Terrorismus, Friedensbewegung und die Medien I
Pressereaktionen auf die bundesweite Aktionskonferenz der Friedensbewegung in Kassel (Teil 1)
Die Medien hatten in den letzten Jahren ein etwas gestörtes Verhältnis zur Friedensbewegung. Manchmal fehlte sie ihnen ("Wo bleibt die Friedensbewegung?"), dann wieder nahmen sie keine Kenntnis von ihr und immer wieder versuchten sie sie in eine mal antiamerikanische, mal linksradikale, mal verzopft-pazifistische Ecke zu stellen. Im Augenblick mag das nicht mehr so einfach funktionieren, weil neben der Betroffenheit über die Terroranschläge auch die Angst vor militärischen Vergeltungsmaßnahmen und damit die Sorge um den Weltfrieden auch bei den meisten Medien angekommen ist. Diese Sorgen werden mittlerweile in Demonstrationen, Kundgebungen, Mahnwachen, Diskussionsveranstaltungen, Gottesdiensten usw. massenhaft zum Ausdruck gebracht.
Die Reaktionen auf die Aktionskonferenz der Friedensbewegung am 22. September in Kassel waren dementsprechend vielfältig und widersprüchlich. In den meisten Zeitungen wurde kurz aber korrekt über den "Ratschlag" berichtet, wobei als Hauptereignis der Beschluss über die bundesweite Demonstration am 13. Oktober genannt wurde. Das Fernsehen (HR 3) vermittelte mit seinen Bildern und O-Tönen auch etwas von der guten Atmosphäre der Konferenz. Selbst in einigen Radio-Nachrichten wurde auf das Ereignis hingewiesen. In einigen Fällen wurden sogar einige der am selben Tag durchgeführten Demonstrationen und Kundgebungen in mehreren Städten erwähnt.
Im Folgenden dokumentieren wir eine Reihe von Reaktionen in den Printmedien. Teilweise müssen sie bei friedensbewegten Menschen gemischte Gefühle hinterlassen.
Pst
Der Evangelische Pressedienst brachte folgende Meldung:
Terrorismus/Friedensbewegung
Friedensbewegung protestiert gegen Militärinterventionen der NATO
Berlin/Kassel (epd). Friedensgruppen haben am Wochenende in mehreren
Städten gegen Militärinventionen der NATO-Staaten zur Bekämpfung des
Terrorismus protestiert. In Berlin demonstrierten nach Angaben der
Veranstalter am Samstag rund 5.000 Menschen gegen
Kriegsvorbereitungen und eine mögliche Beteiligung der Bundeswehr an
Militärschlägen. Auf einem "Friedensratschlag" in Kassel kündigten
Vertreter von rund 120 Friedensgruppen und Globalisierungskritiker
weitere Protestaktionen unter dem Motto "Aufstehen für den Frieden"
an. Am 13. Oktober ist eine Großdemonstration in Berlin geplant.
Auf dem Treffen in Kassel wurde vor einem langwierigen militärischen
Konflikt gewarnt. "Wenn es nicht gelingt, die Militäroption zu
verhindern, stehen wir möglicherweise vor einem Jahrhundert im
permanenten Kriegszustand", sagte der Kasseler Hochschullehrer Peter
Strutynski, Sprecher des "Friedensratschlags". Den Begriff der
"uneingeschränkten Solidarität" mit dem amerikanischen Volk könne man
nicht akzeptieren: "Die deutsche Bevölkerung ist nicht kriegsbereit."
Teilnehmer des Treffens erklärten, mit Waffengewalt könne man die
Ursachen von Feindschaft, Hass und Terrorismus nicht beseitigen.
Notwendig sei eine Bestrafung der Verantwortlichen von
Terroranschlägen, nicht Rache. Ein Rechtsstaat zeichne sich dadurch
aus, dass er mit juristischen Mitteln antworte.
Sprecher Strutynski plädierte dafür, den geplanten Internationalen
Strafgerichtshof zu verwirklichen. Bei einer Entführung könne die
Polizei nicht die Geiseln auffordern, den Geiselnehmer auszuliefern.
