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"Der Tod ist ein Meister aus Deutschland"

Rede von Peter Strutynski beim Ostermarsch 2013 in Frankfurt am Main *

Über 80 Ostermärsche fanden und finden noch an diesem Wochenende in der Bundesrepublik statt; sie führen durch rund 100 Städte und sind gewissermaßen die Visitenkarte der Friedensbewegung auf lokaler und regionaler Ebene. Ich freue mich, hier erstmals in Frankfurt sprechen zu können und habe soeben erfahren, dass sich zur Schlusskundgebung in Kassel, die soeben zu Ende gegangen ist, Hunderte von Menschen versammelt haben – nicht ganz so viele wie hier, aber wir in Kassel arbeiten daran, mit den größeren Ostermärschen dieser Republik mithalten zu können.

Liebe Freunde des Friedens,
liebe Kolleginnen und Kollegen!


Über 80 Ostermärsche in mehr als 100 Orten, das entspricht in etwa dem, was vor einem Jahr stattgefunden hat. Das ist gut. Aber um ganz ehrlich zu sein: Das ist zu wenig angesichts der vielen Themen und Probleme, mit denen sich die Friedensbewegung auseinandersetzen muss.

Vor wenigen Tagen hat das Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI bestätigt, dass Deutschland weiterhin hinter den USA und Russland der drittgrößte Waffenexporteur weltweit ist. Rüstungsgüter gehen von hier in etwa 70 Staaten der Erde, darunter viele Entwicklungsländer. Besonders beliebt sind Waffen Made in Germany im Nahen und Mittleren Osten, aber auch in anderen Staaten Asiens und Afrikas, die entweder wegen ihrer Missachtung der Menschenrechte oder wegen ihrer Verstrickung in regionale Dauerkonflikte nie und nimmer deutsche Waffen erhalten dürften. Doch die Einhaltung der eigenen Rüstungsexportrichtlinien ist der Bundesregierung keinen Pfifferling wert. Diese Richtlinien wurden im Jahr 2000 von einer rot-grünen Bundesregierung verabschiedet. Aber schon sie hat sich nicht daran gehalten: U-Boote in die Türkei und nach Griechenland, Atom-U-Boote nach Israel, Schützenpanzer in die Vereinigten Arabischen Emirate, nach Kuwait, Katar oder nach Indonesien, G3-Gewehre nach Ägypten, Tunesien, Marokko und Algerien: Alle erhielten, was sie wollten, und die Berufung auf die Menschenrechte, die beim Waffenexport zu beachten wären, entpuppte sich als leeres und folgenloses Gerede. Wenn es neben der katastrophalen Hartz-IV-Politik eine Kontinuität von Rot-Grün über Schwarz-Rot zu Schwarz-Gelb gibt, dann auf dem Feld er Rüstungsexporte. Damals wie heute gilt: „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland.“

Und schon bastelt die Regierungskoalition an einem neuen todbringenden Projekt. Es geht um die Beschaffung bewaffneter Drohnen für die Bundeswehr. Wir haben – zusammen mit einer Reihe anderer Friedensorganisationen - vor vier Wochen eine Anti-Drohnen-Kampagne ins Leben gerufen. Den Begehrlichkeiten des Verteidigungsministers stellen wir fünf technische und politischen Einwände gegenüber:

Erstens: Der Einsatz von Kampfdrohnen dient ausschließlich der „gezielten Tötung“ von Menschen innerhalb und außerhalb von Kriegen. Die USA (in Pakistan und Jemen), Großbritannien (in Afghanistan) oder Israel (im Gazastreifen) wenden bereits diese Waffe gegen „mutmaßliche Terroristen“ an – mit einer verheerenden Bilanz, was insbesondere die dabei getöteten Zivilpersonen betrifft. Dies haben Untersuchungen über die Drohneneinsätze in Pakistan und zuletzt ein UN-Bericht über den israelischen Militäreinsatz in Gaza hinreichend belegt. Die ferngesteuerte Tötung „Verdächtiger“ ist nichts anderes als eine Aushebelung rechtsstaatlicher Verfahren: Politiker, die solche Einsätze anordnen, sind Ankläger, Ermittler, Richter und Henker in einer Person!
Dazu sagen wir Nein.

