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"Vuvuzelas für den Frieden"

Aktivisten starten neue Aktionen gegen öffentliche Gelöbnisse der Bundeswehr

Von Michael Schulze von Glaßer *

Die Zahl öffentlicher Gelöbnisse außerhalb militärischer Liegenschaften nimmt bundesweit zu: Lag sie im Jahr 2007 noch bei 134 waren es 2009 schon 180 Gelöbnisse auf öffentlichen Plätzen. Dem neuen Soldatenkult stellen sich aber auch immer mehr Menschen entgegen.

Einen ungewöhnlichen Anruf bekam Bernd Drücke, Gründungsmitglied der »Friedensinitiative Pulverturm« im westfälischen Münster, am Mittwoch vergangener Woche: »Fairerweise möchte ich Sie darauf hinweisen, dass wir jetzt nur noch eine Serenade machen werden.« Anrufer war der Pressesprecher des in Münster ansässigen und in Auflösung befindlichen Lufttransportkommandos der Bundeswehr. Ursprünglich sollte das Ende der Militäreinheit am heutigen Mittwoch mit einem Großen Zapfenstreich begangen werden - nun war nur noch von sieben Liedern und einem kleineren Aufmarsch die Rede.

Das eigens aus Berlin bestellte Wachbataillon habe nun doch keine Zeit, da es am Folgetag bei der Amtseinführung des neuen Bundespräsidenten benötigt werde, so der Bundeswehr-Sprecher. Zudem wolle das Lufttransportkommando dem Vorwurf der Friedensaktivisten entgehen, »Militarismus« zu betreiben, so der Anrufer gegenüber Bernd Drücke. Heute in Münster

Seit Bekanntwerden der Pläne für das Militärspektakel in der Domstadt laufen die Vorbereitungen von Friedensaktivisten auf Hochtouren. »Die Bundeswehr hat in der Öffentlichkeit nichts zu suchen. Sie will eine Remilitarisierung des öffentlichen Raums erreichen«, so Bernd Drücke. Die Bevölkerung solle sich »wieder an stramm stehende Befehlsempfänger in olivgrünen Uniformen gewöhnen«. Drücke ist Mitorganisator des Protests gegen das Militärritual. In Münster gibt es am heutigen Abend eine angemeldete Kundgebung nahe der Bundeswehr-Veranstaltung vorm Schloss. Zudem soll die Bundeswehr mit der Aktion »Vuvuzelas für den Frieden« aus dem Takt gebracht werden.

Wie jedes Jahr wird es am 20. Juli ein Bundeswehr-Gelöbnis vor dem Reichstag in Berlin geben. 2009 wurden Demonstrationen in Sicht- und Hörweite des Militärrituals vom Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg verboten. So sammelten sich nur etwa 200 Leute am Potsdamer Platz um gegen das Gelöbnis zu demonstrieren. Erfolg hatten die Friedensaktivisten trotzdem: Von einem öffentlichen Gelöbnis - wie von der Armee angekündigt - konnte keine Rede mehr sein. 1500 Polizisten riegelten das Areal um das Reichstagsgebäude ab. Auch in diesem Jahr wird sich die Bundeswehr wieder hinter Zäunen verkriechen - und rechnet mit Kosten von 235 000 Euro.

Auch in Stuttgart wird die Bundeswehr beim geplanten Gelöbnis nicht allein sein: Ein breites Bündnis von Parteien, Gewerkschaften und unabhängigen Friedensgruppen mobilisiert für den 30. Juli zum »GelöbNIX«.

»Die Bundeswehr hat bisher noch nicht reagiert«, so ein Mitorganisator des Friedensprotests. Neben dem GelöbNIX-Bündnis ruft in Stuttgart ein Blockade-Bündnis dazu auf, die Militärzeremonie vor dem Schloss mit Aktionen zivilen Ungehorsams zu verhindern. Ob dies angesichts der Einrichtung eines militärischen Sicherheitsbereichs seitens der Armee gelingt, ist aber fraglich. Rund 33 500 Euro lässt sich die Bundeswehr das Spektakel in Stuttgart kosten. Helden- und Totenkult

Die Zahl öffentlicher Gelöbnisse außerhalb militärischer Liegenschaften nahm unter Führung des ehemaligen Verteidigungsministers Franz Josef Jung (CDU) bundesweit zu: Lag sie 2007 noch bei 134 waren es 2009 schon 180 Gelöbnisse auf öffentlichen Plätzen. »Im Ausland führt die Bundeswehr Krieg, im Inland soll die Bevölkerung auf Kurs gebracht und ein neuer Helden- und Totenkult etabliert werden«, so Bernd Drücke aus Münster.

Erst im Juli 2009 führte die Bundeswehr das »Ehrenkreuz der Bundeswehr für Tapferkeit«, die erste Tapferkeitsmedaille nach dem Zweiten Weltkrieg, ein. Im September 2009 wurde in Berlin das »Ehrenmal der Bundeswehr« eröffnet, mit dem allen im Einsatz gefallenen - rund 3100 - deutschen Soldaten seit Gründung der Bundeswehr 1955 gedacht wird. Jedoch stellen sich dem neuen Soldatenkult auch immer mehr Menschen entgegen.

* Aus: Neues Deutschland, 30. Juni 2010


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