Genau so absurd seien aber Forderungen an das afghanische Volk, die
von der international geächteten Taliban-Regierung gedeckten
Terroristen zu übergeben.
Die USA selbst hätten vor Jahren den Fehler gemacht, die Taliban zu
bewaffnen. Erforderlich seien zivile Konfliktstrategien. Dazu
gehörten vor allem politische Sanktionen, die die Bevölkerung nicht
treffen, sowie ein wirksames Rüstungsembargo, so Strutynski.
(23.09.01; Evangelischer Pressedienst (epd), Landesdienst Kurhessen-Waldeck)
In der Sonntagszeitung der in Kassel beheimateten HNA-Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinen fand sich folgender Artikel über die Aktionskonferenz:
Friedensbewegung ruft zu Demo in Berlin auf
Von unserem Redakteur Peter Ketteritzsch
Kassel. Mit zahlreichen Demonstrationen und Aktionen will die Friedensbewegung in den nächsten Wochen gegen mögliche militärische Vergeltungsschläge nach den Attentaten von New York und Washington protestieren. Das beschlossen rund 120 Vertreter von Friedensgruppen und Initiativen am Samstag bei einem Treffen in Kassel. Für den 13. Oktober ruft die Friedensbewegung zu einer zentralen Demonstration in Berlin auf. Sie soll unter dem Motto "Aufstehen für den Frieden" stehen, teilte Peter Strutynski, Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag, mit. Zeitgleich sei eine Großdemonstration in Stuttgart geplant. Statt mit Militärschlägen zu reagieren, müssten die Ursachen für Gewalt, Hass und Terrorismus bekämpft werden, forderten die Teilnehmer der Veranstaltung. Durch eine Militäraktion drohe das neue Jahrhundert zu einem "Zeitalter des permanenten Kriegszustands" zu werden. Das Taliban-Regime in Afghanistan müsse isoliert und der terrorist Osama bin Laden vor einen Internationalen Gerichtshof gestellt werden, so Strutynski. Bestrafung muss sein, aber keine Rache." Im Kampf gegen den Terrorismus sollen die USA die Nachbarländer Afghanistans als gleichberechtigte Partner behandeln, lautet eine weitere Forderung. Heftige Kritik übten die Vertreter von Friedesngruppen an der uneingeschränkten Solidaritätserklärung von Bundeskanzler Schröder (SPD) an die Adresse der Amerikaner. Die Mehrheit der Deutschen lehnten einen Krieg ab.
Die Frankfurter Rundschau berichtete am 24. September ebenfalls aus Kassel:
Friedensbewegung: "Rachefeldzug wäre die falsche Antwort"
guz KASSEL, 23. September. "Wir sind zusammengekommen, weil wir nach der
Wucht der verbrecherischen Terroranschläge die Wucht kriegerischer Antworten
fürchten, die wir für falsch halten", sagte der Kasseler Wissenschaftler Peter
Strutynski, Initiator einer Konferenz deutscher Friedensgruppen in Kassel. Wenn
es der Menschheit nicht gelinge, die drohenden Rachefeldzüge der USA zu
verhindern, könne das 21. Jahrhundert zu einer "Epoche des permanenten
Kriegszustandes" werden. Vehement wandte sich die Konferenz "gegen die von
US-Präsident Bush errichtete neue Doktrin, wonach man entweder auf Seiten der
USA sei oder an der Seite der Terroristen". In dieses "einfältige
Schwarz-Weiß-Schema" lasse sich die Friedensbewegung nicht zwängen, sagte
Strutynski. Sie halte an ihrer Position fest, dass Terror nicht mit Krieg beantwortet
werden dürfe. "Bestrafung: ja, Rache und Vergeltung: nein!". Dem Terrorismus
müsse durch "zivile Maßnahmen", durch die Stärkung des internationalen Rechts
und durch einen "Interessenausgleich" zwischen den armen und den reichen
Ländern auf sozialer und politischer Ebene der Boden entzogen werden.
