"Ausbeutung schafft Armut und Unsicherheit und löst bewaffnete Konflikte aus"
Rede von MdB Ulla Jelpke beim Ostermarsch 2014 in Düsseldorf *
In den letzten Wochen wurde ein Bundeswehreinsatz nach dem anderen beschlossen"Die Botschaft ist klar: Die Bereitschaft zum Einsatz von Waffengewalt ist für die deutsche Außenpolitik zur normalen Option geworden. Als Abgeordnete der LINKEN will ich nicht verhehlen, dass ich es besorgniserregend finde, dass jetzt erstmals auch fünf Abgeordnete meiner Fraktion für einen Kampfeinsatz gestimmt haben.
Ich rede von der Entsendung eines Marineschiffes in Zusammenhang mit der Vernichtung syrischer Chemiewaffen. Es waren zwar nur fünf Ja-Stimmen aus der Linksfraktion, aber das sind fünf Ja-Stimmen zuviel, und ich werde dafür kämpfen, dass die LINKE eine antimilitaristische und Friedenspartei bleibt. Denn ich weigere mich, Krieg für normal zu halten, und ich kann Euch hier nur ermuntern, dieser Art von Normalität gemeinsam eine Absage zu erteilen.
Liebe Freundinnen und Freunde,
ich habe mich vor wenigen Wochen in einer Anfrage an die Bundesregierung nach den neusten Einsatzzahlen der Jugendoffiziere erkundigt. Die Zahlen sind wieder erschreckend: Rund 450.000 Jugendliche sind im vergangenen Jahr von Jugendoffizieren oder sogenannten Karriereberatern der Bundeswehr erreicht worden, allesamt im Schulunterricht. Fast eine halbe Million von Schülerinnen und Schülern wurde „beigebracht“, dass Krieg notwendig sei, und ein Job bei der Bundeswehr Erfüllung und Anerkennung verspreche. Außerdem wurden Zehntausende von Lehrern mit den gleichen Inhalten umgarnt. Das Kriegsministerium sponsert großzügig Unterrichtsmaterial, das in Schulen als scheinbar unpolitisch vertrieben wird und ebenfalls Werbung fürs Militär macht.
Der Sinn dieser Indoktrinierung liegt auf der Hand: Die Bundesregierung will erreichen, dass die nachfolgende Generation Krieg für unvermeidlich oder sogar richtig hält. Diese Manipulation muss aufhören. Schulen sind Bildungsanstalten und sollen das auch bleiben, und nicht in Rekrutierungsstätten für die Bundeswehr verwandelt werden.
Liebe Freundinnen und Freunde,
In den letzten Wochen sind Bundeswehrmissionen in der Zentralafrikanischen Republik, in Mali, in Somalia beschlossen worden. Im Sudan sind ohnehin schon deutsche Soldaten. Afrika steht im Fokus, und wie immer geht es zuallerletzt um Menschenrechte, sondern um Geostrategie, um Einflusszonen und Transportwege. Das muss man bei einem Land wie Somalia, am Horn von Afrika, kaum betonen. Und es geht um Wirtschaft, bzw. darum, ein ausreichend stabiles Umfeld zu schaffen, das den Konzernen die profitable Förderung von Öl und den Abbau von Metallen ermöglicht.
Statt die Ursachen des Elends anzugehen, die vor allem anderen in der Ausbeutung des afrikanischen Kontinents durch westliche Konzerne liegen, werden die Konflikte „befriedet“, wie das schönrednerisch heißt. Im Klartext: Ausbeutung schafft Armut und Unsicherheit und löst bewaffnete Konflikte aus, und die wiederum werden dann von westlichen Truppen oder ihren Statthaltern niedergeschlagen – nur damit anschließend die Ausbeutung wieder ungestört weiterlaufen kann. Und so etwas will man uns als Friedenspolitik verkaufen. Es reicht, wir lassen uns nicht für dumm verkaufen! Die Bundeswehr, die Militärverbände der EU und der NATO sind nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems und gehören abgezogen, von allen Auslandseinsätzen!
