Bouffier vergibt Fahnenband an die Truppe - Friedensaktivisten protestieren mit Phantasie und guten Argumenten
Ein kleiner Pressespiegel über die Proteste gegen die Bundeswehrpräsenz auf dem Hessentag
Der Hessentag 2013 in Kassel war aus Sicht der Veranstalter in vielerlei Hinsicht ein großer Erfolg. Ob er es auch für die Bundeswehr war, sei dahingestellt. Jedenfalls verlief ihr Auftritt längst nicht so reibungslos und unwidersprochen wie geplant. Und Kassel zeigte: Der Widerstand gegen die Bundeswehrpräsenz auf den Hessentagen, die eine langjährige Tradition hat, wird immer größer.
Das spiegelt sich nicht unbedingt im Medienecho wider. Auch die Presse steht meist grundsätzlich hinter "ihrer" Bundeswehr. Doch auch hier scheint es Fortschritte zu geben. Die Resonanz auf die Protestaktionen in Kassel war nicht durchgehend negativ. Insbesondere die bunte und phantasivolle Demo am Samstag, den 22. Juni (eine Woche zuvor, am 15. Juni, gab es schon einen kleinen "Probelauf", gegen den lediglich die "Junge Union" anstänkerte) wurde sehr beachtet. Der Hessische Rundfunk jedenfalls berichtete in seinen Hauptnachrichten mehrmals über die Aktion - ohne jeden abwertenden Schlenker.
Ein nachträglicher Artikel im "neuen deutschland" zeigt immerhin, dass die Proteste auf dem Hessentag auch bundesweit wahrgenommen wurden. Der Bericht selbst lässt indes ein paar Fragen offen; insbesondere die, warum die Demo am 22. Juni mit keinem Wort erwähnt wird. Dabei hätte der Autor durchaus Zeit gehabt, sich zu erkundigen, denn sein Artikel erschien erst vier Tage nach dem Ereignis.
Im Folgenden der kleine Pressespiegel über die Proteste. Ein paar schöne Bilder vom 22. Juni können hier betrachtet werden: Fotostrecke.
Protest gegen Stände der Bundeswehr
Friedensaktivisten haben am Samstag gegen die Bundeswehrpräsenz auf dem Hessentag demonstriert.
Etwa 40 Menschen zogen vom Friedrichsplatz zu den Bundeswehr-Zelten auf der Karlswiese, dem sogenannten Karriere-Treff, und von dort zum Stand vor den Messehallen, wo auch Panzer ausgestellt sind. „Bundeswehr wegtreten“ und „Kein Werben mit dem Sterben“ war auf den Plakaten zu lesen.
„Die Bundeswehr hat mit ihren Rekrutierungsabsichten auf Volksfesten ebenso wie in Schulen nichts zu suchen“, sagt Dr. Peter Strutynski vom Kasseler Friedensforum, das zum Protest aufgerufen hatte. Über Technikbegeisterung, Abenteuer und Kameradschaft sollten gezielt Jugendliche angesprochen werden, dabei gebe es „kein Wort von Afghanistan, Gefahr und Töten“.
Die Demo nahm Oberstleutnant Wolf Teja von Rabenau, Sprecher des Landeskommandos Hessen, gelassen. Das kenne man von allen Hessentagen. Natürlich zählten Jugendliche ab 14 Jahren zur Zielgruppe. „Wir informieren, was man bei uns macht - ganz klar geht es dabei auch um den Dienst mit der Waffe.“ (rud)
Hessische Allgemeine HNA, 17. Juni 2013
Junge Union kritisiert Protest des Friedensforums
Kassel. Die Junge Union Kassel kritisiert den Protest des Kasseler Friedensforums gegen die Bundeswehrpräsenz auf dem Hessentag am vergangenen Samstag.
Nach Ansicht der Jungen Union ist ein Protest gegen die Bundeswehr, deren Soldaten zur Zeit in den Hochwasserregionen im Einsatz sind, nicht gerechtfertigt.