Heftige Kritik übten die Konferenzteilnehmer an der uneingeschränkten
Solidaritätserklärung von Bundeskanzler Schröder: "Dieser Blankoscheck für
militärische Aktionen der USA steht völlig im Gegensatz zur Meinung der Mehrheit
der Bevölkerung", sagte Willi van Ooyen vom Bundesausschuss Friedensratschlag
(Frankfurt). Tausende Menschen protestierten am Wochenende in Berlin, Köln und
München unter Mottos wie "Kein Krieg - keine Vergeltung" gegen Militäraktionen
der USA und der Nato. Am 13. Oktober sind Großdemonstrationen in Berlin und
Stuttgart geplant. (FR, 24.09.2001)
Die Süddeutsche Zeitung
liebt es kurz und bündig, wenn es um die Friedensbewegung geht. Selbst in dieser seriösen Zeitung gibt es zur Oktoberfestzeit eben Wichtigeres als das Nachdenken über den Weltfrieden. Und die vielen Demonstrationen, die am Samstag außerhalb von Berlin stattfanden, werden nicht einmal erwähnt:
Friedensgruppen demonstrierten am Wochenende in mehreren
Städten gegen mögliche Militärinventionen zur Bekämpfung des
Terrorismus. In Berlin demonstrierten nach Angaben der
Veranstalter etwa 5000 Menschen gegen Kriegsvorbereitungen
und eine mögliche Beteiligung der Bundeswehr an
Militärschlägen. Auf einem „Friedensratschlag“ in Kassel
kündigten Vertreter von etwa 120 Friedensgruppen und
Globalisierungskritikern weitere Protestaktionen unter dem Motto
„Aufstehen für den Frieden“ an. Am 13. Oktober ist eine
Großdemonstration in Berlin geplant. (SZ, 24.09.2001)
Ausführlich berichtete das Neue Deutschland, die mit einem Korrespondenten vor Ort war.
Der Terror und seine Folgen:
Aufruf zu Widerstand gegen Terror und Krieg
Kasseler Friedensratschlag wandte sich mit Appell an die Bevölkerung
Von Peter Liebers, Kassel
Mit dem Aufruf »Aufstehen für den Frieden« hat sich eine bundesweite Aktionskonferenz der
Friedensbewegung am Sonnabend in Kassel an die deutsche Bevölkerung gewandt und sie
aufgefordert, Nein zu Terror und Krieg zu sagen.
Die Friedensbewegung wolle ein Zeichen setzen und deutlich machen, dass die Bevölkerung der
Bundesrepublik nicht kriegsbereit ist, betonte Peter Strutynski vom Bundesausschuss
Friedensratschlag. Das müsse den Herrschenden gesagt werden. Die Anschläge hätten die
Friedensbewegung abrupt aus dem »friedenspolitischen Alltag« gerissen, konstatierte Strutynski,
verwies aber zugleich darauf, dass gerade die Friedensbewegung immer wieder vor derartigen
Ereignissen gewarnt habe.
Wer Hunger, Not und Ungerechtigkeit in der Welt säe, werde letztlich Terror ernten. Heute sei die
Friedensbewegung mehr denn je gefragt, weil die Wucht des Krieges drohe. »Dagegen müssen wir
aufstehen«, forderte Strutynski. Es müsse verhindert werden, dass auf die Menschen verachtenden
brutalen Terroranschläge von New York und Washington militärisch reagiert wird, weil dem
21.Jahrhundert sonst der globale Kriegszustand drohe. Bushs Äußerung, wer nicht mit den USA sei,
sei mit den Terroristen, wertete Strutynski als »gigantischen Angriff auf alle friedliebenden Menschen«.
Er sei froh, dass es noch viele Menschen gibt, die sich diesem Zwang nicht beugen.
In ihrem Aufruf verurteilen die Konferenzteilnehmer die Terroranschläge und plädieren dafür, die Täter
aufzuspüren und vor ein Gericht zu stellen. Zugleich verwahren sie sich gegen einen militärischen
Rachefeldzug, weil Krieg keine Konflikte lösen könne. Sicherheit sei nur durch Abrüstung und globale
soziale Gerechtigkeit zu erreichen, heißt es in dem Papier. Darin wird nachdrücklich vor der Aufspaltung
der Welt in eine zivilisierte, kapitalistische, reiche und eine barbarische, unterentwickelte arme Welt
gewarnt.
