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Deutschland im Krieg

Transatlantischer Imperialismus, NATO und EU. Band 16 der "Kasseler Schriften zur Friedenspolitik" erschienen. Vorwort und Inhaltsverzeichnis

Neuerscheinung:
Ralph-M. Luedtke, Peter Strutynski (Hrsg.): Deutschland im Krieg. Transatlantischer Imperialismus, NATO und EU. Kassel: Jenior Verlag 2009, Kasseler Schriften zur Friedenspolitik Bd. 16, 275 Seiten, EUR 15,- (ISBN 978-3-934377-17-2)


Vorwort

Die NATO kommt die Menschen teuer. Nahezu drei Viertel der weltweiten Rüstungs- und Militärausgaben werden heute von NATO-Staaten getragen. Die NATO ist die größte Militärmaschinerie, die es seit Menschengedenken gegeben hat. Gleichzeitig versteht sie es geschickt, kein Aufhebens davon zu machen. Zbigniew Brzezinski, ehemaliger Nationaler Sicherheitsberater und heute immer noch einer der einflussreichsten Vordenker US-amerikanischer Außenpolitik, beklagt in seinem jüngsten Aufsatz in der Zeitschrift „Foreign Affairs“ (September/October 2009), dass das mit viel Pomp begangene NATO-Jubiläum in Strasbourg „wenig öffentliches Interesse“ hervorgerufen habe. Insbesondere seien historische Rolle und Leistung des Militärbündnisses wie ein „Langweiler“ behandelt worden. Nun sind Brzezinski die massiven Proteste der Friedensbewegung und deren noch massiveren polizeiliche Unterdrückung gewiss nicht verborgen geblieben. Doch darüber wird lieber vornehm geschwiegen. Und doch dürften es gerade jene Ereignisse in Kehl und Strasbourg am 4. und 5. April gewesen sein, die den Langweiler jeden-falls in Frankreich und Deutschland zu einem Top-Ereignis gemacht haben.

Der vorliegende Band befasst sich im 60. Jahr der NATO-Gründung selbstverständlich mit dem westlichen „Verteidigungsbündnis“, seiner Geschichte und seiner gegenwärtigen und künftigen Rolle. Daneben kommen die Schauplätze seiner Handlungen in den Blick, insbesondere Afghanistan. Es war immerhin das erste und bisher einzige Mal, dass die NATO 2001 den Verteidigungsfall nach Artikel 5 des NATO-Vertrags ausgerufen hatte – als Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September. Seither befindet sich die NATO - und mit ihr die 28 Mitgliedstaaten – im Krieg; ob das von den Regierenden so gesehen wird oder nicht, ist dabei unerheblich. Groteske Züge hat die deutsche Debatte darüber, wie man den Krieg in Afghanistan denn nun bezeichnen solle. Die bis 2009 regierende Große Koalition aus CDU/CSU und SPD scheuen das K-Wort wie der Teufel das Weihwasser. Offenbar soll mit allen Mitteln der Schein aufrechterhalten werden, die beiden Bundeswehreinsätze in Afghanistan, die Operation Enduring Freedom und der ISAF-Einsatz unter Führung der NATO hätten in erster Linie etwas mit „Stabilisierung“ und „Wiederaufbau“ zu tun, während die mittlerweile sich wieder häufenden Berichte über Gefechte, Luftangriffe, Anschläge, Hinterhalte und Massaker allenfalls als „kriegsähnliche“ Erscheinungen, nicht aber als Kriegshandlungen qualifiziert werden. Nun, weder die verkrampfte Sprachregelung der Bundesregierung noch der in Afghanistan geführte Bundeswehreinsatz – wir nennen ihn Krieg - haben die Bevölkerung zu überzeugen vermocht. Die Ablehnungsquoten bei beliebigen Meinungsumfragen bewegen sich zwischen 60 und 80 Prozent.

Die große Debatte der Friedensgemeinde (Bewegung und Wissenschaft) dreht sich um die Reichweite der Politik des neuen US-Präsidenten Barack Obama. Von den einen als Heils- und Friedensbringer verehrt, von den anderen als besonders smarter Vollstrecker des Bushschen Erbes abgetan, verdienen sein Wahlsieg, seine Wahlversprechen und seine ersten politischen Schritte auf dem internationalen Parkett eine unvoreingenommene Würdigung. Ob der Friedensnobelpreis für Obama die richtige Art der Würdigung darstellt, darüber kann man verschiedener Ansicht sein. Wichtiger ist die Auseinandersetzung mit der von den USA beanspruchten Füh-rungsrolle in der Welt, die Obama nicht in Frage stellt, sowie mit seiner strategischen Neuorientierung der Militärpolitik in Bezug auf den zentralen Kriegsschauplatz Afghanistan. Für Brzezinski ist der Fall sonnenklar: Eine er-zwungener Rückzug aus Afghanistan wäre ein fatales Zeichen, weil er vor den Augen der Welt wie eine Wiederholung der sowjetischen Niederlage Ende der 80er Jahre erschiene. Ein Abzug würde die Glaubwürdigkeit der NATO „unterminie¬ren“ und den „Taliban-Extremisten“ in Afghanistan und Pakistan die „Kontrolle über mehr als 200 Millionen Menschen und ein Atomwaffenarsenal“ bescheren. Obamas neue Strategie in der Region „AfPak“ entscheide also letztlich über die Zukunft der NATO.

