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"Thanks, Mister President" - Die Anti-Kriegs-Bewegung ist wieder da

Jedenfalls in Großbritannien. In Deutschland hat Schröder der Friedensbewegung die "Kleider gestohlen"

Den folgenden Bericht über das Wiedererstarken der Friedensbewegung in Blair`s own country entnahmen wir der Schweizer Wochenzeitung WoZ. Eine Woche zuvor war dort bereits eine Analyse der Friedensbewegung in God`s own Country, den USA, erschienen ("Bedroht und verdächtigt").

Von Pit Wuhrer

Tony Blair warf alles in die Waagschale. «Die Werte der USA sind auch unsere Werte», rief der britische Premierminister am Dienstag den skeptischen Delegierten der Jahreskonferenz seiner Labour-Partei zu, in Zeiten der Gefahr müsse man zusammenstehen, und überhaupt habe sich Saddam Hussein dem Willen der Vereinten Nationen zu fügen. Manchmal sei Krieg die einzige Chance für den Frieden, sagte er. Ein Ultimatum sei nötig. Aber er verzichtete auf Reizvokabeln, vermied seine frühere Aussage, dass ein Krieg gegen das Regime in Bagdad auch eine «Glaubenssache» sei, und nahm indirekt Abstand von alten Positionen, in denen eine Uno-Zustimmung zum geplanten Angriffskrieg nur eine untergeordnete Rolle spielte. Blair warb, Blair flehte, Blair kämpfte – aber überzeugen konnte er seine Basis nicht. Die erfuhr nämlich kurz darauf, dass sich die Uno und der Irak über die Modalitäten der Waffeninspektionen geeinigt hatten – und dass die USA Minuten später bereits Vorbehalte anmeldeten.

Blair, das liess seine Rede erkennen, steht unter Druck. Über eine Viertel Million Menschen hatten am Samstag gegen seine Irak-Politik demonstriert. Stundenlang waren die Massen – angeführt von der Stop the War Coalition, der Muslim Association of Britain, den neuen linken Gewerkschaftsführern und der traditionsreichen Campaign for Nuclear Disarmament (CND) – durch die britische Hauptstadt marschiert. Alte und Junge, Veteranen des letzten Kriegs gegen den Irak, GewerkschafterInnen und ImmigrantInnen, Friedensbewegte und GlobalisierungskritikerInnen. Vor einem Jahr hätte niemand auch nur einen Rappen darauf verwettet, dass die grosse Antikriegskoalition der achtziger und neunziger Jahre jemals wieder präsent sein könnte. Nach dem 11. September 2001 hielten viele diese alte Bewegung und auch die neue der GlobalisierungskritikerInnen für erledigt. Doch nun sind beide wieder da, stärker und bunter als je zuvor.

Innerhalb der letzten Monate hätten die BritInnen einen «Schnellkurs in politischer Bildung» absolviert, schrieb die Tageszeitung «Guardian» vor der Grossdemonstration. Meinungsumfragen geben dieser Einschätzung Recht. Fast 80 Prozent lehnen einen unilateren US-Angriff auf den Irak (mit oder ohne britische Unterstützung) ab. Auf die Frage, wer denn die grösste Bedrohung für den Weltfrieden darstelle, wurde US-Präsident George Bush (37 Prozent) nur knapp von seinem Amtskollegen Saddam Hussein (43 Prozent) geschlagen. George Kennedy, der Vorsitzende der oppositionellen Liberaldemokraten, sprach sogar von «Imperialismus» – dabei hatte George W. Bush da noch gar nicht die familiären Motive seines Kriegskurses angesprochen. Seine Rechtfertigung am vergangenen Wochenende, Saddam habe seinen Papa töten wollen, liess sogar US-Hardliner zusammenzucken.

Reihum erinnerten in den letzten Tagen britische Intellektuelle an den Terrorismus «made in the USA» – an die Contras in Nicaragua (Ken Loach), an Vietnam (Tony Benn), an Indonesiens Suharto (John Pilger) und an die Waffenlieferungen nach Bagdad, als Saddam noch der «good guy» des Westens war und vom heutigen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld hofiert wurde (Harold Pinter). Den Rest an politischem Anschauungsmaterial lieferte der US-Präsident selber.

«Wir repräsentieren hier nicht nur die Mehrheit der britischen Bevölkerung, wir vertreten die Mehrheit der Welt», sagte der Labour-Linke Tony Benn am Samstag auf der Abschlusskundgebung im Hyde Park. Am gleichen Tag demonstrierten über hunderttausend in Rom gegen den Krieg, den Bush anzetteln will und wohl anzetteln wird, Uno hin oder her. Auch in Dublin gingen am letzten Wochenende tausende auf die Strasse, ebenso in Madrid, Sydney, Auckland und Washington. In den USA hat sich mittlerweile auch Al Gore zu Wort gemeldet, der bei der letzten US-Präsidentschaftswahl mehr Stimmen gewann als George Bush. Er kritisierte in einer Offenheit, die er beim Wahlkampf vor zwei Jahren fatalerweise vermissen liess, die Politik der jetzt regierenden FundamentalistInnen – sie hätten den USA in der Welt mehr Schaden zugefügt als die Terroristen. Schon vorher hatten US-Intellektuelle einen Aufruf lanciert, dessen Parole «Not in My Name» auf der Londoner Demonstration vielfach wiederholt wurde – die Globalisierung hat da auch eine gute Seite.

In Deutschland hingegen müssen die antimilitaristischen Organisationen erst wieder den Boden finden. Ihnen hatte Kanzler Gerhard Schröder mit seiner wahlentscheidenden Ablehnung eines Irak-Kriegs die Kleider gestohlen. Inzwischen aber rudert Berlin zurück. Die rot-grüne Regierung hält die Verachtung kaum aus, die ihr seit Schröders Wahlaussage aus Washington entgegenschlägt. Über kurz oder lang wird sie a) die Präsenz deutscher Truppen in Afghanistan verstärken, um dem US-Militär mehr Spielraum für eine Irak-Offensive zu gewähren; b) militärische Schützenhilfe bieten (über die deutschen Geschwader am Horn von Afrika oder die Panzereinheiten in Kuweit); c) eine Beteiligung am Wiederaufbau von Bagdad zusichern; oder d) indirekt (wie beim letzten Golfkrieg) die Kosten eines US-Militäreinsatzes mitfinanzieren. Da der Kniefall absehbar ist, mobilisieren Gruppen rund um den deutschen Friedensratschlag für einen Aktionstag am 26. Oktober; für diesen Tag sind auch in den USA nationale Demonstrationen in Washington und San Francisco vorgesehen.

Und die Schweiz? Auch hier ist dank der Washingtoner Impertinenz mittlerweile ein breites Bündnis entstanden, dem neben GSoA, Attac, Friedensrat und Friedensbewegung, sozialistischen Initiativen, Solidaritätsgruppen auch Gewerkschaften angehören. Die erste Demonstration dieses Bündnisses beginnt am kommenden Samstag in Genf an der Place Neuve (14.30 Uhr). Eine nationale Manifestation ist für den 9. November geplant. Dabei, das war bei allen Antikriegsdemonstrationen so, werden nicht nur die US-Drohungen gegen den Irak zur Sprache kommen, sondern auch die hiesige Aufrüstung im Innern, die Not der palästinensischen Bevölkerung, die Doppelmoral der Herrschenden. Die antimilitaristische Bewegung ist wieder da. Thanks, Mr. Bush.

Aus: Wochenzeitung WoZ, 3. Oktober 2002


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