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Atomwaffenfreie Zone

Ägyptens Regierung verstärkt Offensive für Verbot von Kernwaffen im Nahen Osten. Israel soll Sperrvertrag beitreten

Von Fareed Mahdy, Istanbul (IPS) *

Ägypten hat mit Unterstützung arabischer Staaten und der Türkei seine bald 40jährigen diplomatischen Bemühungen intensiviert, die Krisenregion Nahost von Massenvernichtungs- und insbesondere Atomwaffen zu befreien. Bereits vor Beginn der Konferenz zum Atomwaffensperrvertrag (NPT), die vom 3. bis 28. Mai in New York stattfindet, bedauerte die Regierung in Kairo in einem Papier an alle Teilnehmerstaaten die fehlenden Fortschritte bei der Umsetzung der UN-Resolution von 1995, die vorangegangene Resolutionen über die nukleare Abrüstung der Region bestätigt hatte. Ägypten setzt sich derzeit dafür ein, daß sich alle Nahost-Staaten im kommenden Jahr zusammenfinden, um sich auf ein formelles Abkommen zu verständigen, in dem sie sich zu einer wirksamen nuklearen Abrüstung der Region verpflichten.

Israel ist das einzige Land in der Region, das im Besitz von Atombomben ist. Es soll über 200 atomare Sprengsätze verfügen - das sind doppelt so viele wie in den Arsenalen der Atommächte Indien und Pakistan zusammen lagern. Israel ist weder bereit, Auskunft über sein Nuklearprogramm zu geben, noch dem Atomwaffensperrvertrag beizutreten. Kein Wunder also, daß Ministerpräsident Benjamin Netanjahu seine Teilnahme am »Gipfel für nukleare Sicherheit« absagte, zu dem US-Präsident Barack Obama vom 13. bis 14. April nach Washington geladen hatte.

Mit seinen Forderungen in dem Papier an die derzeit in New York tagenden NPT-Mitglieder steht Ägypten nicht allein da. Unterstützt wird Kairo auch von der Türkei, den arabischen und etlichen afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Ländern. Vorstellbar wäre ferner, daß Frankreich und die skandinavischen Länder den Vorschlag unterstützen und die USA darauf verzichten, ihr Veto gegen den Vorstoß einzulegen.

Vertrag für alle Staaten

Ägypten setzt sich laut einer Quelle des Außenamts dafür ein, daß alle Staaten dem NPT beitreten. Dazu gehöre auch Israel, das mit seiner Beitrittsweigerung den Frieden und die Sicherheit in der Region unerreichbar mache, hieß es. Wie der Regierungsvertreter weiter erklärte, müsse der Streit um das iranische Atomprogramm ausschließlich politisch gelöst werden. »Wir sind aufgrund der möglichen negativen Folgen für Sicherheit und Stabilität in der Region gegen jeden Militäreinsatz.« Alle NPT-Mitgliedsländer hätten zwar das Recht, von den Vorteilen des Vertrags im Hinblick auf die friedliche Nutzung der Kernkraft zu profitieren, müßten sich aber an die Spielregeln des Abkommens halten.

Auch Ägyptens staatlicher Informationsdienst SIS hat die Position des Landes in einem Papier dargelegt. Darin heißt es, daß die »ägyptische Vision für Frieden und Stabilität in der Region auf Fundamenten und Prinzipien beruht wie der fairen Behandlung der Palästinenserfrage und der integralen Anwendung aller international legitimierten Resolutionen«.

Ferner fordert das Dokument die Einhaltung des Prinzips, die Unabhängigkeit und Souveränität aller Staaten zu respektieren. Darüber hinaus erging die Forderung, die Region vor jeder Form des Wettrüstens zu bewahren, ob es sich nun um Atom- oder andere Massenvernichtungswaffen handele. Ferner will Kairo alle Nahoststaaten gleichermaßen ermutigen, sich den internationalen Kontrollen zu unterziehen.