In dem vorliegenden Band geht es aber auch um die Zukunft der Menschen, nicht nur in der Ersten, sondern – vor allem – auch in der Dritten Welt. Von Aufbrüchen etwa in Lateinamerika ist daher genauso die Rede wie von Fehlentwicklungen etwa hinsichtlich der sich militarisierenden Europäischen Union, die nach dem zweiten Referendum in Irland (nach dem Motto: „Abstimmen, bis es passt“) am Ziel ihrer Wünsche angekommen zu sein scheint. Und von den vielen Fragen, welche die Weltfinanz- und Weltwirtschaftskrise 2008/2009 aufgeworfen hat, werden einige beantwortet, andere bleiben auf der Agenda der Nationen und ihrer internationalen Organisationen. Schon heute lässt sich feststellen, dass infolge der Krise die Ernährungssituation in großen Teilen der Welt schlechter geworden ist. Erst-mals überschreitet die Zahl der Hungernden 2009 die Milliardengrenze. Und dies neun Jahre nach dem Beschluss des Millenniumsgipfels der Vereinten Nationen, die Armut der Menschheit bis zum Jahr 2015 halbieren zu wollen! „Die Welt nach Bush“, so der Titel des letzten Friedenspolitischen Ratschlags im Dezember 2008, kann, muss aber nicht friedlicher, kann, muss aber nicht sozialer, kann, muss aber nicht ökologischer werden.

Wie immer darf an dieser Stelle der Dank an die Autoren nicht fehlen, die ihre Manuskripte für die Publikation aufbereitet haben. Die verspätete Drucklegung sowie alle noch vorhandenen Fehler haben allein die Herausgeber zu verantworten. Auch in diesem Jahr konnte der Preis für das Buch stabil gehalten werden – es soll schließlich auch für Studierende und geringer Verdienende erschwinglich sein. Die Themen, die in dem Band bearbeitet werden, sind es wert, größere Verbreitung nicht nur im akademischen Raum zu finden. Das sind die Herausgeber und die ganze AG Friedensforschung ihrem gesellschaftspolitischen Anliegen schuldig.

Kassel, den 15. Oktober 2009
Ralph-M. Luedtke und Peter Strutynski



Ein Blick auf Titelblatt und Buchrücken (pdf-Datei)!



Inhaltsverzeichnis
  • Vorwort
  • Frank Deppe: Die Welt nach Bush – Multilateral statt unilateral
  • Rudolf Hickel: Turbokapitalismus: Vom Terror der Finanzmärkte
  • Norman Paech: Außenpolitik der Großen Koalition – Eine Bilanz
  • Ekkehart Krippendorff: Kritik und Hoffnung – Obama und wir
  • Erhard Crome: Imperiale Überdehnung: Die USA zwischen militärischem Scheitern und wirtschaftlichem Abstieg
  • Leo Mayer: Die Multis gegen den Rest der Welt: Die Finanzkrise und die Transformation des globalen Kapitalismus
  • Johannes M. Becker: Geht das EU-Imperium gestärkt aus der US-Wahl hervor?
  • Peter Strutynski: Die Globalisierung der NATO – oder die Militarisierung des Globus?
  • Lühr Henken: Die NATO im Kalten Krieg: Verteidigungs- oder Angriffsbündnis?
  • Uli Cremer: Die NATO-Agenda 2010
  • Arno Neuber: Was kostet uns die NATO?
  • Hans C. von Sponeck: UNO und NATO: Welche Sicherheit und für wen?
  • Kai Ehlers: Gas-Russland und Öl-NATO im Kampf um die Neuaufteilung der Welt
  • Ali Fathollah-Nejad: Kriegsgefahr gebannt? Obama und der Iran
  • Matin Baraki: Truppen rein? Afghanistan den Amerikanern?
  • Elaheh Rostami-Povey: Afghan Women Resistance and Struggle
  • Werner Ruf: Terroristenbekämpfung oder Ressourcensicherung? Afrika im Visier der USA
  • Engin Erkiner: Wird die Kurdenfrage die neue Palästina-Frage? Droht ein Bürgerkrieg in der Türkei?
  • Achim Wahl: Lateinamerika in einer multipolaren Welt
  • Steffen Niese: Ende der Blockade? Kuba nach der US-Wahl
  • Ernst Woit: Söldner-Militarismus im 21. Jahrhundert
  • Jonna Schürkes: Werbung um Jugendliche: Kooperation zwischen Bundeswehr und Arbeitsagentur
  • Rolf Gössner: Militärischer Heimatschutz. Neue Sicherheitsarchitektur für den täglichen Ausnahmezustand ?


Bezugsadressen:

Verlag Winfried Jenior, Lassallestr. 15, D-34119 Kassel; Tel.: 0561-7391621, Fax 0561-774148;
E-Mail: Jenior@aol.com
oder
Universität Kassel, FB 5, Tel. 0561/804-2314; e.mail: strutype@uni-kassel.de




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