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Friedensratschlag gegen Irak-Krieg, weltweite Aufrüstung und neoliberale Globalisierung

Mehr als 300 Teilnehmer/innen - reichhaltiges Programm - Signale aus Kassel

Pressemitteilung

Mit mehr als 300 Teilnehmer aus über 110 Städten der Bundesrepublik, aus verschiedenen europäischen Ländern und aus Israel war der "Friedenspolitische Ratschlag", der am Wochenende zum neunten Mal an der Universität Kassel, stattfand, so gut besucht wie noch nie.

In drei Plenarveranstaltungen und 19 Arbeitsgruppen wurde an zwei Tagen über zahlreiche Aspekte des Terrorismus und des sog. "Krieges gegen den Terror" gesprochen. So wurde etwa am ersten Tag eine kritische Bilanz des Afghanistan-Krieges gezogen, es wurden die militärstrategischen Planungen von NATO, USA und EU untersucht, und es wurde - unter verschiedenen Gesichtspunkten - über die wirklichen Hintergründe und Anlässe von "Terrorismus", islamischem Fundamentalismus und der Ideologie des "gerechten Krieges" nachgedacht. Außerdem fanden Foren über die "Friedensfähigkeit" der Kirchen und die politische Macht (oder Ohnmacht) weltweiter Koalitionen zur Abschaffung der Atomwaffen statt.

Am zweiten Tag lag der Schwerpunkt der Arbeitsgruppen und Foren auf den positiven Alternativen, welche die Friedensforschung und eine friedensorientierte Politik anzubieten haben. Globalisierungskritische und ökologische "Nachhaltigkeits"-Ansätze wurden hier genauso vorgestellt und diskutiert wie konkrete Alternativen zur Gewalt im israelisch-palästinensischen Konflikt oder spezifische Arbeitsformen mit kriegstraumatisierten Frauen und friedenspädagogische Vorschläge zur zivilen Konfliktbearbeitung und Bürgerbeteiligung. Hinzu kamen Expertenforen, die sich mit der Rolle der Medien im Krieg (aber auch im Frieden), mit Perspektiven gewerkschaftlicher Friedensarbeit oder mit dem Konzept eines "sozialistischen Pazifismus" befassten.

Besondere Akzente setzten die Referenten der drei Plenarveranstaltungen. Am Samstag referiert die Europa-Abgeordnete Dr. Sylvia-Yvonne Kaufmann über die Chancen Europas, eine "Friedensmacht" zu werden und somit einen anderen Weg einzuschlagen als ihn zur Zeit die USA gehen. Die Chancen hierfür stehen allerdings - so ihr kritisches Fazit - nicht sonderlich gut. Prof. Dr. Werner Ruf (AG Friedensforschung der Uni Kassel) beschäftigte sich mit der gegenwärtigen Lage einer aus den Fugen geratenen Welt, die offenbar nur die Wahl hat, entweder im Schlepptau der USA in einer dauerhaften und höchst brisanten "Welt-Un-Ordnung" zu versinken oder sich unter Berufung auf das Völkerrecht und die UN-Charta zu einer wirklichen Weltgemeinschaft souveräner und gleicher Staaten zu entwickeln, die dereinst nicht mehr an ihrer militärischen Stärke, sondern an ihrer Gewährleistung bürgerlicher und sozialer Menschenrechte gemessen werden sollten. Dr. Reinhard Voß, Generalsekretär von pax christi, sprach über ein neues Leitbild christlicher Friedensarbeit, in dessen Zentrum die Begriffe "gerechter Friede" und "Gewaltfreiheit" stehen müssen. Am Sonntag hieß das Thema für den einleitenden Vortrag von Prof. Dr. Jörg Huffschmid (Uni Bremen und Mitglied des Beirats von Attac): "Alternativen zur neoliberalen Globalisierung". Fortschritte im Kampf gegen Hunger, Massenelend, Arbeitslosigkeit und Analphabetismus in der "Dritten Welt" ließen sich nur über eine Änderung der gegenwärtigen Wirtschafts- und Sozialpolitik der Staaten der "Ersten Welt" erzielen.

Die Veranstalter, die AG Friedensforschung an der Universität Kassel und der Bundesausschuss Friedensratschlag, gehen davon aus, dass Friedenspolitik sich heute mehr denn je der strukturellen Ursachen und Bedingungen für einen nachhaltigen Frieden vergewissern muss, will sie erfolgreich sein. Dazu gehören das Aufdecken und die Überwindung ökonomischer und sozialer Ungerechtigkeit insbesondere zwischen "erster" und "dritter Welt".

Zum Abschluss des "Ratschlags berieten Vertreter der Friedenswissenschaft, der Kirchen, der Gewerkschaften, der globalisierungskritischen und der Friedensbewegung Möglichkeiten und Perspektiven ihrer Arbeit. In einer Abschlusserklärung wurde noch einmal vor dem drohenden US-Krieg gegen Irak gewarnt. In diesem Krieg gehe es weder um "Antiterror-Kampf", noch um Massenvernichtungswaffen noch um die Herstellung von Demokratie und Menschenrechten. Vielmehr gehe es den USA um die Durchsetzung geostrategischer und wirtschaftlicher Interessen in einer der energiereichsten (Öl-)Regionen der Welt. Die Teilnehmer verlangten von der Bundesregierung, bei ihrer ablehnenden Haltung gegen den Krieg zu bleiben und dies durch Taten zu unterstreichen. So dürfte die Bundesregierung den USA für ihren völkerrechtswidrigen Krieg keine Überflugsrechte gewähren und die Nutzung der Militärstützpunkt in Deutschland nicht erlauben. Außerdem müssten die deutschen "Fuchs"-Panzer aus Kuwait und die Marine aus der Golfregion schnellstens abgezogen werden. Der Krieg gegen Irak, so stellte Peter Strutynski in seinem Einleitungsreferat fest, verstoße "gegen jede Vernunft und gegen jedes internationale Recht" und sei "ein großes Verbrechen gegen die Menschlichkeit".

An Vorschlägen, wie die Öffentlichkeit sich noch in die Auseinandersetzung über Krieg und Frieden einmischen könne, mangelte es nicht. So verlangte eine Teilnehmerin, Waffeninspektionen auch in den USA durchzuführen, die doch nachweislich über die größten Vorräte an A-, B- und C-Waffen verfüge. An die Gemeinden und Städte sollte appelliert werden, meinte ein anderer Teilnehmer, sich öffentlich mit der Kriegsfrage zu befassen und entsprechende Erklärungen gegen den Krieg zu verabschieden. Der Bundestag sollte eine Anhörung veranstalten, bei der Vertreter der Friedensforschung und der Friedensbewegung gehört werden sollten. Beifall gab es regelmäßig, wenn Diskussionsredner/innen eine stärkere Kooperation nicht nur mit Attac, sondern auch mit den Gewerkschaften forderten. In seinem Schlusswort äußerte Peter Strutynski den Wunsch, dass der DGB-Vorsitzende Michael Sommer bei der Großkundgebung gegen den Krieg am 15. Februar in Berlin für die Gewerkschaftsbewegung sprechen werde.

Zum ersten Mal fand im Rahmen eines Friedensratschlags auch ein ökumenisches "politisches Nachtgebet" statt, das von Vertretern beider christlicher Konfessionen gemeinsam gestaltet wurde. Die Veranstaltung fand so viel Anklang, dass die Organisatoren versprachen das Angebot im nächsten Jahr zu wiederholen.

Kassel, 8. Dezember 2002
Für die AG Friedensforschung an der Uni Kassel und den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Dr. Peter Strutynski (Sprecher)


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