Zweitens: Der Einsatz von Kampfdrohnen senkt die Schwelle für künftige Kriege. Der Kampfeinsatz erfolgt aus einer sicheren Entfernung (z.B. in einem US-Hauptquartier in der Wüste Nevada), die unbemannte Drohne tötet in einer Entfernung von 6000 oder 8000 Kilometern Entfernung vom Piloten. Die Angreifer tun dies ohne jedes Risiko; es genügt ein Knopfdruck bzw. ein Mausklick am Computer. Sie könnten auch von deutschem Boden aus gelenkt werden. Wenn die Theorie von den asymmetrischen Kriegen zutreffend ist, dann hier.

Drittens: In Regionen zu leben, in denen die selbsternannten Anti-Terror-Krieger „Terroristen“ vermuten, bedeutet für die dort lebenden Menschen eine unerträgliche psychische Belastung. Die permanente Bedrohung durch ferngesteuerte Kampfdrohnen verängstigt und terrorisiert die Bevölkerung, insbesondere Kinder. Dies hat vor kurzem eine Studie von US-Universitäten in Pakistan belegt. Wegen des weltumspannenden „Krieges gegen den Terror“ gibt es grundsätzlich keinen Landstrich auf dieser Erde, der nicht in das Visier der „Anti-Terror-Krieger“ geraten könnte.

Viertens: Die Ausrüstung der Streitkräfte mit Kampfdrohnen bedeutet zugleich eine neuerliche Anheizung des Rüstungswettlaufs. Denn erstens wollen immer mehr Staaten in den Besitz dieser Killerwaffen kommen, und zweitens wird selbstverständlich an technischen Gegenmaßnahmen (Abwehrsysteme, Raketen, neue Ortungsverfahren usw.) gearbeitet. Und schon wird im Blätterwald an der Schreckensvision gearbeitet, Kampfdrohnen könnten ja auch in die Hände von „Terroristen“ geraten.
Solche Waffen gehören in niemandes Hand!

Fünftens: Nicht von der Hand zu weisen ist schließlich die Gefahr der weiteren Automatisierung des Krieges. Schon heute sind Wissenschaftler im Regierungsauftrag damit beschäftigt, vollautomatische Robotersysteme zu entwickeln, die autonom, d.h. letztlich unabhängig von menschlichen Entscheidungen, ihre Zielsuche und das Abfeuern ihrer tödlichen Fracht erledigen. Anders als Menschen sind Killer-Roboter nicht leidensfähig und schrecken somit vor nichts zurück. Eine derart entfesselte Kriegsmaschinerie führt zu noch schrecklicheren Kriegen; die Opfer nämlich sind immer noch Menschen.
Und die Bundesregierung will mit von der Partie sein. Auch hier soll also gelten: „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland.“

Der Appell der Friedensbewegung „Keine Kampfdrohnen!“ verlangt von Bundesregierung und Bundestag, „den Irrweg“ der Anschaffung und Produktion bewaffneter Drohnen sowie die diesbezügliche Forschung und Entwicklung aufzugeben und sich für ein weltweites Verbot und völkerrechtliche Ächtung dieser Waffen einzusetzen. Es ist ein Skandal, dass das Verteidigungsministerium über Kampfdrohnen verfügen will, in einer Zeit, in der die Vereinten Nationen bereits über eine völkerrechtliche Ächtung dieser Killerwaffen diskutieren.

Wenn nun aus Regierungskreisen zu vernehmen ist, dass die konkrete Entscheidung über Kampfdrohnen in das Jahr 2014 verlegt wurde, so ist dieser Zeitgewinn für die Friedensbewegung noch mehr Anlass, das in der Bevölkerung weit verbreitete Unbehagen über Kampfdrohnen in politisches Handeln umzusetzen. Für die Friedensbewegung bedeutet das, den Druck auf Berlin zu erhöhen. Das wird auch dann notwendig sein, sollte es im Herbst zu einer anderen Regierungszusammensetzung kommen. Ich bin überzeugt davon, liebe Freundinnen und Freunde, dass es uns gelingen kann, die Pläne der Bundesregierung zu durchkreuzen.

