Presseartikel zum Friedensratschlag 2008
Vorankündigungen - Interviews mit von Sponeck und Strutynski
Im Folgenden dokumentieren wir:
Friedensbewegung orientiert sich
Hunderte Teilnehmer zum »Friedenspolitischen Ratschlag« in Kassel erwartet
Wird die Welt mit dem Amtsantritt des neuen US-Präsidenten Barack Obama friedlicher? Wird sie gerechter, ökologischer, mit einem Wort: besser? Dieser Frage wollen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des sogenannten Friedenspolitischen Ratschlags an diesem Wochenende in Kassel nachgehen. »Die Welt nach Bush« lautet das Motto der Veranstaltung, zu der 300 bis 400 Friedensaktivisten aus dem In- und Ausland erwartet werden.
»Mit der Wahl Barack Obamas zum US-Präsidenten verbinden sich Hoffnungen auf einen Politikwechsel, auch wenn nüchterne Analyse hier eher zur Vorsicht neigt«, schreibt die Kasseler AG Friedensforschung in ihrer Einladung. Die Kriege im Irak und Afghanistan würden weitergeführt. In anderen Regionen wie dem Kaukasus, dem Sudan oder dem Iran verschärften sich die Konflikte oder es entstünden neue.
Die Konfrontation zwischen der NATO und Rußland bleibe ebenfalls bestehen. In Afrika bemühten sich die USA, an China verlorenes Terrain wiederzugewinnen. Die NATO selbst sei »nicht gewillt, sich endlich zur Ruhe zu setzen, sondern betreibt ihre eigene Globalisierung«. Die Finanzkrise zeige zudem, daß sich die Welt von ihren Millenniumszielen, die Armut auf der Erde bis 2015 zu halbieren, immer weiter entferne. Ähnliches gelte für die postulierten Klimaziele.
Der diesjährige Ratschlag will »die Probleme dieser Welt«, sofern sie mit bewaffneten Konflikten zu tun haben, in Vorträgen, Plenarveranstaltungen und insgesamt 27 Workshops bearbeiten. Unter anderem soll es dem Programm zufolge um die Zukunft der NATO, die Lage auf den aktuellen Kriegsschauplätzen, um die Militarisierung der Europäischen Union und der internationalen Beziehungen insgesamt sowie um die deutsche Sicherheitspolitik gehen. Die Bundesregierung manövriere sich »immer stärker ins Fahrwasser des US-geführten sogenannten Antiterrorkriegs«.
Als Referenten angekündigt sind neben anderen Experten Professor Rudolf Hickel von der kritischen Arbeitsgruppe »Alternative Wirtschaftspolitik«, der Völkerrechtler und Linken-Bundestagsabgeordnete Professor Norman Paech sowie Professor Frank Deppe, der als einer der profiliertesten marxistischen Sozialwissenschaftler Deutschlands gilt.
Der Kongreß beginnt am 6. Dezember um 12 Uhr und endet am 7. Dezember um 14 Uhr. Tagungsort ist die Universität Kassel, Wilhelmshöher Allee 73.
Aus: junge Welt, 5. Dezember 2008
Friedensbewegung
Der Irak nach Bush: Kongreß und Buch
Am 6. und 7. Dezember findet an der Universität Kassel der 15. Friedenspolitische Ratschlag statt. Erfahrungsgemäß zwischen 300 und 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus dem In- und Ausland werden über die »Welt nach Bush« -- so das Motto des Kongresses -- diskutieren. Auch in diesem Jahr sind Krieg und Besatzung im Irak Thema in Kassel. Zu Gast ist unter anderem der langjährige UN-Diplomat Hans von Sponeck. Mitte 1998 trat er in Nachfolge von Denis Halliday als Koordinator für humanitäre Fragen seinen Dienst in Bagdad an. Im Februar 2000 reichte er aus Protest gegen die Sanktionspolitik des UN-Sicherheitsrates, verantwortlich für das Sterben Hunderttausender irakischer Kinder, seinen Rücktritt ein. Graf von Sponeck hatte zuletzt den Rang eines Beigeordneten UN-Generalsekretärs und die Oberverantwortung im Irak für das Programm »Öl für Nahrungsmittel«. In Kassel referiert am Wochenende zudem die Journalistin und jW-Autorin Karin Leukefeld über »Perspektiven des Irak nach der Besatzung«. Der Marburger Politikwissenschaftler Dr. Matin Baraki diskutiert die Frage »Truppen raus, Truppen rein: Irak den Irakern und Afghanistan den Amerikanern?«.