Die Junge Union fordert den Kasseler Oberbürgermeister Bertram Hilgen und Jugenddezernentin Anne Janz auf, für den Magistrat zu verdeutlichen, dass die Bundeswehr mit einem Informationsstand auf dem Hessentag willkommen sei. (rax)
Hessische Allgemeine HNA, 18. Juni 2013
"Von Kriegseinsätzen keine Rede"
Friedensaktivist Peter Strutynski über die Demo gegen Bundeswehr auf dem Hessentag
Ein Bündnis, zu dem auch das Kasseler Friedensforum gehört, ruft für Samstag zu einer Demo "Hessentag: Ohne Rüstung – ohne Militär" auf. Was stört Sie so an den Bundeswehr-Beiträgen zum Landesfest?
Peter Strutynski: Vor allem stört uns, dass die Bundeswehr so massiv auftritt: Mit einem Festzelt in der Karlsaue und einem großen Stand nah den Messehallen, wo auch Kriegswaffen präsentiert werden. Wir sind der Meinung, dass die Bundeswehr auf Jahrmärkten, Volksfesten und sonstigen öffentlichen Belustigungen nichts zu suchen hat. Und zwar, weil dort viele Kinder und Jugendliche unterwegs sind – die die Armee, ja auch zu umwerben versucht.
Die Bundeswehr ist ja aber Teil dieses Landes. Sie wird mit Zustimmung des Bundestags eingesetzt. Warum soll sich eine solche Armee nicht auf einem Hessentag präsentieren dürfen?
Sie kann sich natürlich präsentieren. Aber die von Deutschland unterzeichnete Kinderrechtskonvention untersagt militärische Werbungs- und Rekrutierungsmaßnahmen an Menschen unter 18 ganz eindeutig. Auf dem Hessentag in Kassel habe ich Kinder hinter dem Steuerknüppel eines Armeehubschraubers gesehen, Kinder am Lagerfeuer mit Soldaten. Das gehört zum Konzept mit dem die Bundeswehr ihre Nachwuchssorgen zu lösen versucht: Geworben wird mit Abenteuer, Kameradschaft, Spaß und Technik. Bilder von Gefallenen werden Sie nicht sehen. Verfälschend wird nur ein Bruchteil der Realität des Soldatenlebens wird gezeigt.
Keine Rede ist etwa von den Auslands- und Kriegseinsätzen (z.B. Afghanistan) mit ihren schwerwiegenden Folgen.
Es ist ja nicht das erste Mal, dass sich Widerstand gegen Bundeswehr-Zelte und -Stände auf einem Hessentag regt. Haben Sie das Gefühl, dass so ein Protest etwas bringt? Und wie viele Demo-Teilnehmer erwarten Sie?
Natürlich: Die Bundeswehr ist weiter dabei. Aber Proteste helfen, Besucher dafür zu sensibilisieren, was da passiert. Bei unserem Protest-Spaziergang vor einer Woche waren wir rund 50 Menschen. Ich rechne für Samstag mit mehr. Aber im Hessentags-Getümmel wird es schwer werden, sich bemerkbar zu machen.
Peter Struynski (68), ist Aktivist im Kasseler Friedensforum. Der Politologe ist außerdem Sprecher der AG Friedensforschung an der
Uni Kassel.
* Aus: Frankfurter Rundschau, 22. Juni 2013
Demo gegen Bundeswehr auf Hessentag in Kassel
Erst Protest, dann Lob: Die Bundeswehr bekommt es auf dem Hessentag mit verschiedenen Reaktionen zu tun. Demonstranten forderten ihre Abschaffung, dann ehrt Ministerpräsident Bouffier die Truppe.
Gegen die Bundeswehr auf dem Hessentag und gegen die Rekrutierung von Schülern haben am Samstag in Kassel mehr als 100 Demonstranten protestiert. Aufgerufen dazu hatte die Initiative Kasseler Friedensforum. «Wir sind gegen die Militärpräsenz und die Waffenschau auf dem Landesfest», sagte Mitorganisator Peter Strutynski. Die Demonstranten trugen Plakate mit Sprüchen wie «Bundeswehr abschaffen» oder «Kein Werben mit dem Sterben». Am Nachmittag besuchte Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) den Bundeswehr-Stand und ehrte das Landeskommando Hessen für die zivil-militärische Zusammenarbeit mit dem Land mit dem Fahnenband.
