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Alternativen zur weltweiten Kriegspolitik

Acht Schwerpunkte für die Friedensbewegung. Vorgelegt vom Bundesausschuss Friedensratschlag

Erfahrungsgemäß lässt der Widerstand einer Bewegung nach, wenn ihr unmittelbares Ziel nicht erreicht wurde. Dies war der Fall nach der Stationierung der Atomraketen im November 1983, nach dem Beginn des Golfkriegs 1991 und nach dem Beginn des Afghanistan-Kriegs im Oktober 2001. Es ist schwer, einem solchen "Abschlaffen" der Bewegung vorzubeugen. Soweit der Grund dafür darin zu suchen ist, dass die Bewegung gegen den Irak-Krieg in erster Linie eine Anti-Bewegung war, könnte der Gefahr eines allzu tiefen Zurückfallens dadurch begegnet werden, dass die Friedensbewegung ihre Alternativen zum Krieg deutlicher zum Ausdruck bringt, ihre "Anti"-Haltung (die muss natürlich bleiben!) also durch ein "Pro" ergänzt.

Der Bundesausschuss Friedensratschlag hat auf seiner Tagung am 17. Mai "Acht Schwerpunkte" und Handlungsorientierungen verabschiedet, womit die Friedensbewegung in die Auseinandersetzungen der nächsten Zeit gehen sollte.

1) Irak-Tribunal: Völkerrecht und UNO stärken
Die Friedensbewegung darf nach dem Ende des Irakkrieges nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Vielmehr steht eine gründliche Aufarbeitung des Krieges und der weltpolitischen Implikationen der US-Aggression an. Eine politische Verurteilung des Krieges durch den UN-Sicherheitsrat bzw. durch die UN-Generalversammlung ist unabdingbar, weil der Krieg sonst nachträglich legitimiert würde. Die Besetzung des Irak muss beendet werden, die Aggressoren und ihre Helfershelfer müssen juristisch verfolgt werden und Reparationen an den zerstörten Irak bezahlen und die zivilen Opfer bzw. deren Angehörige entschädigen. Eine von den Siegern dominierte Nachkriegsordnung ist abzulehnen. Das strikte Gewaltverbot der Charta der Vereinten Nationen und die universellen Menschenrechte müssen von allen Staaten respektiert werden. Die völkerrechtlichen Standards und die Institutionen der UN müssen gegen alle Unterminierungsversuche verteidigt werden.
Vorschlag:
Da gegenwärtig aber nicht damit zu rechnen ist, dass die UN-Institutionen einschließlich der UN-Gerichte ihrer Aufgabe gerecht werden, sollte die Friedensbewegung ersatzweise über die Aggressoren zu Gericht sitzen, d.h. eine Kampagne nach dem Vorbild des NATO-"Tribunals" initiieren. Damit verbunden ist eine friedenspolitische Aufklärungskampagne über Charakter, Wirkungsweise, Möglichkeiten und Grenzen der UNO sowie über die wichtigsten Prinzipien der UN-Charta und anderer einschlägiger Dokumente des Völkerrechts.


2) Frieden im Nahen Osten durch Gerechtigkeit
Regionale Sicherheit im Nahen Osten wird auch nach der formellen Beendigung des Irakkriegs nur auf der Basis gleichberechtigter Beziehungen zwischen strukturell angriffsunfähigen Staaten (einschließlich eines palästinensischen Staates) herzustellen sein. Das israelisch-palästinensische Problem bleibt eine Schlüsselfrage für die Zukunft des Nahen Ostens und damit ein zentrales Thema für die Friedensbewegung.
Vorschlag:
Friedensinitiativen sollten sich intensiv mit dem "road map" für den Nahen Osten beschäftigen, ihre Kontakte zu israelischen und palästinensischen Friedensgruppen ausbauen; größere Tagungen und Kongresse (z.B. "Friedenspolitischer Ratschlag" am 6./7. Dezember in Kassel) sollten dem Nahostkonflikt breiteren Raum geben.


3) Abrüstung statt Sozialabbau
Heute verfügen die Völker über alle erforderlichen Mittel, um Hunger und Armut als wesentliche Konfliktursachen zu beseitigen. Ungerechtigkeit und Arbeitslosigkeit könnten wirksam bekämpft, die Umwelt erhalten werden. Die dazu benötigten finanziellen Ressourcen sind vorhanden. Sie werden u.a. aber für eine sinnlose und überflüssige Rüstung vergeudet. Die Bundesregierung sagt selbst, dass es "heute und auf absehbare Zeit" keine "Gefährdung des deutschen Staatsgebiets durch konventionelle Streitkräfte" gibt. Daher verlangen wir eine drastische Reduzierung der Rüstung und die Streichung aller Rüstungsvorhaben, die für Auslandseinsätze der Bundeswehr vorgesehen sind. Die dadurch frei werdenden Mittel müssen für soziale Sicherung, zivile Arbeitsplätze, Bildung und Ausbildung verwendet werden.
Vorschlag:
Dafür wird sich die Friedensbewegung verstärkt einsetzen. Sie wird die Kontakte zu den Gewerkschaften vertiefen und mit dem "Gewerkschaftlichen Netzwerk für den Frieden" zusammenarbeiten. Vorgesehen ist die Initiierung einer bundesweiten Unterschriftenkampagne "Abrüstung statt Sozialabbau".