Im Lit-Verlag ist gerade der von Johannes M. Becker und Herbert Wulf herausgegebene Band »Zerstörter Irak -- Zukunft des Irak? Der Krieg, die Vereinten Nationen und die Probleme eines Neubeginns« erschienen. Das Buch beleuchtet auf 296 Seiten Geschichte, Gegenwart und mögliche Perspektiven des umkämpften erdölreichen Landes. Bilanziert wird das ungeheure menschliche, wirtschaftliche und politische Desaster, das die US-Invasion im Irak seit März 2003 angerichtet hat. Die Autoren untersuchen die Rolle der Medien und der Söldnerkonzerne im Krieg und plädieren für eine nachdrückliche Reform der UNO. Das Buch erscheint in der »Schriftenreihe zur Konfliktforschung« und kostet 24,90 Euro.
Aus: junge Welt, 5. Dezember 2008
Obama reicht den Neocons die Hand
Am Wochenende findet der 15.
Friedensratschlag in Kassel statt.
Was sind die Schwerpunkte?
Die Schwerpunkte ergeben sich
aus der gegenwärtigen weltpolitischen
Lage. Mit der Wahl von Barack
Obama zum US-Präsidenten
bestehen große Erwartungen an
einen Politikwechsel in Washington.
Ich persönlich erwarte nicht,
dass sich diese Erwartungen auch
erfüllen. Trotzdem haben wir es
mit einer völlig veränderten Situation
zu tun, weil die USA unter ihm
versuchen werden, die Politik des
brachialen Unilateralismus der
Bush-Ära zu beenden.
Das zweite zentrale Thema ist
die NATO, die sich zu einem globalen
Militärbündnis entwickelt und
im Frühjahr ihren 60. Geburtstag
feiern wird. Dieser Geburtstag
wirft seine Schatten auf den diesjährigen
Ratschlag.
Obama hat die Schlüsselposition
für seine Außen- und Sicherheitspolitik
besetzt. Wie schätzen Sie
die Nominierungen ein?
Die zukünftige Außenministerin
Hillary Clinton hat im Wahlkampf
den Eindruck erweckt, als gehörte
sie zu Washingtons politischen
Hardlinern. Sie ist der aggressiven
Variante der US-Außenpolitik verpflichtet.
Gegen Iran hat sie einen
Nuklearangriff zumindest in Erwägung
gezogen. Vergleiche zu
Condoleezza Rice sind zulässig.
Der designierte Verteidigungsminister
Robert Gates steht für die
Militärpolitik von George W. Bush.
Diese Nominierung hat symbolischen
Charakter. Barack Obama
streckt dadurch die Hand in Richtung
neokonservativer Falken aus.
Auch die Finanzkrise ist in Kassel
Thema. Warum?
Die Krise hat globalen Charakter
und wird die weltpolitische Lage
verändern. Von ihr sind zuallererst
die Ärmsten der Armen betroffen.
Auswirkungen auf Migration, Unruhen,
inner- oder zwischenstaatliche
Konflikte besonders in der
»Dritten Welt« sind sehr wahrscheinlich.
Deshalb ist die Finanzkrise
am Wochenende Diskussionsgegenstand.
Der Krieg am Hindukusch ist
das zentrale Thema der deutschen
Friedensbewegung. Trotz Rückhalt
in der Bevölkerung wird der
Kriegseinsatz im Parlament Jahr
für Jahr abgenickt. Scheinbar ist
die Friedensbewegung machtlos.
Von der Durchsetzung friedensbedrohender
Entscheidungen im
Bundestag kann man nicht so ohne
Weiteres auf die Machtlosigkeit
der Friedensbewegung schließen.
Täten wir das, dann verlöre auch
die große Protestbewegung der
80er Jahre an Glanz. Sie hat
schließlich auch nicht verhindern
können, dass 1983 die Stationierung
der Pershing-II-Raketen im
Bundestag beschlossen wurde.
Richtig ist: Der außerparlamentarische
Druck der Friedensbewegung
hat bisher nicht ausgereicht,
politische Mehrheiten im Parlament
zu verändern. Eine Bewegung
aber hat in erster Linie aufklärerischen
Charakter. Sie muss
das Bewusstsein der Bevölkerung
beeinflussen. Nur auf diesem Weg
kann sie mittelfristig eine Veränderung
der Politik herbeizuführen.
