Irakkrieg vor dem Ende?
Stellungnahme des Bundesausschusses Friedensratschlag: Militärischer Sieg, politische Niederlage für USA
Im Folgenden dokumentieren wir eine Stellungnahme des Bundesausschusses Friedensratschlag zum absehbaren Ende des ersten militärischen Teil des Irakkrieges. Eine längere Fassung des Papiers finden Sie unter: Über den Irakkrieg hinaus: Nicht nur "Anti"-, sondern auch "Pro"-Bewegung.
Pressemitteilung-
Militärischer Sieg, politische Niederlage für USA
- Keine "Freude" über Sieg der Aggressoren
- Friedensbewegung vor neuen Herausforderungen
- Von der "Anti"- zur "Pro"-Haltung
- Sieben Vorschläge des Bundesausschusses Friedensratschlag
- Aktionen am 12. April - Aktionskonferenz am 13. April
Zum absehbaren Ende des "militärischen Teils" des Kriegs gegen Irak
erklärt der Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag Peter
Strutynski:
Auch wenn es noch etwas voreilig ist, das Ende des Irakkriegs zu
verheißen, dürfte die Aussicht auf ein baldiges Abflauen der Kämpfe
gestiegen sein. Kaum jemand hat je bezweifelt, dass der Irakkrieg von
den USA und Großbritannien militärisch "gewonnen" würde. Entgegen der
bei den "Siegern" sich ausbreitenden Euphorie muss daran erinnert
werden, dass es für die Nachkriegsordnung im Irak keine
zufriedenstellenden Konzepte gibt. Jede Planung, an der die
"Siegermächte" federführend beteiligt sind, wird sich an der harten
Realität stoßen: Sowohl im Irak als auch in den meisten arabischen
Staaten und in der übrigen islamischen Welt von Pakistan bis Indonesien
haben die Gegner der USA Zulauf bekommen. Fundamentalistische Strömungen
werden den Nahen und Mittleren Osten weiter destabilisieren. Die
amerikafreundlichen Regime in Saudi-Arabiens, Jordanien und Ägypten
beispielsweise werden möglicherweise schon bald die Wut der Volksmassen
zu spüren bekommen. Es ist abzusehen, dass der Angriffskrieg der USA
politisch in eine Niederlage der Aggressoren und ihrer arabischen
"Verbündeten" mündet.
Das einzig Gute, was für die Friedensbewegung zählt, ist die Tatsache,
dass das Morden endlich vorbei geht.
Die Friedensbewegung hat aber keinen Grund, nach dem absehbaren Ende des
militärischen Teils des Krieges nun mit den Wölfen zu heulen und in das
allgemeine Konzert der Sieger mit einzustimmen. Wir teilen die "Freude"
des Kanzlers und der CDU/FDP-Opposition ausdrücklich nicht. Wir können
keine Freude darüber empfinden, dass eine Aggressionsstreitmacht einen
völkerrechtswidrigen Krieg für sich entschieden hat. Wir können nicht
einfach zur Tagesordnung des "Aufräumens" und der humanitären Hilfe für
die geschundene Bevölkerung übergehen, solange die Invasoren das Land
besetzt halten und mit anderen Mächten um die Verteilung der
"Kriegsbeute" schachern. Die Vereinten Nationen und die Staaten der
Nein-Sager dürfen nicht den Angriffskrieg im nachhinein dadurch
legitimieren, dass sie jetzt mit den Aggressoren gemeinsame Sache
machen. Es ist immer gut, wenn die Waffen schweigen. Man darf darüber
aber nicht das Unrecht des begangenen Krieges vergessen.
Die Friedensbewegung hat zu Recht all ihre Kräfte darauf konzentriert,
den lange geplanten Krieg zu verhindern. Sie hat gleichzeitig immer
angekündigt, dass ihr Widerstand auch dann weiter gehen wird, wenn sich
der Krieg nicht verhindern lässt. Beide Versprechen hat die
Friedensbewegung hier zu Lande, aber auch weltweit eingelöst. Mit der
Großdemonstration in Berlin am 15. Februar 2003 ist die Friedensbewegung
aus dem Schatten der 80er Jahre herausgetreten und hat sich als
runderneuerte außerparlamentarische Kraft im politischen Kräftespiel der
Bundesrepublik Respekt verschafft. Eine große Verantwortung steht der
Friedensbewegung aber noch bevor: Sie muss neue Antworten finden auf die
Herausforderungen der irakischen Nachkriegszeit, die zugleich eine
Vorkriegszeit für andere von den USA ins Visier genommene Staaten ist.