Entschiedenen Widerstand signalisiert der Aufruf auch gegen den Versuch, die Terroranschläge als
Vorwand für den drastischen Abbau demokratischer Rechte zu missbrauchen. »Wenn wir es jetzt nicht
schaffen, etwas Entscheidendes für den Frieden zu tun, wird es schlimm«, warnte Matthias Jochheim
(IPPNW). Die Anschläge in den USA seien Reaktionen auf den dauernden massiven Terror, den die
USA auf andere Länder ausübten. Krieg sei dabei die maximalste Form des Terrors. Aus Sicht von
Reinhard Funk aus Hagen sind die USA im Begriff, einen Krieg zu führen, den sie schon seit langem
vorbereitet haben, um den Aufschwung nationaler Befreiungsbewegungen beispielsweise in
Lateinamerika zu ersticken.
Regina Hagen vom Darmstädter Friedensforum verwies warnend darauf, dass Pakistan mit großer
Wahrscheinlichkeit über Atomwaffen verfügt, aber niemand wisse, wer darüber das Kommando habe.
Sie berichtete auch über Informationen von Mitgliedern der amerikanischen Friedensbewegung, die
einem ungeheuren Druck ausgesetzt seien und panische Angst hätten, weil sie mit Morddrohungen
verfolgt werden. Die bedürften der Solidarität. Die forderte auch der Afroamerikaner Steffen Sommers von
der Stop-The-War-Bewegung, die Friedensarbeit unter amerikanischen Soldaten leistet. Er berichtete
von einem Soldaten in Deutschland, der in einem Zeitungsinterview betont hatte: »Ich will nicht in den
Krieg.« Er sei sofort verhaftet worden, werde jetzt aus der Armee ausgeschlossen und in die Staaten
zurück geschickt. Sommers schloss daraus: »Ein Leben haben wir gerettet.«
Der Politikwissenschaftler Prof. Werner Ruf von der Universität Kassel stellte die Frage, was geschehen
sein müsse, wenn Menschen den einzigen Sinn ihres Lebens darin sehen, als Selbstmordattentäter
möglichst viele Menschen mit in den Tod zu reißen, und erinnerte daran, dass im Irak in Folge des von
den USA erzwungenen Embargos 1,5 Millionen Kinder umgekommen sind. Er warf den USA vor,
staatsterroristische Regimes in islamischen Ländern zu unterstützen. So werde für das Nachwachsen
des Terrors gesorgt. Gegen Terrorismus gebe es keine militärische Sicherheit. Nur auf der sozialen,
kulturellen und politischen Ebene könne etwas Wirksames gegen Terrorismus getan werden.
Die Zeichen stünden auf Krieg, die Frage sei nur, was für ein Krieg das sein werde. Dass sich ein
deutscher Bundeskanzler in dieser Situation in Vasallentreue »bedingungslos« zur Unterstützung der
USA bekenne, erschüttere ihn. Ruf erinnerte daran, dass sich namhafte Generale im Gegensatz zur
Bundesregierung gegen Militärschläge ausgesprochen haben und riet zu überlegen, ob die
Friedensbewegung künftig nicht nur bei denkenden Militärs, sondern auch im Kapital Verbündete finden
könne. Der totale Liberalismus drohe in das totale Chaos umzuschlagen. Das beeinträchtige auch die
Kapitalverwertung. Dieser Sicht mochten sich einige allerdings nicht anschließen.
Nach Kassel kamen so viele Teilnehmer, dass die Konferenz aus dem zu kleinen Saal des
Gewerkschaftshauses in das evangelische Forum verlegt werden musste. In der Einladung wurde
betont, die »neue Mitte« biete keine neue Politik. Alternativen erforderten eine breite Basisbewegung,
nicht für eine Partei, sondern für eine neue Politik. Diese Bewegung dürfe sich nicht auf
Kompromissbildungsprozesse beschränken lassen, sondern müsse überzeugende Lösungen für eine
Reformstrategie präsentieren, um außerparlamentarische Artikulations- und Handlungsfähigkeit zu
erlangen.