Die weiteren Themen der diesjährigen Ostermärsche sind "alt", aber deswegen noch lange nicht erledigt. In allen Ostermarsch-Aufrufen werden die Auslandseinsätze der Bundeswehr. Bundesregierung - und Bundestag - der, mit Ausnahme der Linksfraktion, den Auslandseinsätzen regelmäßig begeistert zustimmt – haben doch weder in Afghanistan noch in Mali etwas verloren. Wonach suchen sie dort also? Menschen- und Frauenrechte, Bildung, Demokratie, Wohlstand, Sicherheit? Das alles ist nach elfeinhalb Jahren Krieg in Afghanistan so schief gegangen wie nur irgendwas. Aber darum ging und geht es den USA, der NATO und Deutschland gar nicht. Alle Kriege – vom NATO-Krieg gegen Jugoslawien 1999 über den sog. Krieg gegen den Terror in Afghanistan seit 2001 oder den Irakkrieg 2003 bis zur französischen Intervention in Mali, dem sich Deutschland nun anschließt – alle Kriege werden geführt, um im weltweiten Kampf um Rohstoffe, fossile Energie, Absatzmärkte und geostrategische Positionen die Nase vor den Konkurrenten vorn zu haben. Es sind Wirtschaftskriege, die um höchstmögliche Profite weltweit operierender Konzerne geführt werden. Und dafür braucht die Bundeswehr das satellitengestützte Überwachungssystem SAR Lupe, Fregatten und Korvetten, den Militär-Airbus 400M, den Kampfhubschrauber Tiger und nicht mehr den „Staatsbürger in Uniform“, sondern den Kämpfer mit Killerinstinkt. „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland.“

Wir müssen immer und immer wieder Regierung und Bundestag an den Grundgesetz-Auftrag erinnern, wonach die Bundeswehr nur der Landesverteidigung zu dienen habe. Wir wollen keine weltweit einsetzbare Interventionsarmee, keine „Armee im Einsatz". Die Friedensbewegung fordert den Abzug der Truppen aus den von mir genannten Ländern sowie aus der Türkei. Der dortige "Patriot"-Einsatz dient noch nicht der „Verteidigung“ des NATO-Partners Türkei vor einem drohenden Angriff aus Syrien! Ein solches Ammenmärchen glaubt doch nicht einmal die obskure bewaffnete Opposition in Syrien, die daher schon dreist den Einsatz der Patriots zur Schaffung einer Flugverbotszone über Syrien fordert. Libyen lässt grüßen!

Und in der Tat: Die Stationierung der Patriots an der türkisch-syrischen Grenze verschärft nur den Konflikt mit Syrien und ergreift sichtbar Partei für die syrischen Rebellen. Dasselbe würde übrigens auch die von Frankreich und Großbritannien gewünschte Beendigung des Waffenembargos der EU bedeuten.

Ich sage: Jede weitere Bewaffnung der Konfliktparteien, jede äußere direkte oder indirekte militärische Einmischung in den syrischen Bürgerkrieg erhöht das Leiden der Bevölkerung und birgt die Gefahr eines regionalen Flächenbrandes. Man muss Assad nicht lieben und das Regime in Damaskus nicht für gut halten: Einen Ausweg aus dem Bürgerkrieg wird es aber nur in Verhandlungen mit ihm geben. Die Alternative wäre ein zerbrechender Staat, der zu größten Teilen in die Hände islamistischer Dschihadisten fiele. Wenn Deutschland etwas für die Menschen in Syrien tun will, dann sollte sie Flüchtlinge aufnehmen, so wie es die Genfer Flüchtlingskonvention verlangt. Kriegsflüchtlinge sollen willkommen sein in Deutschland.