Afghanistan wird für die Friedensbewegung
ein zentraler Punkt
bleiben. Es ist zu befürchten, dass
Deutschland immer tiefer in diesen
längst verlorenen Krieg hineingezogen
wird.
Fragen: Christian Klemm
Peter Strutynski ist Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag.
Aus: Neues Deutschland, 5. Dezember 2008
"US-Abzug entspannt Lage"
Interview mit Ex-UN-Diplomat Hans von Sponeck über die Zukunft des Irak
Von Göran Gehlen
Der künftige US-Präsident Barack Obama will die US-Truppen binnen 16 Monaten aus dem Irak abziehen. Welche Folgen dies hat, darüber sprachen wir mit Hans von Sponeck. Der Ex-UN-Diplomat war für das Programm "Öl für Nahrungsmittel" im Irak zuständig. Am Samstag spricht er auf dem Friedenspolitischen Ratschlag in Kassel. Thema des Kongresses: "Die Welt nach Bush."
" Herr von Sponeck, die USA wollen aus dem Irak abziehen. Haben wir dort bald Frieden?
Hans von Sponeck: Ich fürchte, so schnell wird es nicht gehen. Im Irak muss sich erst ein Gleichgewicht der Akteure bilden. Dass sich Obama für einen Rückzug einsetzt, ist allerdings ein wichtiger Anfang.
Was muss die neue US-Regierung unter Barack Obama beim Abzug beachten?
Von Sponeck: Zu einem Rückzug muss gehören, dass die irakische Regierung mit den Vereinten Nationen, der Arabischen Liga, der Organisation der Islamischen Konferenz und anderen auf gleicher Augenhöhe über die Zukunft berät. Dazu dürfte die neue Regierung in Washington bereit sein. Gemeinsam muss man Wege finden, das durch den US-Abzug entstehende Machtvakuum zu füllen.
Obamas Verteidigungsminister Robert Gates war schon unter Bush im Amt. Dürfen wir überhaupt eine neue Irakpolitik erwarten?
Von Sponeck: Gates ist gemäßigter als sein Vorgänger Rumsfeld, der stets die Vorherrschaft der USA betonte. Gates wird nur so lange politisch überleben, wie er die Reduzierung der US-Truppen im Irak gut einleitet.
Wird der Irak ein Unruheherd bleiben und ausländische Soldaten im Land benötigen?
Von Sponeck: Das muss nicht sein. Die Iraker wollen ihre Souveränität wiederhaben. Wenn sie die bekommen, wird es eine Entspannung in der Region geben. Früher waren Konflikte wie in Palästina und im Libanon unabhängig voneinander. Heute ist alles verknüpft. Tut man etwas im Irak für den Frieden, verbessert das die Gesamtsituation im Nahen Osten.
Wie beurteilen Sie die Lage im Irak?
Von Sponeck: Die Zahl der Opfer durch Anschläge geht zurück. Das sollte kein Maßstab für die Lage im Land sein. Statt die Toten sollte man die Lebenden betrachten: Die psychologische Situation ist angespannt, die Arbeitslosigkeit hoch, Schulunterricht und medizinische Versorgung gibt es kaum. Zwei Millionen Iraker leben im Ausland, zweieinhalb Millionen sind Vertriebene im eigenen Land. Von Normalität ist der Irak weit entfernt.
Was können die Europäer tun?
Von Sponeck: Europa muss stärker beim Wiederaufbau des Irak helfen, sowohl mit Geld als auch mit Personal. Der nächste Schritt ist, großzügig mit den Schulden umzugehen, die der Irak seit den 90er-Jahren hat. Wir müssen zudem Irakern die Möglichkeit zur Ausbildung bieten und Kranke aufnehmen. Wir haben irakische Kurden und Araber in unserem Land. Wir sollten uns mit ihnen um einen Versöhnungsprozess bemühen, um damit einen kleinen Beitrag für die Stabilität des Iraks zu leisten.
Muss man aufarbeiten, was die USA im Irak getan haben?
Von Sponeck: Das wäre richtig und notwendig. Nach dem Schaden, der durch Sanktionen, völkerrechtswidrige Invasion und Besatzung, und nicht zu vergessen die Diktatur, dem irakischen Volk zugefügt wurde, sollte eine Aufarbeitung sowohl im UN-Sicherheitsrat wie auch in einzelnen beteiligten Ländern, vorrangig in den USA, stattfinden. Dies wäre auch ein Weg, um dem irakischen Volk gegenüber eine Schuld abzutragen.
Aus: Hessisch-Niedersächsische Allgemeine (HNA), 5. Dezember 2008
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