Die Konferenzteilnehmer, Vertreter verschiedener Gewerkschaften, Bürgerinitiativen, von
Umweltverbänden Friedens- und kirchlichen Gruppen zwischen Nordsee und Bodensee riefen für den 13.
Oktober zu Kundgebungen in Berlin und Stuttgart auf, mit denen deutlich gemacht werden soll, dass es
keine Mehrheit für einen Krieg gibt.
(ND 24.09.01)
Wie unterschiedlich doch die Sichtweisen sind. Der taz-Korrespondent kann es nicht lassen, der Friedensbewegung eins auszuwischen ("Veteranen" der 80er Jahre) und den Rednern der Veranstaltung die Worte im Munde herumzudrehen. Aus der Kritik an den ungleichen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen in der Welt und der Politik der USA wird auf diese Weise eine Verharmlosung des Terrorismus. Und geblendet von UZ und Roter Fahne im Foyer übersah der Korrespondent glatt den Büchertisch des Friedensratschlags. Der unausgesprochene Vorwurf der Einseitigkeit an die Adresse der Friedensbewegung kann leicht auf den Absender zurückfallen. Doch hier der Artikel im Wortlaut:
"Wer Hunger und Not sät . . ."
Friedensveteranen bewerten die Terroranschläge als
"Verzweiflungstat" und "Antwort auf die westliche Politik der
Spaltung der Welt in Arm und Reich"
aus Kassel KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT
Für den Politologen Werner Ruf von der Gesamthochschule
Kassel steht schon lange fest, dass die schlimmsten Terroristen in
Washington sitzen. Oder in Tel Aviv. So sei etwa das von den
USA inszenierte Embargo gegen den Irak ein "terroristischer
Akt" gewesen. Tausende hätten dort sterben müssen, nur weil es
keine Medikamente mehr gab. Und die israelische Armee
schieße in Palästina kleinen Jungen auf Balkonen in den Kopf.
"Alles Terror." Rufs Schlussfolgerung: "Die Terrorakte gegen die
USA sind die fürchterliche Antwort auf die westliche Politik der
Spaltung der Welt in Arm und Reich."
Der Hochschullehrer sprach auf dem außerordentlichen
"Ratschlag" der deutschen Friedensbewegung an diesem
Wochenende in Kassel zum Thema "weltpolitische Implikationen
von Terrorismus und Krieg". Und er bekam viel Beifall für seine
Ein- und Auslassungen. Vor Ruf hatte schon Peter Strutynski
vom Bundesausschuss Friedensratschlag und vom Kasseler
Friedensforum in seiner Ansprache an die rund 150 Mitglieder
von Friedensgruppen aus der ganzen Republik die
"Verzweiflungstat" (Ruf) der fliegenden Massenmörder in New
York und Washington zwar als "schreckliche Terrorattentate"
verurteilt, den USA aber gleichzeitig eine Mitschuld attestiert:
"Wer Hunger und Not sät, wird Terror ernten."
Wie Ruf warnte auch Strutynski davor, der Wucht des Terrors
die Wucht des Krieges entgegenzusetzen, sonst drohe das 21.
Jahrhundert zu einem "Jahrhundert des Massakers" zu werden.
Gegen den geplanten "Krieg der Nato" müsse die Bevölkerung
jetzt "massenhaft auf die Straße gehen". Gelegenheit dazu will ihr
die Friedensbewegung schon bald geben. Am 13. Oktober
sollen in Berlin und Stuttgart Großdemonstrationen stattfinden
und bis dahin die Aktivisten der Friedensbewegung überall
Diskussionsveranstaltungen und Mahnwachen organisieren. Im
Zentrum der Kritik wird dann auch die Bundesregierung stehen.
Bundeskanzler Schröder habe mit seiner Ankündigung, den USA
"bedingungslos" folgen zu wollen, die Menschen in Deutschland
"in Geiselhaft genommen", sagte Willy von Ooyen vom
Bundesausschuss Friedensratschlag.
