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Atomwaffenfreies, glückliches Österreich?

Tu felix Austria...
Österreich ist immer für Überraschungen gut. Auf der einen Seite darf der Nationalistenführer Haider seinen (Wahl-)Siegeszug fortsetzen - und zwar relativ ungehindert von den beiden in sich erstarrten Traditionsparteien SPÖ und ÖVP -, während auf der anderen Seite der Nationalrat noch vor der Wahl mit einer bemerkenswerten Verfassungsänderung Österreich zur atomfreien Zone erklärt. Am 1. Juli wurde es verabschiedet, am 13. August ist es in Kraft getreten: das "Bundesverfassungsgesetz für ein atomfreies Österreich". Danach dürfen in Österreich Atomwaffen weder "hergestellt, gelagert, transportiert, getestet oder verwendet" werden, noch dürfen "Einrichtungen für die Stationierung von Atomwaffen" geschaffen werden. Gleiches gilt für "Anlagen, die dem Zweck der Energiegewinnung durch Kernspaltung dienen". Auch sie dürfen in Österreich nicht errichtet werden. Bereits bestehende Anlagen dürfen nicht in Betrieb genommen werden. Das Beförderungsverbot bezieht sich auf jedes spaltbare Material, es sei denn es dient ausschließlich der friedlichen Nutzung. Hierunter zählt das Verfassungsgesetz ausdrücklich nicht spaltbares Material "für Zwecke der Energiegewinnung".

Die Vorgeschichte zu diesem Gesetz ist mehr als 20 Jahre alt und kann hier nur angedeutet werden. 1978 fand in Österreich eine Volksabstimmung über das Atomkraftwerk in Zwentendorf statt, ein Siedewasserreaktor, der Anfang der 70er Jahre von der deutschen KWU gebaut worden war. Eine knappe Mehrheit (51 %) sprach sich damals gegen eine Inbetriebnahme aus, was für die Regierung bindend war. Alle seitherigen Versuche von Energielobby und Industrie, Zwentendorf doch noch ans Netz zu holen, erledigten sich spätestens nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl 1986: Ein Atomkraftwerk war in der österreichischen Bevölkerung nicht mehr durchsetzbar.

Auf einem anderen Feld wollten die Konservativen in den 90er Jahren Boden gewinnen: Die (Mit-)Regierungspartei ÖVP begann sich für einen Eintritt in die NATO stark zu machen und damit einen wesentlichen Verfassungsgrundsatz Österreichs, den der "immerwährenden Neutralität", in Frage zu stellen. Eine Mitgliedschaft in der NATO hieße gleichzeitig das Land für deren nukleare Optionen zu öffnen. Vor diesem Hintergrund kam noch vor dem eigentlichen Wahlkampf 1999 auf Initiative der SPÖ und unterstützt von den entschieden neutralistischen Grünen der Bundesverfassungsgesetzentwurf für ein atomfreies Österreich in das Parlament. Objektiv ist mit dessen Verabschiedung auch der Umwelt- und Friedensbewegung der Alpenrepublik ein historischer Sieg gelungen.

Kritische Stimmen argwöhnen indessen, dass die Atomfreiheit von den Konservativen künftig als Beruhigungspille benutzt werden wird, um der Bevölkerung einen NATO-Beitritt doch noch schmackhaft zu machen: Wir behalten unseren atomwaffenfreien Status und gehören doch zur westlichen "Werte"- und Militärallianz. Hierzu passt, dass der Nationalrat eine weitere Verfassungsänderung beschlossen hat, womit Österreich die Teilnahme an der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union gemäß dem Amsterdamer Vertrag ermöglicht werden soll. Nach dem neuen Verfassungsartikel 23f, der seit dem 01.05.1999 in Kraft ist, kann der österreichische Bundeskanzler im "Einvernehmen" mit seinem Außenminister bei Beschlüssen der EU "betreffend friedenserhaltende Aufgaben sowie Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung einschließlich friedensschaffender Maßnahmen" das Stimmrecht ausüben. Die österreichische Friedensbewegung spricht von einem "Kriegsermächtigungsartikel" und sagte ihrer Regierung den Kampf an. Die Auseinandersetzung um die Neutralität wird also weitergehen.
Aus: Friedens-Memorandum 2000

Zur neuen Situation in Österreich

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