Ägypten hat bereits mehrfach wiederholt, daß in den Verhandlungen das Gleichheitsprinizip gewahrt bleiben müsse. Sonderbehandlungen sowohl bei der Auswahl der Massenvernichtungswaffen als auch der jeweiligen Länder werden kategorisch abgelehnt. Die Befreiung der Region von allen Massenvernichtungswaffen einschließlich Kernwaffen müsse unter einer allumfassenden internationalen Kontrolle unter Führung der Vereinten Nationen und den jeweiligen UN-Organisationen erfolgen.

Kairo hatte ein US-Angebot aus dem letzten Jahr zurückgewiesen, die Region als Teil eines umfassenden Nahost-Friedensplans durch einen »Schutzschirm« vor einem potentiellen Atomwaffenangriff abzusichern. Ein solcher Schirm kommt bei Allianzen zwischen den USA und Nicht-Atommächten wie Japan, Südkorea, einem Teil Europas, der Türkei, Kanada und Australien zum Tragen.

Frieden und Stabilität

Im August 2009 hatte Ägyptens Staatspräsident Hosni Mubarak bei seinem ersten Besuch in Washington nach fünf Jahren erklärt, daß die Region Nahost keinen Schutzschild brauche, sondern Frieden, Sicherheit, Stabilität und Entwicklung. Damit erneuerte er den Ruf Ägyptens nach einer atomwaffenfreien Nahostregion. Bereits am Vorabend seiner US-Reise hatte er gegenüber der einflußreichen Tageszeitung Al Ahram erklärt, daß »Ägypten nicht Teil eines US-amerikanischen Atomschutzschirmes zur Sicherung der Golfstaaten werden will«. Solche Schutzschilde, Relikte aus Zeiten des Kalten Krieges, seien an Bedingungen geknüpft wie das Einverständnis, fremde Truppen und Experten ins Land zu lassen, erläuterte Mubarak. »Das können wir nicht akzeptieren.«

Parallel zu dem Interview hatte sich der Sprecher des ägyptischen Präsidialamts, Suleiman Awad, zur gleichen Sache zu Wort gemeldet. Das Thema nuklearer Schutzschirm sei nicht zum ersten Mal aufgebracht worden. Er sei Teil der US-Militärpolitik. Neu sei der Vorschlag nur im Zusammenhang mit dem Nahen Osten.

Der Iran habe wie jeder andere NPT-Staat das Recht auf eine friedliche Nutzung der Atomkraft, müsse aber seine friedlichen Absichten unter Beweis stellen. Gleichzeitig vertrat der Präsidentensprecher die Meinung, daß auch die atomaren Kapazitäten Israels thematisiert werden müßten.

Ägypten hat sich mit seinen bereits 36jährigen Bemühungen um eine atomwaffenfreie Region Nahost als Teil einer übergeordneten Kampagne für eine massenvernichtungsfreie Zone die Unterstützung der Liga der Arabischen Staaten gesichert. So erklärte unlängst der Generalsekretär des 22 Staaten zählenden Bündnisses, Amre Musa, daß ein atomwaffenfreier Naher Osten »ein Muß« sei. Musa ist Mitglied der Weltkampagne »Global Zero«, die für die globale Abschaffung von Atomwaffen eintritt.

Neun der arabischen Unterstützerstaaten - Algerien, Dschibuti, Libyen, Mauretanien, Marokko, Somalia, Sudan, Tschad und Tunesien - liegen auf dem afrikanischen Kontinent, der 2009 zur atomwaffenfreien Zone erklärt wurde. Sie gehören alle der Arabischen Liga an.

Trotz des breiten Rückhalts für eine atomwaffenfreie Zone Nahost räumt UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon dem Unternehmen mit dem Hinweis auf den Nahostkonflikt nur geringe Chancen ein. Das Haupthindernis nannte er allerdings nicht beim Namen. Schließlich ist Israel ein vollwertiges UN-Mitglied.

* Aus: junge Welt, 18. Mai 2010


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