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Eigene und fremde Feder

Die neue CD "herzverloren" von Barbara Thalheim: Frankreich satt

Anmerkung der AG Friedensforschung:
Den folgenden Bericht über die Liedermacherin Barbara Thalheim dokumentieren wir auf unserer Website, weil er einen guten Einblick in das Schaffen der außergewöhnlichen Künstlerin gibt. Barbara Thalheim gibt das Eröffnungskonzert zum Friedenspolitischen Ratschlag am 5. Dezember 2008 in Kassel. Ihr Programm heißt: "immer noch immer". Begleitet wird sie von dem Ausnahme-Akkordeoisten Jean Pacalet.


Von Hanno Harnisch *

Dass von Songs, Chansons und Liedern gelegentlich Coverversionen angefertigt werden, gehört zu den Usancen des Musikgeschäfts, national wie weltweit. Viele Bands, auch in der DDR, haben damit angefangen, ihre musikalischen Vorbilder zu kopieren, meist in deren Sprache. Das war in der Regel das Englische. Interessant wurde es aber, wenn Lieder von einer Sprache in eine andere »geschmuggelt« wurden. Nach wie vor will mir zum Beispiel nicht aus dem Ohr, wie der Chansonnier Jürgen Walter Ende der sechziger Jahre das einzigartige »Potemkine« von Jean Ferrat (Text von Georges Coulognes) hierzulande sang, punktgenau übersetzt von Hartmut König: »Ich will euch erzählen, was tief in mir singt,/ jener Ozeansturm, dessen Donner noch heut/ über Meere weit hin in den Herzen erklingt,/ jenes flammende Zeichen der kommenden Zeit./ Jener Name, das Fanal: Potjomkin«. Leider dehnte Walter das »Potemkiiiine« nicht so schön, wie Ferrat im französischen Original: »M'en voudrez-vous beaucoup si je vous dis un monde/ Qui chante au fond de moi au bruit de l'océan/ M'en voudrez-vous beaucoup si la révolte gronde/ Dans ce nom que je dis au vent des quatre vents/ Ma mémoire chante en sourdine: Potemkine«.


Freitag, 5. Dezember, 20 Uhr:

immer noch immer

Lieder und Chansons von und mit

Barbara Thalheim (voc./git.)

Jean Pacalet (acc./voc.)

Barbara Thalheim gilt als eine der profiliertesten politischen Liedermacherinnen in Deutschland. Mit ihrem kongenialen Partner, dem französischen Akkordeonisten und Komponisten Jean Pacalet tritt sie mit ihrem Duo-Programm „immer noch immer“ zum Auftakt des 15. Friedenspolitischen Ratschlages in Kassel auf.
Neben Liedern und Texten zur aktuellen Lage fehlen in ihrem Programm nicht die „Klassiker“ des politischen Liedes, Songs von Brecht/Weill und Eisler.

Im Bürgersaal des Rathauses, Obere Königstr. 8



So mancher französische Interpret lieferte auch gleich seine eigene deutsche (und englische, und spanische ...) Fassung ab, Vorbote musikalischer Globalisierung (und guter Vermarktung wohl auch). Und auch deutsch/deutsch gab es Adaptionen. Eine der nach wie vor geläufigsten war wohl Peter Maffay mit seiner Adaption des Songs von Karat »Über sieben Brücken«.

