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EU-Gipfel: business as usual

"Friedensmacht" Europa wird zu Grabe getragen. Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag

Im Folgenden dokumentieren wir eine Erklärung des "Friedensratschlags" zum EU-Gipfel, der am 17. und 18. Juni 2004 in Brüssel stattfand.


Pressemitteilung
  • Feilschen um die falschen Themen
  • "Friedensmacht" Europa wird zu Grabe getragen
  • Friedensbewegung hat Alternativen zur Militärverfassung
  • Brüsseler Gipfel nur ein "Scheinerfolg"

Kassel, 18. Juni 2004 - Zum zur Zeit in Brüssel tagenden EU-Gipfel nimmt ein Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag wie folgt Stellung:

Die in Brüssel zusammen gekommenen Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten beraten über die Verfassung des künftigen Europa, als hätte es die Wahlen zum Europäischen Parlament vor wenigen Tagen überhaupt nicht gegeben: Da wird weiter leidenschaftlich um die Stimmengewichtung gefeilscht und über einen Gottesbezug in der Präambel gestritten - als hänge davon die Zukunft Europas ab. Andere Themen, die für das Zusammenleben der Menschen, für die soziale Kohärenz der EU hundertmal wichtiger sind, werden dagegen nicht einmal angesprochen.

Die Bundesregierung verspricht sich vom Gipfel eine schnelle Einigung auf die neue Verfassung der EU - und verschweigt dabei, dass mit dieser Verfassung die im Wahlkampf plakatierte "Friedensmacht" Europa endgültig zu Grabe getragen wird. Die Verfassung sieht nämlich u.a. vor,
  • dass sich die "Mitgliedstaaten verpflichten", "ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern" (Art. I-40) - d.h. Aufrüstung erhält Verfassungsrang;
  • dass ein "Europäisches Amt für Rüstung, Forschung und militärische Fähigkeiten" eingerichtet wird (Art. I-40) - d.h. Rüstungsforschung und Rüstungsproduktion sollen europaweit koordiniert werden;
  • dass das EU-Militär zu "Kampfeinsätzen im Rahmen der Krisenbewältigung einschließlich Frieden schaffender Maßnahmen" eingesetzt werden kann (Art. III-210) - d.h. weltweite Kriegseinsätze sollen selbstverständliche Mittel der europäischen Außenpolitik werden; und
  • dass über Kriegseinsätze allein der Ministerrat der EU entscheidet - das Europäische Parlament kann angehört und soll informiert werden, mitbestimmen darf es aber nicht.
Die Friedensbewegung hat sich eindeutig gegen diese Militärverfassung gewandt und als Alternative den Ausbau der - vierzig Jahre erfolgreichen - "Zivilmacht" Europa gefordert. Dies beinhaltet eine eindeutige Absage an den Krieg und die Militärintervention als Mittel der Politik, die Förderung von Abrüstung und Konversion sowie den Ausbau ziviler Konfliktlösungskapazitäten. Statt immer mehr Geld auf die Mühlen der Militärs und der Rüstungsindustrie zu lenken, müssen alle Kräfte darauf konzentriert werden, die sozialen Probleme der erweiterten EU zu lösen: die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit, die Beseitigung von Armut und unverschuldeter Not, die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Verbesserung der Bildungs- und Ausbildungschancen junger Menschen.

Der Bundesausschuss Friedensratschlag macht darauf aufmerksam, dass die Regierungschefs mit der zu erwartenden Verabschiedung der EU-Verfassung auf dem Brüsseler Gipfel nur einen Scheinerfolg erringen werden. Die Rechnung wurde ohne den Wirt gemacht. Spätestens bei der Ratifizierung der Verfassung durch die nationalen Parlamente oder - noch besser - direkt durch Volksabstimmungen wird sich zeigen, dass ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung ein militarisiertes und neoliberal dominiertes Europa nicht will. Die Friedensbewegung wird jedenfalls weiter gegen die Militärverfassung Front machen (z.B. mit bundesweiten Abstimmungsaktionen um den nächsten "Antikriegstag" [1. September] herum) und auch hier zu Lande ein Referendum fordern.

F. d. Bundesausschuss Friedensratschlag:
Peter Strutynski (Sprecher)


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