Die Friedensbewegung wird auch in der Lage sein, sich auf das
(quantitative) Nachlassen des Protestes (das sich bereits angekündigt
hat) einzustellen und die künftigen Aktionsformen dem veränderten
politischen Umfeld anzupassen.
Erfahrungsgemäß lässt der Widerstand einer Bewegung nach, wenn ihr
unmittelbares Ziel nicht erreicht wurde. Dies war der Fall nach der
Stationierung der Atomraketen im November 1993, nach dem Beginn des
Golfkriegs 1991 und nach dem Beginn des Afghanistan-Kriegs im Oktober
2001. Es ist generell schwer, einem solchen "Abschlaffen" der Bewegung
vorzubeugen. Soweit der Grund dafür aber darin zu suchen ist, dass die
Bewegung gegen den drohenden Irak-Krieg in erster Linie eine
Anti-Bewegung war bzw. ist, könnte der Gefahr des Zurückfallens dadurch
teilweise vorgebeugt werden, dass die Friedensbewegung ihre Alternativen
zum Krieg deutlicher zum Ausdruck bringt, ihre "Anti"-Haltung (die muss
natürlich bleiben!) also durch ein "Pro" ergänzt. Dieses Pro sollte
konkrete politische Inhalte und Ziele formulieren.
Beispiele hierfür könnten sein:
-
Das Ziel einer Beseitigung und Unschädlichmachung von
Massenvernichtungswaffen und ihrer Trägersysteme sollte nicht nur für
den Irak, sondern für alle Staaten geltend gemacht werden.
Waffeninspekteure also auch in die USA, nach Großbritannien, Frankreich,
Russland, China, selbstverständlich auch nach Deutschland!
Rüstungsproduktion und Konversion sowie Rüstungsexporte müssen wieder
Thema der Friedensbewegung werden.
- Der Demilitarisierung des Irak muss die Abrüstung anderer Länder der
Region folgen. Regionale Sicherheit im Nahen Osten wird langfristig nur
auf der Basis gleichberechtigter Beziehungen zwischen strukturell
angriffsunfähigen Staaten (einschließlich eines palästinensischen
Staates) herzustellen sein. Die enge Verknüpfung des Irakkriegs mit dem
Palästinenserproblem ist von der Friedensbewegung bisher nicht
hinreichend beachtet worden. Das israelisch-palästinensische Problem
bleibt aber eine Schlüsselfrage für die Zukunft des Nahen Ostens.
- Dem internationalen Recht muss wieder mehr Geltung verschafft werden.
Das strikte Gewaltverbot der Charta der Vereinten Nationen und die
universellen Menschenrechte müssen von allen Staaten respektiert werden.
Es gilt, die völkerrechtlichen Standards und die Institutionen der VN
gegen den Generalangriff von Seiten der USA zu verteidigen. Dabei bietet
das Verhalten der Mehrheit der Mitglieder des UN-Sicherheitsrats in der
Irakkriegsfrage einen hoffnungsvollen Anknüpfungspunkt.
- Geht es nach dem Willen der Regierungen der führenden europäischen
Staaten, so soll als Konsequenz aus dem transatlantischen Konflikt um
den Irakkrieg nun der europäische Pfeiler "gestärkt" werden. Hierzu soll
die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik weiterentwickelt werden zu
einer Europäischen "Verteidigungsunion." Der militärischen Supermacht
USA ist nicht dadurch beizukommen, dass man selbst versucht, auf
demselben Gebiet "gleichzuziehen". Die Friedensbewegung sähe darin eine
grundverkehrte Weichenstellung. Europa braucht keine weiteren Eingreif-
und Interventionstruppen; Europa braucht vielmehr politische Initiativen
zur zivilen Konfliktprävention. Die Friedensbewegung muss ihre
Europa-Abstinenz überwinden und sich stärker in den Prozess der
europäischen Einigung und Erweiterung einmischen (Konvent,
EU-Gipfeltreffen).
