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Ostermarsch 2000 in Kassel

Rede von Peter Strutynski (Kasseler Friedensforum) vor dem Rüstungsbetrieb Krauss-Maffei Wegmann

Bei einer Zwischenkundgebung des Kasseler Ostermarsches 2000 vor dem Werkstor von Krauss-Maffei Wegmann schlug Peter Strutynski vom Kasseler Friedensforum den Teilnehmenden folgende Erklärung zur Verabschiedung vor:

Erklärung

Keine Panzer für die Türkei - Keine Panzer in die Wüste

Wir, Teilnehmer/innen am Ostermarsch 2000 in Kassel, wenden uns gegen die beabsichtigte Lieferung von 64 Spürpanzern der Fuchs-Serie an die Vereinigten Arabischen Emirate und gegen die mögliche Lieferung von 1.000 Leopard-Panzern in die Türkei. Zwar stehen mit diesen Großaufträgen für das Kasseler Rüstungsunternehmen Henschel Wehrtechnik 100 bis 150 Arbeitsplätze und für das Kasseler Rüstungsunternehmen Krauss-Maffei Wegmann 500 bis 600 Arbeitsplätze für ein paar Jahre auf dem Spiel. Die Panzergeschäfte würden jedoch den politischen Schaden und letztlich auch die ökonomischen Nachteile für die Region nicht ausgleichen.

Bei den vorgesehenen Panzerlieferungen sind drei Dinge kritisch zu bewerten:
  1. Rüstungsexporte in die Vereinigten Emirate stehen den am 19. Januar von der Bundesregierung verabschiedeten "Rüstungsexport-Richtlinien" diametral entgegen. Dort versprach die Bundesregierung, bei künftigen Rüstungslieferungen ins Ausland die dortige Menschenrechtssituation stärker zu berücksichtigen. Die Vereinigten Emirate sind ein Staatenbund aus sieben Scheichtümern, in denen die Regierenden (ein sog. "Rat der Herrschenden") keinerlei demokratische Legitimation besitzen. Im Land herrscht die Scharia, das heißt es wird nach islamischem religiösem Recht geurteilt: Amputationen von Gliedmaßen, Auspeitschungen und andere Formen der körperlichen Züchtigung sind auf der Tagesordnung. Die Menschenrechtsorganisation amnesty international führt den Staat regelmäßig in seinen Jahrbüchern auf. Scharping und sein christdemokratisches Kasseler Echo, der Bundestagsabgeordnete Gehb, werden nicht müde zu betonen, dass der Spürpanzer Fuchs ausschließlich eine Defensivwaffe sei. Nur: Eine Unterscheidung zwischen Defensiv- und Offensivwaffe ist im Anwendungsfall kaum zu treffen. Aus diesem Grund verzichten die Rüstungsexport-Richtlinien der Bundesregierung auch auf eine solche Unterscheidung. Waffen sind Waffen.
  2. Die drohende Lieferung von 1.000 Leopard-2-Kampfpanzern an die Türkei stellt in besonderer Weise eine Verletzung der Exportrichtlinien der Bundesregierung dar. Die Türkei gehört nach wie vor zu den Ländern, die in extremer Weise die Menschenrechte missachten. Die türkische Regierung führt einen unerklärten Krieg gegen die kurdische Bevölkerung, in dessen Verlauf 3.000 Ortschaften dem Erdboden gleichgemacht wurden und rund 30.000 Menschen ihr Leben lassen mussten. Ungerechtfertigte Anklagen gegen Oppositionelle, politische Verfolgung und Folter sind auf der Tagesordnung. Seit mehreren Jahren operiert die türkische Armee völkerrechtswidrig auf irakischem Territorium, angeblich um dorthin geflüchtete PKK-Kämpfer ausfindig zu machen.
  3. Die Strukturprobleme der beiden Kasseler Rüstungsunternehmen und der Region werden keineswegs durch die erwarteten Exportaufträge gelöst. Im Gegenteil: Seit Jahren hangelt sich die Henschel Wehrtechnik (mittlerweile eine Tochter von Rheinmetall) von Exportauftrag zu Exportauftrag und hofft auf lukrative Angebote aus dem Verteidigungsministerium. Die einseitige Orientierung auf die Rüstung führte immer wieder dazu, dass Kapazitäten eingeschränkt wurden, Beschäftigte entlassen wurden oder dass Kurzarbeit verfügt werden musste. Dies schützte das Unternehmen immer wieder davor, sich Gedanken über eine langfristige Strategie des Überlebens zu machen. Krauss-Maffei Wegmann hat vor mehr als 10 Jahren ganz bewusst seine zivilen Geschäftsfelder aufgegeben und seinen Rüstungsanteil erhöht. Die Beschäftigten wurden damit dem zivilen Marktgeschehen entzogen und ganz zu Geiseln der Unternehmenspolitik gemacht. Deren Entscheidung lautet: Entweder Rüstungsafträge oder gar nichts.

Wir plädieren für eine andere Entscheidung: Für den Frieden in der Welt einzutreten, heißt auch Schluss zu machen mit dem Export des Todes, mit der Versorgung jedweden Regimes mit Waffen und anderen Rüstungsgütern. Die Entwicklung ziviler Geschäftsfelder in den betroffenen Unternehmen wäre langfristig lohnender und könnte hochwertige Arbeitsplätze in Kassel sichern.

1988 haben auf einer gemeinsmen Veranstaltung anlässlich des Antikriegstags Vertreter der Friedensbewegung, der IG Metall und Betriebsräte der beiden Rüstungsbetriebe an die Unternehmen appelliert, in eine Diskussion über die Umwandlung der Rüstungsproduktion in die Produktion sinnvoller ziviler Güter einzutreten. Dazu waren die Unternehmensleitungen nie bereit. Wir appellieren heute an die IG Metall und an die Belegschaften der beiden Betriebe, diese Diskussion erneut anzustoßen. Das Wort Konversion hatte einst einen guten Klang in den gewerkschaftlichen Diskussionen. Es scheint heute aus der Mode gekommen zu sein. Dies wollen wir ändern.

Wer es wirklich ernst meint mit dem Frieden mit immer weniger Waffen und wer es ernst meint mit dem Erhalt von Arbeitsplätzen in Kassel, muss sich heute Gedanken machen über zivile Alternativen zur Rüstung. An der Konversion führt kein Weg vorbei.

Kassel, Ostermontag, 24. April 2000

Vorstehende Erklärung wurde von den Teilnehmern bei der Zwischenkundgebung und anschließend auch von den Teinehmern der Abschlusskundgebung mit großem Beifall zustimmend zur Kenntnis genommen. Das Friedensforum ist nun dabei, den Gesprächsfaden mit der örtlichen IG Metall wieder aufzunehmen.

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