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"Die Patrioten, das sind wir!"

Bericht und Rede von einer bemerkenswerten israelisch-palästinensischen Gründungskonferenz

Von Uri Avnery

Ein wichtiges Ereignis fand heute (28. Juni 2003) in Ramallah statt. Dreihundert Persönlichkeiten, die Hälfte von ihnen Palästinenser, die andere Hälfte Israelis, nahmen an der Gründungskonferenz der ersten völlig integrierten, gemeinsamen Friedensorganisation teil: die Gemeinsame Israelisch-Palästinensische Aktionsgruppe für Frieden. Dies folgte der Veröffentlichung von vor zwei Monaten, als ein gemeinsames politisches Statement von 1500 palästinensischen und israelischen Persönlichkeiten unterschrieben worden war. Die Besatzungsarmee versuchte Israelis daran zu hindern, Ramallah zu erreichen; einige mussten in der Hitze zwei Kilometer laufen, um die Kontrollpunkte zu umgehen. Ich wurde darum gebeten, eine der programmatischen Reden zu halten. Ich möchte sie – in aller Bescheidenheit - hier ungekürzt veröffentlichen:

Liebe Freunde,

Wir, Israelis und Palästinenser, Palästinenser und Israelis, kommen heute zusammen, um etwas völlig Neues zu schaffen: eine gemeinsame Aktionsgruppe für Frieden. Es geht nicht um einen Waffenstillstand (arab.: Hudna), nicht um einen vorläufigen Kompromiss, nicht nur um einen weiteren kleinen Schritt in einem endlosen Prozess der kleinen Schritte, sondern um einen wirklichen Frieden, um einen gerechten Frieden, um einen Frieden mit Würde, um einen Frieden zwischen Gleichberechtigten. Was wir jetzt zu tun versuchen, ist etwas vollkommen Neues. Wir wollen nicht noch einen neuen Rahmen für Zusammenarbeit zwischen Feinden aufbauen, sondern eine vollkommen integrierte Kampfgruppe; nicht eine israelische Bewegung mit einem palästinensischen Anhängsel; auch nicht eine palästinensische Bewegung mit einem israelischen Anhängsel. Sondern eine Organisation, in der wir alle, Israelis genau so wie Palästinenser, gleichwertige Partner sind, die durch eine gemeinsame Vision eines freien Palästina und eines freien Israel vereint sind, um zusammen nebeneinander zu leben.

Von all den Menschen, denen ich während des langen Kampfes um Frieden begegnet bin, vermisse ich heute bei diesem Treffen besonders einen : Issam Sartawi, der vor 20 Jahren ermordet wurde. Er würde hier sitzen. Er ist mitten unter uns. Sartawi war ein Patriot, ein Feday (ehemaliger bewaffneter Freiheitskämpfer), der davon überzeugt war, dass es für das palästinensische Volk nur einen Weg gebe, um sein nationales Ziel zu erreichen: die Herzen des israelischen Volkes zu gewinnen. Auf dieselbe Weise – so glaube ich – ist es für Israel der einzige Weg, um eine sichere und glückliche Zukunft zu erleben: die Herzen des palästinensischen Volkes zu gewinnen. Sartawi war davon überzeugt, dass die Schlacht um die öffentliche Meinung Israels nicht nur eine unter vielen Aufgaben sei, sondern dass diese die Hauptfront des palästinensischen Kampfes für die Befreiung darstelle. Auf dieselbe Weise glaube ich, dass die Schlacht um Versöhnung und Gerechtigkeit zusammen mit dem palästinensischen Volk die Hauptaufgabe jedes wirklichen israelischen Patrioten darstellt. Und die wirklichen israelischen Patrioten, das sind wir!

Als wir den Slogan „Zwei Staaten für zwei Völker“ schufen, meinten wir nicht Trennung. Ganz sicher verstanden wir darunter nicht zwei Ghettos, die nebeneinander leben, und jedes von hohen Mauern und elektrischen Zäunen umgeben. Im Gegenteil - wir verstanden darunter nahe nachbarliche Beziehungen, Zusammenarbeit, Partnerschaft, offene Grenzen, freie Bewegung der Menschen. Um unsere eigenen Völker davon zu überzeugen, dass dies möglich, dass dies nicht nur ein Traum naiver Peaceniks (Friedenskämpfer) sei, müssen wir durch unsere täglichen Aktivitäten beweisen, dass wir zusammenarbeiten und zusammen mit einer Stimme reden können. Es ist eine Tragödie, dass in all den Jahren - besonders seit Oslo - keine gemeinsame Friedensorganisation entstanden ist. Natürlich haben wir uns oft bei gemeinsamen Aktionen getroffen. Wir haben viele gemeinsame Erinnerungen. Wir sind gemeinsam geschlagen worden, wir haben gemeinsam Tränengasangriffe durchgemacht, wir haben viele Male gemeinsam demonstriert. Aber niemals gab es das eine, was nötig gewesen wäre: regelmäßige, systematische, andauernde gemeinsame Aktionen Tag um Tag, Woche um Woche, Monat um Monat. Wir müssen jetzt diesen historischen Fehler korrigieren, der ernste Konsequenzen für den Frieden gebracht hatte.