UKRAINE
Ich möchte hier ganz klar sagen, dass diese Absage an militärische Logik auch für die Ukraine gilt. Wohin diese aggressive Geostrategie führt, sehen wir ja – der Westen hat tatkräftig mitgeholfen, in Kiew eine Regierung unter Beteiligung von Faschisten an die Macht zu bringen. Die Swoboda-Partei marschiert regelmäßig zu Ehren der Waffen-SS, sie nimmt sich ein Vorbild an faschistischen Terrorbanden aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges, und sie pflegt auch heute ein fremdenfeindliches und nationalistisches Weltbild. Es ist ungeheuerlich, dass westliche Politiker, auch der deutsche Außenminister, sich mit solchen Faschisten an einen Tisch setzen und einer solchen Regierung Hilfsgelder zusagen. Eine Hilfe übrigens, die die Bevölkerung der Ukraine noch teuer wird bezahlen müssen, wenn der IWF die Rechnung präsentiert. Dann sind die nächsten sozialen Konflikte schon programmiert. Und das wäre dann ein Schreckensszenario: Es gibt in der Ukraine keine Linke, die soziale Kämpfe führen könnte – kampffähig sind dort im Moment nur die Faschisten. Deswegen warne ich davor, sich unter Berufung auf Umfragen über magere Prognosen für die rechtsextremen Parteien zu freuen – ihre wahre Macht zeigen sie auf der Straße.
Russland ist eine Großmacht, und natürlich ist auch das russische Vorgehen primär von eigenen Interessen geprägt. Aber es ist eine Folge der Machtergreifung durch eine prowestliche, bürgerlich-faschistische Koalition in Kiew und dem Drang der NATO nach Osten, das unmittelbar an die russische Schwarzmeerflotte reichte. Für uns als Friedensbewegung zeigt das einmal mehr: Gegen Krieg zu sein heißt auch, Faschisten und Imperialisten eine klare Kante zu zeigen! Die Ukraine muss blockfrei bleiben, die NATO darf nicht bis unmittelbar an die russische Grenze ausgeweitet werden, und der ukrainischen Bevölkerung darf nicht einer unsozialen neoliberalen sog. Reform ausgeliefert werden.
Liebe Freundinnen und Freunde,
die Armut, die ich grade angesprochen habe, bleibt nicht in Afrika. Hunderttausende von Menschen sind auf der Flucht und suchen Schutz in Europa. Diese Fluchtbewegung ist zu einem Großteil Resultat der verfehlten Politik der Industriestaaten. Und wieder antworten diese Industriestaaten mit Repression und Aufrüstung.
Die beiden Schiffskatastrophen im vorigen Jahr vor Lampedusa, mit über 500 Toten, haben europaweit große Erschütterung ausgelöst. Und dennoch sind sie nur die Spitze eines Eisbergs: Seit 1988 sind über 20.000 Menschen auf ihrer Flucht nach Europa gestorben. Das sind nur die Fälle, die dokumentiert sind, die wirklichen Zahlen liegen weit höher. Diese Menschen starben infolge der Abschottungspolitik der Europäischen Union. Die EU bindet das Militär immer stärker in die Flüchtlingsabwehr ein und führt mittlerweile einen regelrechten Krieg gegen Flüchtlinge.
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Marine und Luftwaffe haben keineswegs nur die Funktion, Flüchtlinge aus Seenot zu retten, wie das in den letzten Tagen kolportiert wird. Es stimmt, dass sich Flüchtlinge insbesondere auf italienische Kriegsschiffe retten konnten, aber deren primäre Aufgabe bleibt die Überwachung der Außengrenzen im Rahmen von FRONTEX-Operationen
- die Marineschiffe sollen zu den Lagebildern des neuen Überwachungssystems EUROSUR beitragen, also verdächtige Schiffe und Boote melden. Das Eurosur-Programm dient dazu, mit Hilfe von Flugzeugen, Schiffen, Satelliten, Drohnen und durch die Zusammenschaltung von Militär, Polizei und Geheimdiensten der EU-Staaten eine lückenlose Überwachung des Mittelmeeres zu garantieren, um selbst kleinste Boote im Mittelmeer ausfindig zu machen. Wenn es gegen Flüchtlinge geht, ist der EU nichts zu teuer, und ganz nebenbei werden die Grenzen zwischen Polizei und Militär, zwischen Polizei und Geheimdiensten geschliffen.
