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Mit aller Konsequenz

Hanna Poddig: "Freiwillig" ins Gefängnis nach Störung eines Rüstungstransports – und nun wieder draußen

Von Sigrid Lehmann-Wacker und Christof Neubauer *

Hanna Poddig, 26, ist Vollzeit­aktivistin. Ihr 2009 erschienenes Buch »Radikal mutig – Meine Anleitung zum Anderssein« (Rotbuch Verlag) brachte sie in die Medien. Gerade hat sie fünf Wochen im Gefängnis verbracht, weil sie einen Rüstungstransport der Deutschen Bahn aufgehalten hat, indem sie sich an die Gleise kettete, seit dem 18. April ist sie wieder auf freiem Fuß.

Poddig wirkt hübsch und verschmitzt mit ihren langen blonden Haaren und den vielen Lachfältchen – nicht wie eine, die sich verbittert in einem Märtyrerinnendasein eingerichtet haben könnte. Sie lebt wie andere freie Aktivistinnen vom sogenannten Containern, das heißt, sie holt sich Lebensmittel aus den Abfallbehältern auf abgesperrten Arealen hinter Supermärkten. Denn die entsorgten Waren sind häufig noch einwandfrei und landen nur wegen beschädigter Verpackung oder einer neu eingetroffenen Sortimentlieferung im Müll. Auch sonst versucht sie, ihr Leben weitgehend ohne Geld zu organisieren: Sie tauscht, geht in Umsonstläden und trampt. Geld vom Staat möchte sie nicht annehmen, die ungeheure Verschwendung von Lebensmitteln und Ressourcen empört sie. Das wenige Geld, das sie zum Leben braucht, bezieht sie über Referentinnenjobs z.B. bei Workshops.

Nach Erscheinen von »Radikal Mutig« wird die damals 23jährige häufig in Talkshows eingeladen, in Zeitungen erscheinen immer wieder Porträts. Sehnt sich die Öffentlichkeit nach einer jungen Heldin, die die Verantwortungslosigkeit von Politik und Gesellschaft anprangert und Alternativen aufzeigt? Andererseits fallen bei Maybrit Illner, Markus Lanz & Co. dann doch regelmäßig alle Beteiligten über sie her. Ob sie sich denn nur durchschmarotzen und keine Verantwortung übernehmen wolle, ist eine der üblichen Anfeindungen. Doch Poddig bleibt ruhig, argumentiert sachlich, lächelt viel.

Ein wenig stört sie der Umstand, daß die Medien vor allem an ihren Container-Aktionen interessiert sind, »obwohl alles andere, was ich mache, viel interessanter ist«. So sieht ihr Alltag aus: Pressemitteilungen verfassen, Flyer in der Fußgängerzone verteilen und mit Passantinnen über Zustände, die sie einfach nicht hinnehmen kann, diskutieren. Einen Tag vor dem Klimagipfel 2006 klettert sie auf das Brandenburger Tor, um es mit einem »Kohle killt Klima«-Banner zu schmücken. Auf Aktionärsversammlungen des Energiekonzerns E.on stellt sie als Vertreterin der Kritischen Aktionäre unbequeme Fragen.

Februar 2008. An einem Sonntag um drei Uhr morgens kettet sich Hanna Poddig an ein Bahngleis in Nordfriesland, um gegen Waffen- und Materialtransporte für den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr zu protestieren. Sie legt sich für Stunden auf die Bahnschienen, ihre Hände sind in einem Metallrohr um die Schienen gekettet. Vier andere Aktivistinnen kümmern sich um ihre Versorgung. Die Polizisten stehen genauso ratlos wie die Feuerwehr oder das Technische Hilfswerk vor der jungen Frau. Wie soll man sie dort wegbekommen? Die Strecke ist gesperrt, der Zug mit dem Kriegsmaterial muß seine Fahrt für mehrere Stunden unterbrechen. THW-Experten gelingt es schließlich, die Gleise aufzuschneiden und Poddig »herauszufädeln«. Die Aktivistin hat einmal mehr ihr Ziel erreicht: Sand im Getriebe zu sein.

Einen Monat nach ihrer Ankettaktion erhält Poddig den »Rückgratpreis« der Bad Oldesloer Liebe-Lütje-Stiftung dafür, daß sie »spontan für ihre Überzeugung ihr Leben, ihre Gesundheit« eingesetzt hatte. Die langwierigen Prozesse gegen sie wegen »Nötigung« und »Störung öffentlicher Betriebe« werden von Straßentheater und öffentlichen Kundgebungen gegen Militarisierung und die gerichtliche Ahndung von Widerstand begleitet. Im Juli 2011 wird mit der Ablehnung der Revision das Urteil gegen Hanna Poddig rechtskräftig: 90 Tagessätze à 15 Euro.

Ihre Eltern – die Mutter ist Krankenschwester, der Vater Professor für Elektrotechnik – leben heute getrennt. Als Kind haben sie Hanna zu jeder Demo mitgenommen. Gegen Müllverbrennungsanlagen, Autobahnen, Kernkraftwerke. Der Jugendumweltkongreß 2002 bewirkt eine radikale Politisierung bei ihr. Ihr wird bewußt, was materielle Verschwendung im reichen Norden mit der Verknappung der Ressourcen anderswo zu tun hat – oder die Patentierung von genmanipuliertem Saatgut mit der Not der Bauern in ärmeren Ländern. Mit 18 wird sie Vorstandsmitglied der Umweltorganisation »Robin Wood«. Sie arbeitet bei diversen politischen Kampagnen mit. 2006 beginnt sie eine Artistikausbildung in Berlin. Aber das habe sie »schnell wieder sein lassen, deren Vorstellung von Kunst war mir zu eng«, erzählt sie.

Derartige Brüche prägen ihr Leben. Seit dem 15. März 2012 hat Hanna Poddig ihre Ersatzfreiheitsstrafe in der JVA Frankfurt III abgesessen – obwohl sie sich schnell mit Hilfe von Freunden und Unterstützern hätte freikaufen können. Der Grund: Sie möchte diesem Staat, soweit möglich, kein Geld geben. Außerdem sah sie es als politische Chance, auf die Behandlung von widerständigen und oft auch armen Menschen hinzuweisen. Viele säßen nur in Knästen, weil sie Geldstrafen, wie die, die aus Schwarzfahrten oder kleinen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz resultierten, nicht bezahlen können.

* Aus: junge Welt, Freitag, 4. Mai 2012


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