Die Bundeswehr ist auf dem Landesfest mit einem Karrieretreff und einer Waffenschau vertreten. Strutynski kritisierte die Darstellung. «Bei der Bundeswehr werden Sie keinen Hinweis auf getötete Soldaten finden, nur Abenteuer, Technik, Fun und Karriere. So will man Kindern und Jugendlichen eine Bewerbung schmackhaft machen.» Vor dem «Platz der Bundeswehr» auf der Kasseler Karlswiese legten sich die Demonstranten für einige Minuten hin - auch, um an getötete Zivilisten bei den Auslandseinsätzen der Bundeswehr zu erinnern.
Das von Bouffier vergebene Fahnenband ist die höchste Auszeichnung, die einem Militärverband verliehen werden kann. Auch Mitarbeiter von Polizei, Bundespolizei und Justiz wurden ausgezeichnet. «Sie alle sich weit haben über ihre dienstliche Verpflichtung hinaus für ihre Mitmenschen eingesetzt und dabei oftmals ohne Rücksicht auf die eigene Unversehrtheit anderen Menschen Gesundheit oder sogar Leben gerettet», sagte Bouffier laut Mitteilung der Staatskanzlei.
Frankfurter Neue Presse (online), 22. Juni 2013; Frankfurter Rundschau, 24. Juni 2013 (Die wortgleichen Artikel beruhen auf einer dpa-Meldung)
Kinder im Feldlager
Protest gegen Bundeswehr auf dem Hessentag
Von Nicolai Hagedorn
Ein Mini-Feldlager der Bundeswehr auf dem Kasseler Bundesgartenschaugelände: Zwischen ausgestellten Panzern und Kampfhubschraubern hat sich bei strahlendem Sonnenschein eine Gruppe Kleinkinder um ein Lagerfeuer versammelt. Ein etwa Dreijähriger liegt unter einer Tarnplane in einem Open-Air-Feldbett und Soldaten in Camouflage-Uniform erklären den Kleinen, wie man Stockbrot über dem Feuer backt. In Kassel ist Hessentag.
»Diese Abenteuerromantik wollen wir der Bundeswehr nicht durchgehen lassen«, sagt Stefanie Wolff von Occupy Kassel, die mit anderen Gruppen ein Aktionsprogramm gegen das »Werben für's Sterben« auf die Beine gestellt hat. Der sich auf mittlerweile zwei Wochen ausgedehnte Hessentag, der am vergangenen Sonntag endete, ist das größte hessische Volksfest mit mehr als einer Million Besuchern, und es ist schon Tradition, dass die deutschen Streitkräfte dabei für sich Werbung machen. Genauso formiert sich in den wechselnden Hessentagsstädten regelmäßig Widerstand.
In Kassel wanderte bereits am Eröffnungswochenende ein antimilitaristischer Spaziergang zum Bundeswehr-Areal, später zeigten die Aktivisten, was aus ihrer Sicht das eigentliche Tätigkeitsgebiet des Militärs ist. Mit Kunstblut bemalt »starben« sie vor dem ausgestellten Kriegsgerät und sorgten damit sowohl bei den anwesenden Soldaten, als auch bei vielen Besuchern für Aufsehen.
Auf der Facebook-Seite der Bundeswehrkritiker kam es indes zu Auseinandersetzungen mit Angehörigen der Streitkräfte. Den Aktivisten wird in diversen Kommentaren vorgeworfen, nicht in Rechnung zu stellen, dass die Waffenproduktion des ortsansässigen Herstellers Krauss-Maffei Wegmann wie auch der Betrieb der Bundeswehr selbst viele Arbeitsplätze sicherten.
Jan van Aken, Experte für Rüstungsexporte in der Bundestagsfraktion der Linken, erklärte dagegen im Rahmen einer von dem Aktionsbündnis organisierten Fragerunde, es sei durchaus möglich, die Produktionsstätten so umzurüsten, dass dort andere Produkte hergestellt werden. »Und für die Soldaten finden wir auch eine Beschäftigung«, ergänzte Wolff.
(neues deutschland, 26. Juni 2013)
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