Wir treffen uns in finsteren Zeiten. Gezielte Tötungen, Selbstmordattentate, das Töten von Frauen und Kindern ist zur täglichen Routine geworden. Auf beiden Seiten leben die Menschen in einem Zustand der Angst, der Hoffnungslosigkeit und der Apathie. Aber wir haben keinen Grund, die Hoffnung zu verlieren. Wenn wir auf die Jahrzehnte unseres Kampfes blicken, sehen wir eine stete Vorwärtsbewegung in Richtung Frieden. Da gab es Zeiten, in denen fast alle Israelis sogar die Existenz eines palästinensischen Volkes leugneten. „ So etwas wie ein palästinensisches Volk gibt es nicht,“ sagte Golda Meir. Heute gibt es kaum einen Israeli, der dies leugnet. Vor vielen Jahren, als wir die Idee der zwei nebeneinander lebenden Staaten hatten, waren wir auf beiden Seiten eine winzige Minorität. Heute wird dies vom größten Teil der Israelis und Palästinenser akzeptiert – und die ganze Welt unterstützt dies. Vor 30 Jahren, als wir die ersten Kontakte mit der PLO knüpften, wurden wir als Verräter betrachtet. Heute ist es die offizielle israelische Politik. Vor sieben Jahren bei einer gemeinsamen Demonstration vor den Mauern Jerusalems mit Feisal Husseini – würde er noch leben, säße er hier unter uns - brachen wir ein israelisches Tabu und erklärten Jerusalem zur Hauptstadt von zwei Staaten. Heute wird diese Idee allgemein anerkannt, sogar von denen, die sie hassen. Wir sind noch immer sehr weit vom Sieg entfernt. Viele Mühen und viel Leiden liegen noch vor uns. Aber wenn wir zusammen handeln - mit Nachdruck und Entschlossenheit – wird unsere Vision sich durchsetzen. Wir müssen der Leuchtturm sein, dessen Licht die klare Richtung und den Weg anzeigt. Was können wir nun praktisch tun?

Ich schlage folgende Aktionen vor:
  • Ein gemeinsames Experten-Komitee aufstellen, das innerhalb von drei Monaten den vollen Text für ein israelisch-palästinensisches Friedensabkommen vorbereitet, das detaillierte Lösungen für alle Probleme einschließt:
    die Grenzen, Jerusalem, die Siedlungen, die Flüchtlinge, Sicherheit, Wasser, und dies der Öffentlichkeit präsentiert und zeigt, dass solch ein Abkommen möglich ist.
    Wenn einige Meinungsverschiedenheiten zurückbleiben, dann sollten wir dies aufrichtig zugeben.
  • Ein gemeinsames „Komitee zur Wahrheitsfindung und Versöhnung“ nach dem südafrikanischen Modell aufstellen, um die Geschichte der letzten 120 Jahre zu überprüfen und ein wahres Bild dieser Geschichte errichten, das für beide Völker annehmbar ist.
  • Sofort ein gemeinsames Pressebüro einrichten, das sich an Israelis, Palästinenser und die Weltmedien wendet.
  • Einen gemeinsamen Operationsstab aufstellen, der öffentliche Kampagnen und Demonstrationen plant.
Dies sind nur ein paar Ideen für die Diskussion heute . Ich bin sicher, dass viele von Ihnen noch mehr haben. Lasst sie uns auf den Tisch legen! Die Hauptsache ist, dass wir dies gemeinsam tun und ausführen, bis der Frieden, nach dem wir uns alle sehnen, über dieses geliebte Land kommt.

Vor ein paar Wochen, als wir uns mit Yasser Arafat trafen, fragten ihn Journalisten, wann der Frieden käme. Er sagte: „Wir beide, Uri Avnery und ich, werden ihn noch erleben“. Arafat ist 74 Jahre alt und ich werde in wenigen Wochen 80. Also machen wir uns dran.

Aus dem Englischen übersetzt von: Ellen Rohlfs


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