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Wie lange hält die Empörung?

Attac-Nachwuchs hofft auf Occupy-Camper und einen neuen Bewegungszyklus

Von Katja Herzberg *

Für die noch verbliebenen Aktivisten in den Camps der Occupy-Bewegung wird sich in den nächsten Winterwochen zeigen, wie widerstandsfähig ihr Protest ist. Und Attac? Muss die globalisierungskritische Bewegung befürchten, dass man ihr den Rang abläuft? Dort bleibt man gelassen, wenn es um die mögliche Wachablösung durch die neuen Proteste geht.

»Mag mal jemand anderes Protokoll führen?«, fragt Paul mit einem leicht ironischen Unterton zu Beginn des Treffens der Berliner Noya-Gruppe. Da Matthias früher gehen muss und die Abiturientin Lea zum ersten Mal bei dem Treffen der Jugendorganisation von Attac zu Gast ist, fällt das Los an diesem Dienstagabend wieder einmal auf Paul. Denn Lisa, die die Runde im Hauptstadtbüro des globalisierungskritischen Netzwerks im Kreuzberger Mehringhof komplettiert, ist nicht so recht für diese Aufgabe zu begeistern. Drei weitere Aktivisten stoßen erst später zu der Sitzung im Dachgeschoss dazu.

Doch letztlich scheint es dem 21-jährigen Politologiestudenten nichts auszumachen, die Tagesordnungspunkte und getroffene Entscheidungen zu notieren. Paul erklärt den Neuen, mit welchen Initiativen sich das »Network of young altermondialists« (Noya) gerade beschäftigt. Trotz seines jugendlichen Äußeren wirkt er sehr souverän. Wie von allen bei diesem Treffen würde man von Paul nicht unbedingt erwarten, dass er sich politisch engagiert, sähe man ihn nur im Vorbeigehen auf der Straße.

Vertraut mit den Mühen der Ebenen

In dem etwas unordentlichen Konferenzraum der »Lateinamerika Nachrichten« haben sich nicht etwa Jugendliche mit schwarzen Kapuzenpullovern, schrill gefärbten Haaren oder Accessoires eingefunden. Die Ablehnung der herrschenden Verhältnisse springt einen nicht gerade in Gesten und Symbolen an. Die Noya-Aktiven in Berlin kommen ganz unauffällig daher. Doch immerhin setzen sich die Anfang 20-Jährigen, die sich vor allem an der Universität kennengelernt haben, für eine »Welt ohne Armut« und eine »Globalisierung sozialer und ökologischer Regulierungen« ein, wie es in der Selbstdarstellung auf der Noya-Internetseite heißt.

Um das zu erreichen, unterstützen sie derzeit die Initiative des »Berliner Energietisches«, der die Energieversorgung der Stadt rekommunalisieren will. Nach dem Vorbild des Wassertisches soll dazu ein Volksentscheid erzwungen werden. Der Gesetzestext ist fast fertig, wie Paul vom letzten Bündnistreffen berichtet. Im Februar soll die Unterschriftensammlung beginnen. Jetzt müssen noch Plakate und andere Werbematerialien gestaltet werden.

Aus der Dynamik der Proteste gegen den G 8-Gipfel in Heiligendamm ist Noya als Plattform für junge Menschen bei Attac entstanden. »Wir hatten die Hoffnung, dass sich uns viele junge Menschen anschließen. Diese Einschätzung war leider falsch. Es ist immer schwieriger geworden, junge Menschen zu finden, die sich engagieren«, bilanziert Max Bank die vergangenen viereinhalb Jahre. Er war an der Gründung 2007 beteiligt und bis vor kurzem in der Noya-Lokalgruppe Köln aktiv. »Man kann von Glück sagen, dass es noch lokale Gruppen gibt. Zur Zeit arbeiten sie aber recht beständig«, sagt Bank, der nun im Attac-Koordinierungskreis tätig ist. Immerhin jeweils zehn bis 15 Menschen bis Ende 20 sind es, die in mehreren deutschen Städten regelmäßig ganz unterschiedliche Protestaktionen und Initiativen unterstützen. So sind Noya-Aktive aus Hamburg vor ein paar Wochen ins Wendland gefahren, um gegen den Castortransport zu demonstrieren, oder beteiligten sich an Demonstrationen gegen steigende Mieten.

Zur Zeit ist es aber nicht die globalisierungskritische Bewegung, die sich weltweit Ende der 90er Jahre in Protestaktionen und Alternativgipfeln herausbildete, die besondere Aufmerksamkeit von Medien und Bürgern erfährt. Die sich selbst als »99 Prozent« bezeichnenden Anhänger des Occupy-Konzepts könnten Motor eines neuen Bewegungszyklus werden. Darin sieht Max Bank keinen Widerspruch. »Junge Menschen sind heute tendenziell individualistischer. Das spiegeln die Occupy-Proteste wider.«

Die neue, spannende Dynamik wolle Attac aber auch für sich nutzen. »Man weiß nie, wann und von wo der nächste Funke kommen wird«, so Bank. Als arrivierte Organisation gebe Attac auch Workshops auf dem Frankfurter Occupy-Camp. Der Aktionstag unter dem Motto »Banken in die Schranken« am 12. November sei zwar hauptsächlich von den großen Organisationen auf die Beine gestellt, doch mit einem solidarischen Verhältnis zu den Occupy-Anhängern gemeinsam zum Erfolg geführt worden.

Über Egotrips ernüchterte Attacies

Die jungen Berliner »Attacies«, wie sie sich selbst nennen, sehen wenige Schnittmengen mit den Occupy-Aktivisten. Paul, der Anfang 2011 zu Noya kam, will sich lieber bei einem konkreten Projekt dafür engagieren, »dass der Zweck der Wirtschaft wieder das Wohl der Menschen ist«, und nicht Profitinteressen. Einmal habe die Berliner Noya-Gruppe eine Asamblea (Versammlung) besucht. »Aber an diesem Tag hatten sich die Leute nur mit sich selbst beschäftigt. Das fand ich ziemlich enttäuschend.« Hier sieht auch Max Bank ein Problem. »Noya ist genau mit dem Anspruch angetreten, dem Exzess von Egotrips etwas entgegenzusetzen.« Eine weitere Zusammenarbeit erwartet er eher als Folge der Krisendynamik. Im nächsten Frühjahr rechnet er mit großen Sozialprotesten, an denen sich die Occupy-Camper beteiligen könnten - sofern sie sich dann noch empörten.

* Aus: neues deutschland, 21. Dezember 2011


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