- Viel stärker ins Blickfeld der Friedensbewegung muss auch die
Forcierung des Umbaus der Bundeswehr zu einer Angriffsarmee gerückt
werden. Verteidigungsminister Struck will noch im Frühjahr die
Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) aus dem Jahr 1992
überarbeiten. Die "11 Kriterien", die er hierzu im Februar vorgelegt
hat, geben die - höchst gefährliche - Richtung vor. Tenor: Verteidigung
ist out - Angriff ist in! Die Friedensbewegung sollte aktuell in die
Diskussion um die Novellierung der VPR einsteigen und dabei insbesondere
auch die Verfassungswidrigkeit der Bundeswehrplanung betonen.
- Es gilt, verstärkt in globalen ökonomischen und ökologischen
Zusammenhängen zu denken und praktikable Alternativen zum
verschwenderischen und zerstörerischen Kapitalismus zu diskutieren.
Gemeinsame Diskussionsforen mit Attac-Gruppen und mit anderen
globalisierungskritischen sozialen und politischen Bewegungen könnten
für die Friedensbewegung eine außerordentliche Bereicherung darstellen.
G-8-Gipfel (z.B. Evian im Sommer), das Europäische Sozialforum sowie das
Weltsozialforum sind "Termine", die auch für die Friedensbewegung
relevant werden.
- Die Bundesregierung stellt bereits die Fallen auf, in welche die
Friedensbewegung tappen soll: Nach dem Ende des Krieges müsse den
Menschen geholfen werden, heißt es, und man müsse "nach vorne" blicken.
Auf diese Weise soll die gründliche Aufarbeitung des Krieges verhindert
und die kritische Öffentlichkeit von den relevanten weltpolitischen
Implikationen der US-Aggression abgelenkt werden. Die Forderungen der
Friedensbewegung richten sich demgegenüber auf die Wiedereinsetzung der
Vereinten Nationen in die ihr nach der UN-Charta zustehenden Rechte.
Eine politische Verurteilung des Krieges durch den UN-Sicherheitsrat
bzw. durch die UN-Generalversammlung ist unbedingt erforderlich, weil
der Krieg sonst nachträglich legitimiert und die neue Weltordnung nach
US-Muster anerkannt würde. Die Aggressoren müssen juristisch verfolgt
werden und Reparationen an den zerstörten Irak bezahlen. Eine von den
Siegern dominierte Nachkriegsordnung ist abzulehnen. Da gegenwärtig aber
nicht damit zu rechnen ist, dass die UN-Institutionen einschließlich der
UN-Gerichte ihrer Aufgabe gerecht werden, sollte die Friedensbewegung
ersatzweise über die Aggressoren zu Gericht sitzen (z.B. nach dem
Vorbild des NATO-"Tribunals").
Am kommenden Samstag, den 12. April, wird sich die Friedensbewegung auch
in Deutschland an einem weltweiten Aktionstag gegen den Krieg
beteiligen. U.a. kommt es in Berlin zu einer großen
Friedensdemonstration. Ansonsten werden dezentral im ganzen Land
verschiedene Aktionen stattfinden, die vor allem auch der Werbung für
die bevorstehenden Ostermärsche dienen.
Am Sonntag, den 13. April, trifft sich die Friedensbewegung dann zu
einer bundesweiten "Aktionskonferenz". Dort werden auch die Vorschläge
des Bundesausschusses Friedensratschlag zur Diskussion gestellt. (Das
Treffen findet statt von 11.30 Uhr bis 17.30 Uhr in Frankfurt a.M.,
Gewerkschaftshaus, Wilhelm-Leuschner-Str. 69-77)
Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Peter Strutynski (Sprecher)
Kassel, 10. April 2003
Zur Presse-Seite
Zur Seite "Friedensbewegung"
Zur Irak-Seite
Zur Seite "Stimmen gegen den Krieg"
Zurück zur Homepage