Polizeischutz für Nazis
Im hessischen Bruchköbel werden Antifaschisten seit Jahren attackiert - doch der Widerstand wird wirksamer
Von Fritz Arndt *
Auch nach Aufdeckung der NSU-Morde hat sich vielerorts wenig daran geändert: Nazis traktieren Linke und Antifaschisten, so im hessischen Städtchen Bruchköbel. Und die Polizei schaut offenbar zu.
Wer durch die Hauptstraße der südhessischen Kleinstadt Bruchköbel im Main-Kinzig-Kreis läuft, stößt an jeder Ecke auf den berüchtigten Kleinstadt-Charme. Gepflegte Fassaden alter Fachwerkhäuser glänzen in der Sonne, der sandsteinerne Rathausbrunnen ist mit Osterschmuck aufgehübscht - ein Werk der Landfrauen, so informiert ein Schild. Und der Lauftreff, meldet die Stadtverwaltung, setzt sich für einen sauberen Stadtwald ein.
Nicht, dass es in dem 20 000 Einwohner-Ort langweilig ist: Die Homepage des Rathauses weist allein in der Kernstadt 87 Vereine aus, vom »Arbeitskreis Alkohol in der Arbeitswelt« bis zum Fußballverein »ZSKA Bruchköbel« reicht die Liste - nur die Bruchköbeler Initiative »Gemeinsam gegen Rechtsextrem« fehlt.
Mordaufrufe gegen Linke
Das passt zur Stimmungslage in der Stadt. Bruchköbeler Antifaschisten fühlen sich seit Jahren verfolgt und achten beim Einkaufen darauf, wer hinter ihnen steht. Seit seiner Jugend, klagt der Arzt Lars Manecke (28), seien rechte Glatzen auf jeder Kirmes in Bruchköbel oder in der Nachbarschaft aufgetaucht und hätten gegen Ausländer und Linke gepöbelt, an der Heinrich-Böll-Schule hätten sie ihre rassistischen CDs verteilt. »So bin ich aufgewachsen, die Nazis waren hier immer präsent«, sagt Mannecke, der sich in der Initiative »Gemeinsam gegen Rechtsextrem« sehr engagiert.
Inzwischen agiert die zweite Nazi-Generation, der Terror in Bruchköbel geht jetzt von Jüngeren aus. Sie sind zwischen 18 und 28 Jahre alt und sollen der Gruppierung »Nationale Sozialisten (NS) Rhein-Main« angehören, viele sind den Antifaschisten namentlich bekannt. Die Nationalen Sozialisten stehen dafür, besonders aggressiv gegen Linke und Antifaschisten vorzugehen, und das spüren auch die Bruchköbeler. Mal stechen Nazis Autoreifen an Fahrzeugen von Antifaschisten platt, mal sprühen sie Mordaufrufe gegen aktive Linke in der Stadt. Natürlich ermittelt die Polizei jedes Mal und fotografiert auch die öffentlichen Mordaufrufe ab. Aber die Ermittlungen erinnern eher an eine Alibi-Aktion, eine Anzeige ist bisher daraus nicht erfolgt.
Selbst einen Angriff auf ein Treffen des »Bündnis gegen Rechtsextrem« vor einiger Zeit fand die Polizei offenbar ganz normal. Die Nazi-Gegner wollten gerade darüber beraten, wie dem Terror von Rechts beizukommen ist, als stadtbekannte Rechte aufkreuzten. Schwarz vermummt, pöbelten sie erst draußen gegen die Mitglieder der Initiative, dann fotografierten sie durch das bodentiefe Fenster einzelne Personen ab. Als zwei Aktivsten der Initiative nach draußen stürmten, packten die Nazis Pfefferspraydosen aus - das verschaffte ihnen Zeit zur Flucht.
Doch diesmal war etwas schief gelaufen: Initiativen-Mitglieder hatten zwei Rechte erkannt und zeigten sie bei der Staatsanwaltschaft an. Tatsächlich erfolgte eine Einladung des polizeilichen Staatsschutzes Offenbach am Main, doch bei dem Termin erfuhren die Antifaschisten, dass sie die Angeklagten sind. Anwälte mussten da her, erst nach »sehr langer Zeit« (Manecke) wurde die Klage fallen gelassen. Die Anzeige gegen die Nazis versickerte im Ermittlungssumpf. Bei der Foto- und Pfeffersprayaktion handele es sich nämlich um einen Konflikt rivalisierender Jugendgruppen, analysierten Staatsanwälte.
