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"Der konkrete Widerstand wird immer wichtiger"

Friedensaktivisten beraten am Wochenende in Kassel über die Themen für das nächste Jahr. Ein Gespräch mit Sabine Schiffer *


Sabine Schiffer ist Leiterin des Instituts für Medienverantwortung (IMV) in Erlangen.


Die Friedensbewegung erweckt mitunter den Eindruck, sich zwar intensiv akuten Krisen zu widmen, aber nicht strategisch zu denken und dann unvermittelt vor dem nächsten Krieg zu stehen. Trifft das zu?

Nein, das zeigt schon das Programm des Friedensratschlags. Würde man der Friedensbewegung auch außerhalb aufgeregter Zeiten Aufmerksamkeit schenken, wäre wahrnehmbar, daß viele Personen und Institutionen kontinuierlich Fakten sammeln und damit teilweise Entwicklungen früher richtig einschätzen können als andere. Die Friedensbewegung hat allenfalls ein Kommunikationsproblem. Da sehe ich auch die Medien in der Pflicht, die zumeist nur dann hingucken, wenn es kracht und den konstruktiven Kräften keine Stimme geben. Zum Beispiel werden die gemeinsamen Friedensbemühungen von Israelis und Palästinensern zumeist ausgeblendet.

Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Themen der Friedensbewegung?

Natürlich spielen die Konflikte, die auch die Medien behandeln, eine wichtige Rolle: der Krieg in Afghanistan, die Destabilisierung Libyens oder die Eskalation in Syrien. Aber die Friedensbewegung zeichnet sich eben auch durch langfristige Begleitung und Analyse aus, wie etwa zur Verfaßtheit von Wirtschaft und Politik und zu gesellschaftlichen Entwicklungen. Zentrale Thema sind stets die Rüstung und deren Export sowie die Strategien zur Einstimmung der Menschen auf kriegerische Interventionen. Immer wichtiger wird der konkrete Widerstand – etwa in Form der Zivilklausel-Bewegung, die unter anderem fordert, an Hochschulen keine Rüstungsforschung zu betreiben.

Wie steht die deutsche Friedensbewegung zum Syrien-Konflikt?

Ob »die deutsche Friedensbewegung« homogen ist, kann ich nicht beurteilen. Wichtig scheint mir, daß man sich eben nicht für eine Seite entscheidet, sondern klar die Gewalt als Mittel der Politik ablehnt. Bei allen Versäumnissen Assads in den vergangenen Jahren hätte es – wie auch im Falle Iraks – andere Mittel zu Veränderungen gegeben als einen Bürgerkrieg. Wir sind skeptisch, welche Kräfte da wirklich mitmischen und welche Ziele sie verfolgen. Die Menschen in dieser Region ziehen wie immer den Kürzeren.

Was trägt Ihr »Institut für Medien-Verantwortung« zur Friedensbewegung bei?

Unsere Arbeit gründet sich auf Humanismus, Menschen- und Völkerrecht. Wir analysieren und diskutieren vor diesem Hintergrund öffentliche Debatten, mediale Darstellungen und Prozesse. Nur ein Beispiel: Es ist auffällig, wie sich das Bild des angeblich gefürchteten Islamisten verändert. In Afghanistan zunächst als Partner gegen den Kommunismus, heute als Feind – in Syrien und Libyen hingegen – partiell – wieder als Verbündeter. Über die Beschäftigung mit Desinformation, Kriegsrhetorik, Propaganda und Feindbilder kam ich zur Friedensbewegung und fühle mich da genau an der richtigen Stelle.

Sie moderieren am Sonntag das Abschlußplenum mit außerparlamentarischen Aktivisten und der Linken-Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen. Wie wichtig ist die Linkspartei für die Friedensbewegung?

Bisher ist die Linke die einzige Partei, die dem Krieg eine klare Absage erteilt. Ich sage »bisher«, weil ich die Hoffnung nicht aufgeben will, daß auch die Piraten diesen Weg finden und die Grünen und die SPD vielleicht wieder dorthin zurückfinden. Aber ich sage auch deswegen »bisher«, weil es nicht sicher ist, ob die Linke standhaft bleibt. Es gibt genügend Kräfte, die – aus welchen Gründen auch immer – von außen und von innen dagegen arbeiten. Dieser Gefahr muß sich die Friedensbewegung bewußt sein.

Was muß man zum Friedensratschlag noch wissen?

Er ist ein 24-Stunden Kongreß – naja genaugenommen 26. Er beginnt mit einer Plenarsitzung und nach einführenden Vorträgen wird in einzelnen Arbeitsgruppen beraten. Die Themenpalette ist noch breiter, als ich sie eben beschrieben habe, es gibt jedes Mal Auswahlprobleme. Aber Plenumsvorträge und Abschlußpodium sorgen für eine gewisse Stringenz in der Setzung von Schwerpunkten.

Interview: Frank Brendle

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 29. November 2012


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