Aber nicht nur das Militär der EU-Staaten spielt bei der Flüchtlingsbekämpfung eine immer wichtigere Rolle: Das Grenzregime wird inzwischen in die Transitstaaten Nordafrikas vorverlagert, die von der EU gezielt aufgerüstet werden:
- sowohl die ägyptische als auch die libysche Küstenwache zwingen ablegende Boote mit Flüchtlingen zur Rückkehr, auch mit Einsatz von Waffengewalt.
- Spanische Grenzschützer sind an Bord mauretanischer und senegalesischer Marineschiffe, um zu verhindern, dass Migranten die Kanarischen Inseln ansteuern.
- Libyen wird von der EU gedrängt, mit militärischen Mitteln die Grenzen gegen Migranten aus den Nachbarstaaten zu schließen. Auch das geschieht mit Hilfe der EU, die im Moment 70 Polizisten nach Libyen entsandt hat. Kein einziges Mal haben die bislang eines der menschenverachtenden libyschen Gefängnisse besucht, in denen Tausende von Flüchtlingen eingesperrt sind. Auch das zeigt: Es geht um den Kampf gegen Flüchtlinge, nicht für sie.
Das Paradebeispiel für den Krieg gegen Flüchtlinge ist die griechisch-türkische Grenze. Pro Asyl berichtet immer wieder davon, dass die griechische Küstenwache Flüchtlinge zwangsweise in türkische Gewässer schleppt und ihre Boote zerstört. An der Landgrenze bzw. dem Grenzfluss Evros wird immer wieder auf Flüchtlinge geschossen. Innerhalb eines Jahres sind 2000 Menschen illegal zurückgeschoben worden, 129 ertrunken – und das sind nur die offiziellen Zahlen.
Und wer es doch nach Griechenland schafft, den erwartet dort ein perfides Lagersystem, in dem er bis zu eineinhalb Jahre lang eingesperrt werden kann. Ein funktionierendes Asylsystem gibt es in Griechenland nicht. Der politische Druck der anderen EU-Staaten auf Griechenland, seine Grenze abzuschotten, ist enorm. Was den menschenwürdigen Umgang mit Flüchtlingen angeht, belassen es die gleichen Politiker bei Appellen. Auch hier gilt: Die EU führt einen Kampf gegen Flüchtlinge, nicht für sie.
Rolle des Militärs in der Eindämmung von Flüchtlingsbewegungen
Flucht zu verhindern wird auch immer wieder als Grund für Kriegseinsätze genannt. Das war beim Krieg gegen Jugoslawien, so, als Fluchtbewegungen aus dem Kosovo verhindern werden sollten. Auch bei den Interventionen in Afrika geht es darum, die imperiale Ordnung wieder herzustellen und Fluchtbewegungen zu unterbinden. Mali ist eines der Hauptherkunftsländer von Flüchtlingen, die versuchen in die EU zu gelangen.
Liebe Freundinnen und Freunde,
ich erinnere nochmal an das, was ich eingangs erwähnt habe: Die Fluchtursachen liegen zu einem großen Teil in der neokolonialen Außenpolitik der EU. Sei es die Ausbeutung der ökonomischen Ressourcen, die Zerstörung lokaler Märkte durch hoch subventionierte Produkte aus der EU, die Förderung vermeintlich prowestlicher Milizen und Regime, von den Waffenexporten gar nicht zu reden – die EU schafft Krieg, und sie erdreistet sich sogar, das als Entwicklungshilfe, Friedensmission und westliche Zivilisation zu verkaufen.
Um diesen Lügen zu widersprechen, werden Friedensdemonstrationen auch weiterhin notwendig bleiben. Es bleibt dabei:
Wir werden nicht akzeptieren, dass Kriege als normales Mittel der Politik etabliert werden. Solidarität mit Flüchtlingen und Ablehnung jedes Kriegseinsatzes bleiben für uns auf der Tagesordnung!
* Ulla Jelpke, MdB Die Linke; Ostersamstag 19. April 2014 in Düsseldorf
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