Auch Alexandre Da Silva, Regionsgeschäftsführer des Deutschen Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) im benachbarten Hanau, hat die Bruchköbeler Nazis schon kennengelernt. Normalerweise kümmert er sich am Freiheitsplatz darum, Gesellschaft und Arbeitswelt gerechter zu gestalten. Aber neuerdings halten ihn auch die Nazis in Bruchköbel auf Trab - beispielsweise beim Ostermarsch im vergangenen Jahr. Damals hatten es die Rechten mit Hilfe der Polizei sogar geschafft, den Demo-Zug anzuführen - Da Silva wird beim Gedanken daran heute noch übel. »Die haben Gewerkschafter, Antifaschisten und und türkische Kollegen fotografiert und beschimpft, und die Polizei hat zugeschaut«, klagt er an. »Es war skurril.« Als wüssten Polizei und Politiker nicht, dass Nazis mit den Fotos Fahndungsaufrufe schmücken, mit denen sie ihre Gegner traktieren. Die Gewerkschafter schämen sich heute noch für die Schmach vom vergangenen Jahr.
Zum diesjährigen Ostermarsch erklärte Claudia Rogalski, Leiterin der Führungsgruppe der Polizeidirektion Main-Kinzig, beim sogenannten »Kooperationsgespräch« im Bruchköbeler Rathaus unmissverständlich: Das Grundrecht der Meinungsfreiheit gelte auch für Nazis. Und da die »rechtsorientierten Teilnehmer der Vorjahre« ausdrücklich an der Veranstaltung teilnehmen wollten, werde die Polizei ihnen diesen Wunsch erfüllen.
Rogalskis gedrechseltes Juristen-Deutsch hörte sich an, als hätte Hessens Innenminister Boris Rhein (CDU) sie persönlich gebrieft. Aber nur einer in der Runde war geschockt. DGB-Chef Da Silva griff sich irritiert an den Kopf und fragte sich, auf welcher Seite die Polizei eigentlich steht. Bruchköbels Bürgermeister Günter Maibach (CDU) nickte nur und sagte kein Wort. Was Wunder, dass Bruchköbeler und Hanauer Kriegsgegner und Antifaschisten dieses Jahr auf die eigene Kraft gesetzt und passende Aktionsformen gegen Naziangriffe eingeübt haben. Gewerkschafter waren bei den Workshops mit dabei, Christen, Naturschützer, Antifaschisten. »Unser Ziel ist es, die Teilnahme von Faschisten am Ostermarsch zu verhindern«, hatten der DGB Südosthessen in Hanau, die »Initiative gegen Rechts« und die Hanauer Friedensinitiative als Veranstalter schon im Vorfeld publik gemacht, »dafür kann ziviler Ungehorsam ausgeübt werden«. Sehr lange, sagt Da Silva, »wurde das geübt«.
Der Aufwand hat sich jedenfalls ausgezahlt. Denn kaum näherten sich die Nazis an Karfreitag mit Transparenten dem Bruchköbeler Versammlungsplatz, wurde mit lauten Rufen auf die Gefahr von Rechts aufmerksam gemacht. Im Nu war die Hauptstraße mit Menschen versperrt - so dicht, dass kein Blatt mehr zwischen sie passte. Ruckzuck waren die Rechten abgetaucht. Die dicht postierten Polizisten in Kampfausrüstung standen irritiert am Straßenrand. Und Claudia Rogalski von der Polizeiführungsgruppe Rhein-Main gestikulierte wie wild vor der Menschenkette, ihre Schirmmütze stets tief im Gesicht. Sie stehe auf Seiten der Nazis, schrien ihr erboste Demonstranten zu. Geholfen hat den Nazis der Polizeieinsatz diesmal nicht.
Bürgermeister schaut zu
Auch Bürgermeister Maibach stand falsch. In einer schwarzen »Mammut«-Jacke vor der Kälte geschützt, schaute er sich von der gegenüberliegenden Straßenseite an, wie ziviler Ungehorsam gegen Nazis funktioniert. Gleich nebenan ließ sich einer über »Wehrkraftzersetzung« aus, und Maybach wurde mutiger. »Die Presse hat das Thema so aufgebauscht«, entfuhr es ihm, »auch Nazis haben das Recht, bei einer Friedensdemonstration des DGB und anderen dabei zu sein.«
Gewerkschafter Da Silva sieht das anders und denkt jetzt am Hanauer Freiheitsplatz darüber nach, wie es in Bruchköbel weiter gehen soll. Gerade hat sich im benachbarten Büdingen (Wetterau) »Die Rechte« gegründet - vielleicht, weil Hessens Polizei so nett zu Nazis ist. Viele Mitglieder aus NPD und »Freien Kameradschaften« mischten da mit, sagt Da Silva, »die Kampftruppen der Nazis«. Wie ziviler Ungehorsam geht, wissen sie in Hanau und Bruchköbel jetzt.
* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 11. April 2013
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