamistische Extremisten bezeichneten den Black Bloc als eine Miliz und drohen inzwischen mit dem Aufbau eigener bewaffneter Formationen.

Die Repressionskampagne scheint die Begeisterung der perspektivlosen ägyptischen Jugend für diese Protestformen, die sich an den anarchistischen Taktiken innerhalb der globalisierungskritischen Bewegung orientieren, nicht gemindert zu haben: »Auf dem Tahrir wurden am Montag Händler, die schwarze Masken verkauften, von jungen Männern umschwärmt«, berichtete ein AP-Reporter gestern. Tatsächlich stellt der Black Bloc in Ägypten eine neue Organisationsform dar, die laut Oppositionsaktivisten in Reaktion auf die Übergriffe von Schlägertrupps der Muslimbruderschaft auf Oppositionskundgebungen am 10. Dezember 2012 entstanden sei. Blockmitglieder, die erstmals bei den Auseinandersetzungen am zweiten Jahrestag der Revolution am 25. Januar in Erscheinung traten, propagieren folglich die militante Selbstverteidigung gegen die zunehmenden brutalen Übergriffe der Polizeikräfte und angeheuerter Schlägerbanden, denen oftmals Frauen zum Opfer fallen.

Innerhalb des Black Bloc sind – neben vielen perspektivlosen Jugendlichen – vor allem Mitglieder der diversen linken Gruppierungen Ägyptens zu finden, die hierin eine gemeinsame Aktionsform, eine »Idee, die jeder übernehmen kann«, gefunden hätten, wie es ein Aktivist formulierte. Zudem würden die kampferfahrenen ägyptischen Fußballfans, die sogenannten Ultras des Klubs Al-Ahly, diese Taktik vermehrt übernehmen. Die Bewegung ist größtenteils spontan entstanden und verfügt inzwischen über eine netzwerkartige Struktur. Die Koordination der Aktionen erfolgt über Facebook-Gruppen oder Twitter-Accounts, die binnen weniger Tage Zehntausende von Unterstützern gefunden haben. In einem Interview mit der Zeitung Al-Watan bezifferten Anarchisten das landesweite Mobilisierungspotential des Black Bloc auf rund 10000 Militante. Akram Ismail, Aktivist der Sozialistischen Volksallianz, schätzte gegenüber der FAZ, daß in Kairo rund »3000 bis 4000« Anhänger des Black Bloc bereit wären, »alles zu geben«.

Neben spontaner Sympathie seitens vieler Demonstranten, die die militanten Aktivisten aufgrund ihrer Schutzfunktion erfahren, mehren sich innerhalb der Opposition aber kritische Stimmen. Die Mitglieder des Black Bloc hätten zwar »ehrliche« Absichten, erklärte der linke Aktivist Hossam Al-Hamalawy gegenüber der Nachrichtenagentur AP, aber sie könnten dennoch »gefährlich für die Revolution« werden. Viele Oppositionelle befürchten, daß der Regierungsapparat und islamistische Extremisten das Auftauchen des »Schwarzen Blocks« zum Vorwand nehmen würden, um die »Proteste zu delegitimieren« und zur exzessiven Gewaltanwendung gegenüber der Opposition überzugehen. Der Black Bloc stelle in dieser Hinsicht »den perfekten Gegner« für den Staat dar, wie es etwa der populäre Blogger Mahmoud Salem formulierte

* Aus: junge Welt, Dienstag, 5. Februar 2013


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