Nach Kassel gekommen waren vor allem die Veteranen der
Bewegung, die schon in den Achtzigerjahren gegen die
Nato-Nachrüstung protestiert hatten. Und wie in alten Zeiten
lagen draußen im Foyer vor dem Gemeindesaal die
richtungweisenden Publikationen der Speerspitzen des deutschen
Proletariats aus: Unsere Zeit und die Rote Fahne.
Und sonst (fast) nichts. In der Generaldebatte auf dem
"Friedensratschlag" boten die dogmatischen Splittergruppen dann
noch eine Phalanx von Rednern auf - und die Friedensbewegten
hörten ihnen friedlich zu. Da trug ein Reinhard aus Hagen vor,
dass die USA den "Krieg gegen die Dritte Welt" schon lange
vorbereitet hätten und der Anschlag auf das World Trade Center
der Nato und ihren Krisenreaktionskräften einen willkommenen
Anlass zum Losschlagen biete.
Eine Marianne von den Internationalen JuristInnen gegen
Atomwaffen (IALANA) sprach davon, dass die USA und die
Nato jetzt einen "Ring aus Krieg" um die Erdöl fördernden
Länder legen wollten, um dem Westen die zur Neige gehenden
Erdölreserven zu sichern. Und ein anderer rief zur Unterstützung
der "antiimperialistischen bewaffneten Befreiungskämpfe in
Palästina und in Kolumbien" auf. Auch dafür gab es noch Beifall.
Hart mit den USA ins Gericht ging auch der einzige
US-Amerikaner im Friedensauditorium. Darnel Stephan
Summers von der Organisation "Vietnam Veterans Against the
War" (VVAW) spannte einen Bogen von den
Atombombenabwürfen auf Japan über den von den USA
dominierten Golfkrieg bis hin zum "Nato-Bombardement" eines
Flüchtlingstrecks im Kosovokrieg 1999. Die USA, so Ex-GI
Summer, seien der "world terrorist number one".
Außer dem Appell an die USA und die Nato, auf einen
militärischen Gegenschlag zu verzichten, wurden auf diesem
Friedensratschlag andere Konzepte zum Ausstieg aus der
"Gewaltspirale" nur im Ansatz diskutiert. Hochschullehrer
Werner Ruf verlangte eine "politische Kehrtwende" bei der
Bekämpfung des Terrorismus. Der Krieg gegen die Armut sei zu
inszenieren. Und der Respekt vor anderen kulturellen Identitäten
müsse gepflegt werden. Das entziehe den Terroristen den
Nährboden. Krieg hingegen produziere nur neuen Terror. Sein
Vorschlag, die "Kapitalisten" mit in diese langfristig angelegte
Strategie zur Befriedung der Welt einzubinden, weil die ein
Interesse daran hätten, ihren Geschäften in Ruhe - ohne Krieg -
nachzugehen, standen die Friedensfreunde in Kassel dann aber
eher skeptisch gegenüber. Der Teufel, sagte einer von ihnen,
könne doch nicht mit dem Beelzebub ausgetrieben werden.
(taz, 24.09.2001)
Die junge welt begnügte sich nicht mit der Wiedergabe einer Agenturmeldung, sondern brachte ein Interview mit einem Teilnehmer an der Aktionskonferenz.
Was setzt Friedensbewegung gegen »Kreuzzug« der USA?
jW fragte Peter Strutynski, Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag und
Politikwissenschaftler an der Uni Kassel
F: Am Samstag fand in Kassel ein bundesweites Treffen friedenspolitischer Gruppen statt. Die
aktuelle Entwicklung nach den Anschlägen in den USA stand wohl auch hier im Vordergrund?
Es waren rund 150 Menschen aus allen Teilen der Bundesrepublik und aus vielen
unterschiedlichen Friedensorganisationen da. Trotz räumlicher Enge und knapper Zeit gab es
interessante Diskussion, die sich natürlich in erster Linie mit den möglichen Folgen der
Terroranschläge für die Weltpolitik befaßten. Es war eine sehr disziplinierte und solidarische
Diskussion.