4) Interventionsarmee verhindern - Grundgesetz verteidigen
Die Friedensbewegung muss gegen den Umbau der Bundeswehr zu einer Angriffsarmee initiativ werden. Verteidigungsminister Struck will noch im Mai 2003 die Verteidigungspolitischen Richtlinien aus dem Jahr 1992 überarbeiten. Alles was bisher bekannt geworden ist, ist höchst alarmierend. "Landesverteidigung" (das einzige, wozu die Bundeswehr laut Grundgesetz geschaffen wurde!) ist danach out, es sei denn sie fände "am Hindukusch" statt (Struck); Einsätze im Ausland sind "in". Die neue "Armee im Einsatz" wird außerdem teurer.
Vorschlag:
Eine breite öffentliche Verfassungsdiskussion ist nötig (der 23. Mai ist "Verfassungstag"!). Wer die "neue Bundeswehr" will, müsste zuerst das Grundgesetz (z.B. Art. 87a) ändern. Gleichzeitig ist Widerstand gegen die zu erwartenden steigenden Rüstungslasten zu mobilisieren (Thema für Antikriegstag 1. September!).


5) Für ein demokratisches Europa des Friedens
Die Friedensbewegung sieht in den gegenwärtigen Versuchen, die Militarisierung der Europäischen Union voranzutreiben, eine grundverkehrte Weichenstellung. Europa braucht keine weiteren Eingreif- und Interventionstruppen, keine Rüstungsagentur und keine neuen Waffenprogramme. Europa braucht vielmehr politische Initiativen zur zivilen Konfliktprävention und zur Demokratisierung der europäischen Institutionen. Die Friedensbewegung muss ihre Europa-Abstinenz überwinden und sich stärker in den Prozess der europäischen Einigung und Erweiterung einmischen (Konvent, EU-Gipfeltreffen). Die europäische Verfassung muss sich zum Gewaltverbot der Charta der Vereinten Nationen bekennen und das Recht auf Kriegsdienstverweigerung anerkennen.
Vorschlag
Vorgeschlagen wird eine langfristig angelegte Aufklärungskampagne über den europäischen Integrationsprozess und dessen Gefährdung durch die Militarisierungspläne. Die Friedensbewegung sollte die Europawahlen 2004 nutzen, um ihre Vorstellung von einer "Friedensmacht Europa" ins öffentliche Bewusstsein zu rücken.


6) Zivile Prävention statt Präventivkriege
Der Irakkrieg war eine erste Umsetzung der Neuen Nationalen Sicherheitsstrategie der Vereinigten Staaten, die US-Präsident am 20.September 2002 verkündet hatte. Danach nehmen sich die USA das Recht heraus, gegen jeden beliebigen Staat der Welt Kriege zu führen, um vermeintliche künftige Bedrohungen "präventiv" zu bekämpfen. Würde diese Strategie Allgemeingut der Staatengemeinschaft, könnte sich die Welt in einen chaotischen Zustand des permanenten Krieges verwandeln.
Vorschlag:
Die Friedensbewegung setzt dieser Strategie nicht nur die Achtung des Völkerrechts entgegen (siehe Punkt 1), sondern auch den Gedanken der zivilen Prävention zur Verhinderung gewaltsamer Konflikte. Auch gegen den internationalen Terrorismus helfen keine Kriege, sondern nur eine Politik, die dem Terrorismus und seinem Umfeld den Nährboden entzieht. Bei Veranstaltungen um den 11. September 2003 (der gleichzeitig an den US-inspirierten Putsch gegen die demokratische Regierung Allende in Chile vor 30 Jahren erinnern sollen) wird die Friedensbewegung auf solche Zusammenhänge aufmerksam machen.


7) Massenvernichtungswaffen aufspüren - überall!
Das Ziel einer Beseitigung und Unschädlichmachung von Massenvernichtungswaffen und ihrer Trägersysteme sollte nicht nur für den Irak, sondern für alle Staaten geltend gemacht werden. Atomwaffen, Rüstungsproduktion und Konversion sowie Rüstungsexporte müssen wieder Thema der Friedensbewegung werden.
Vorschlag:
Angeregt werden symbolische Waffeninspektionen bei Rüstungsunternehmen oder Forschungslabors, die Verbreiterung der weltweiten Initiative "Atomwaffen abschaffen" durch dezentrale Aktionen am Hiroshima/Nagasaki Tag (6. und 9. August)


8) Neoliberale Globalisierung als Kriegs- und Gewaltursache
Die in den letzten Monaten gewachsenen Teileinsichten der Bevölkerung in globale ökonomische und ökologische Zusammenhänge sollten von der Friedensbewegung genutzt werden, um praktikable Alternativen zum verschwenderischen und zerstörerischen Kapitalismus insbesondere der "Ersten Welt" zu diskutieren.
Vorschlag:
Gemeinsame Diskussionsforen mit Attac-Gruppen und mit anderen globalisierungskritischen sozialen und politischen Bewegungen könnten für die Friedensbewegung eine außerordentliche Bereicherung darstellen. G-8-Gipfel (z.B. Evian im Sommer), das Europäische Sozialforum sowie das Weltsozialforum sind "Termine", die auch für die Friedensbewegung relevant werden.



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