Auch im Konflikt um das iranische Atomprogramm raten wir zu einer realistischen Politik der Deeskalation. Selbst wenn wir unterstellen, dass Teheran an der Entwicklung der Atombombe bastelt (was keineswegs belegt ist), könnte der Iran durch einen "Präventivkrieg", wie in Israel und die USA wohl ins Auge fassen (Obama: "Alle Optionen liegen auf dem Tisch") davon langfristig nicht gehindert werden. Die Friedensbewegung schlägt den einzig gangbaren und völkerrechtlich gebotenen Weg der Verhandlungen mit dem Ziel einer atomwaffenfreien Zone im Nahen Osten vor.

Neben den friedenspolitischen Themen der "großen Politik" greifen die Ostermärsche auch Konflikte und Probleme "vor Ort" auf. Dazu zählt beispielsweise der Kampf gegen die immer aggressiver auftretende Werbung der Bundeswehr in Schulen oder auf Jahrmärkten. Es ist unerträglich, dass auf dem nächsten Hessentag in Kassel die Bundeswehr gleich mit zwei großflächigen Ständen vertreten sein wird. Ich lade euch alle herzlich ein, mit uns zusammen dagegen vorzugehen. Keine Bühne dem Militär – Kein Werben fürs Sterben!

Und da ich gerade in Kassel bin, muss ich noch etwas hinzufügen, was mir gleichermaßen unerträglich wie peinlich ist: Kassel ist einer der großen Rüstungszentren der Bundesrepublik. Kein Kampf- oder Schützenpanzer der Bundeswehr und für den weltweiten Export, der nicht in Kassel gefertigt oder endmontiert wird! Die Unternehmen heißen Krauss-Maffei Wegmann und Rheinmetall; sie stellen mit über 3.500 Beschäftigten einen bedeutenden Arbeitsmarktfaktor in Nordhessen dar. Die Leopard-2-Panzer für Saudi-Arabien werden hier gebaut. Eine unerträgliche Vorstellung. Und peinlich, weil es uns bisher nicht gelungen ist, diesen Skandal zu beenden und Kassel zu einer Stadt des Friedens zu machen. Helga Schwitzer wird nach mir auf das Thema Rüstung, Arbeitsplätze und Konversion eingehen. Daher kann ich mich darauf beschränken zu sagen: Wir in Kassel sind gern bereit, mit den Gewerkschaften nach Arbeitsplatz sichernden Wegen zur Umstellung der Rüstungsproduktion auf die Herstellung ziviler Güter zu suchen.

Vor kurzem hat der Senat der Johan-Wolfgang-von-Goethe-Universität Frankfurt eine Zivilklausel verabschiedet und damit dem Willen Ausdruck verliehen, dass Forschung und Lehre nur friedlichen Zwecken dienen solle. Diese noch recht allgemein formulierte Absichtserklärung muss mit Leben erfüllt werden. Rüstungs- und sog. Verteidigungsforschung haben an unseren Hochschulen nichts zu suchen. Die Freiheit von Forschung und Lehre, auf die sich heute Rüstungsforscher so gern berufen, hat ihre Grenze im Grundgesetz: und dort ist die Vorbereitung von Angriffskriegen (und um nichts anderes handelt es sich heute bei den Militärinterventionen) unter Strafe gestellt. Sorgen wir auch an den Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen dafür, dass es nicht dereinst wieder heißt: „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland.“

All diesen Entwicklungen setzen die Ostermärsche hier in Frankfurt und anderswo ihre Forderung nach einer Kehrtwende der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik gegenüber. Damit der Tod nicht länger ein Meister aus Deutschland ist, sage ich: Verweigern wir uns dem Zwangsdenken von Kriegspropaganda, Kriegsdrohungen und Kriegen. Halten wir fest an der Vision von einer Welt ohne Atomwaffen, von einem entmilitarisierten Europa der Völkerverständigung, von einer Bundesrepublik, von deren Boden kein Krieg, sondern, wie es im 2+4-Einigungsvertrag heißt, "nur noch Frieden ausgeht".

Wir brauchen keine Kampfdrohnen, Waffenexporte, Kriegseinsätze und Interventionskräfte!
Wir brauchen Abrüstung, Frieden und soziale Gerechtigkeit!

* Am 1. April 2013, Abschlusskundgebung.

Dr. Peter Strutynski, Kassel, Politikwissenschaftler und Friedensforscher; Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag; www.ag-friedensforschung.de



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