Nach der politischen Wende hatte die extraordinäre Liedersängerin Barbara Thalheim aus der DDR ihre Liebe zu Frankreich, die vorher eher unterschwellig vorhanden war, im besten Sinne des Wortes ausleben können. Als sie Anfang der 90er Jahre längere Zeit in Paris wohnte, wärmten sie in der Wohnung, die ihr die Vormieterin hinterlassen hatte, französische CDs mit Liedern von Michèle Bernard, Renaud, William Sheller, Maxime Le Forestier, Bernard Lavilliers, Lynda Lemay, Noir Desir, Juliette, Gilbert Laffaille. Das sind -- naturellement -- Namen, die nur wenigen Menschen in Deutschland ein Begriff sind. Die Sängerin, die aus dem für sie kalt gewordenen Berlin in das so quirlige und lebendige Paris floh, verstand kein einziges Wort und war doch euphorisiert: »Ich buk mir die Inhalte passend zu meiner Seelenlage. Kein Geld, aber in Paris, wo nichts geht ohne Geld. Kein Wort Französisch, die Freunde weit, fernab von guten Gesprächen. Isolationssüchtig und isolationsgeschädigt geriet ich in eine fremde akustische Welt von Melankomikern, Poeten, Sarkasten, Alltagsphilosophen, für die Franzosen so lebensnotwendig, wie das tägliche Baguette.« In diesen so intensiven Tagen traf sie auch auf Jean Pacalet, diesen Virtuosen auf dem Akkordeon und auf der Klaviatur der Seele. Eine bis heute andauernde Zusammenarbeit und tiefe Freundschaft waren die Folge. Barbara lernte Französisch. Vor sechs Jahren hat sie ihre besten Lieder ins Französische übertragen: »Fiere de ma grande gueule«. Das war ein hochinteressantes Experiment. Jetzt war es Zeit für sie, hier wenig bekannte Sänger und Sängerinnen aus dem Land vorzustellen, an das sie ihr Herz verschenkt hat. Und so heißt ihr neues Programm, ihre neue CD »herzverloren« (frei nach einem Chanson von Renaud, der in Frankreich etwa so populär ist, wie in Deutschland Grönemeyer).

Die Thalheim schmückt sich also ganz bewusst mit fremden Federn, mit Liedern ihrer französischen Sängerkollegen, von denen eine längst Freunde geworden sind. Die meisten dieser Lieder hat sie selbst nachgedichtet, für einige hat sie ihre Freundin Regina Scheer, aber auch den Lyriker Richard Pietraß und Michael Wüstefeld gewinnen können.

In der vorvergangenen Woche hat die Thalheim diese ihre »Liebenserklärungen an Kollegen« im (restlos ausverkauften) Kesselhaus der Kulturbrauerei Berlin vorgestellt. Und es ist wahrlich ein großes Vergnügen, sie im Konzert zu erleben. Zu jedem Lied gibt es eine Geschichte (die leider unerzählt bleibt, hört man »nur« die CD). Ähnlich viel Text wie in einem Konzert von Wolf Biermann, aber ein völlig anderer Text. Man wird nicht belehrt, man bekommt Geschichten erzählt, Schnurren von hübschen Missverständnissen zwischen Publikum und der Sängerin, wenn sie in ihren Liedansagen ungewollt schlüpfrig wird. Berichte von neuen Freundschaften. Lebenshintergründe französischer Kollegen, auf dem Land oder in der großen Stadt. Und von den Liedern, die sie für würdig befunden hat, ihrem deutschen Publikum nahezubringen.

Entstanden sind nicht einfach Coverversionen. Entstanden sind oft neue Lieder, angelehnt an ein französisches Vorbild. Es sind Lieder der Thalheim geworden. Bestens musikalisch begleitet von Rüdiger Krause (Gitarren, großartig), Topo Gioia (Percussion, perfekt) und Bartek Mleynek (Bass, begnadet). Und natürlich von Jean Pacalet (Akkordeon, allmächtig), der sich von Barbara sogar nötigen lässt, ein komplettes Lied mit ihr im Duett zu singen, obwohl er kein einziges Wort Deutsch kann. Hören Sie selbst! Entdecken Sie Frankreich und die Thalheim (und bestenfalls sich selbst) neu!

CD »herzverloren«, Pläne, ab sofort im Handel, auch im ND-Shop unter (030) 29781654.

* Aus: Neues Deutschland, 13. November 2008


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