F: Wurden weitere Aktionen der Friedensbewegung beschlossen?
Am wichtigsten erscheint mir die Einmütigkeit, mit der wir einen Aufruf »Aufstehen für den
Frieden« verabschiedet haben. In diesem Aufruf wird noch einmal der Standpunkt der
Friedensbewegung bekräftigt, wonach auf menschenverachtenden Terror nicht mit kriegerischer
Gewalt geantwortet werden darf, weil damit wieder nur unschuldige Menschen getroffen
würden. Außerdem droht durch die ja sehr wahrscheinliche militärische Antwort der USA eine
neuerliche schreckliche Gewaltspirale. Die Friedensbewegung wird in der Bevölkerung um ihre
begründete Ablehnung von US-Militärschlägen und einer deutschen Beteiligung daran werben.
Die Bereitschaft zur Diskussion und die Offenheit gegenüber den Antworten der
Friedensbewegung scheinen uns im Augenblick sehr groß zu sein.
F: Es gab aber sicherlich auch unterschiedliche Einschätzungen?
In den wichtigsten inhaltlichen Fragen gab es große Übereinstimmung. Die Friedensbewegung
hat sich in den letzten Jahren ein festes Gerüst von pazifistischen Grundüberzeugungen zugelegt,
die auch in solchen schwierigen Zeiten tragfähig sind. Die spontanen Reaktionen der
Friedensinitiativen auf die Terroranschläge und die angedrohte militärische Vergeltung waren -
auch ohne zentrale »Anleitung« - im ganzen Land fast identisch: »Trauer JA, Vergeltung
NEIN«, »Bestrafung JA, Rache NEIN«, »Kein Krieg«, das waren die meist gehörten
Losungen. Hinzu kam die Überzeugung, daß Terrorismus eben nicht mit ein paar schnellen
Kriegsaktionen zu besiegen ist, sondern daß ihm der »Nährboden« entzogen werden muß, auf
dem er gedeiht. Und das sind die großen Probleme dieser Welt: Die wirtschaftliche und soziale
Spaltung in Reich und Arm und die politischen und kulturellen Asymmetrien in der globalisierten
Ordnung. Mir scheint, daß solche Grundüberzeugungen auch eine gute Basis bilden, um mit den
neuen Gruppen der Globalisierungskritiker ins Gespräch zu kommen. Die Organisationen
German Watch und Vertreter von Attac haben großes Interesse an einer Zusammenarbeit
bekundet. Der vereinzelte Versuch einer Randgruppe, Krieg nicht pauschal als politisches
Mittel zu verwerfen, hatte keine Chance.
F: Welche Schritte sind als nächstes geplant?
Das wichtigste ist wohl, daß wir für den 13. Oktober eine bundesweite Demonstration und
Kundgebung in Berlin beschlossen haben. Die Aktion wird begleitet von einer regionalen
Aktion in Baden-Württemberg. Am kommenden Freitag wird sich ein Trägerkreis dazu
konstituieren. Bis dahin soll auf örtlicher und regionaler Ebene weitergearbeitet werden, wobei
die Diskussion und Zusammenarbeit mit gesellschaftlichen »Großgruppen« wie Kirchen,
Gewerkschaften und Ausländerverbänden intensiviert werden.
F: Finden die Vorschläge und die Kritik aus der Friedensbewegung in der sogenannten großen
Politik, also in Parlamenten usw. ihren Widerhall, oder hat hier eine starke Abschottung
stattgefunden?
Die Abstimmung im Bundestag hat viele von uns schon enttäuscht. Wo blieben die
»Aufrechten« aus der Mazedonien-Abstimmung? Mit Befriedigung wurde das Verhalten der
PDS registriert. Insgesamt gilt aber: Der Druck auf die Politik muß vor allem von der
außerparlamentarischen Bewegung kommen. Dazu wird die Friedensbewegung ihren Teil
beitragen und insgesamt einen Zahn zulegen müssen.
Interview: Thomas Klein
(junge welt, 24.09.2001)
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