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Gegen den Atomtod

Kommunist ohne Parteibuch: Martin Löwenberg gehörte zu den ersten Ostermarschierern in der Bundesrepublik

Von Michael Backmund *

Es gab Zeiten, da beschimpfte man ihn als naiven und weltfremden Spinner. Nicht nur an Infotischen, sondern auch auf linken Veranstaltungen und Bündnissitzungen musste Martin Löwenberg sich viele Klugheiten anhören: »›Der Strom kommt nicht aus der Steckdose‹ lautete in den 1970er und 1980er Jahren das Lieblingsargument von sozialdemokratischen Wachstumsapologeten, die sich dabei auch noch ganz intelligent vorkamen«, erzählt Löwenberg heute. Aber auch parteitreue Marxisten-Leninisten schmetterten damals im Brustton der Überzeugung schlagende Argumente gegen Abweichler wie ihn, wenn er hinter seinem Infotisch stand: »Atomkraftwerke in Arbeiterhand sind sicher«, verkündete die Avantgarde der Arbeiterklasse sogar in ihren Broschüren und Flugschriften. »Als Kommunist ohne Parteibuch habe ich nicht mehr an diese Propaganda geglaubt«, sagt der 85-jährige Widerstandskämpfer und frühere KZ-Häftling. Für Löwenberg waren die zivile und die militärische Nutzung der Atomkraft schon damals zwei untrennbare Seiten einer menschenverachtenden Technologie.

Erst der atomare Super-GAU von Tschernobyl beendete die unkritische Fortschritts- und Technikgläubigkeit, der auch viele Linke bis dahin vertraut hatten. Martin Löwenberg kennt die Höhen und Tiefen der Bewegungen, die Mühen der Ebene, die vielen Rückschläge, aber auch die großen Erfolge. Als der junge Antifaschist 1945 kurz vor seinem 20. Geburtstag aus dem KZ-Außenlager Leitmeritz in Nordböhmen befreit wurde, hieß der Titel der ersten Veranstaltung, auf der er im Herbst 1945 sprach: »Mit den Waffen des Geistes gegen den Geist der Waffen«. Damals prägten tausende AntifaschistInnen und frühere KZ-Häftlinge – ob Sozialisten, Kommunisten, bürgerliche Humanisten oder christliche Pazifisten – den Geist der Bewegung gegen die geplante Remilitarisierung, mit dem politischen Vermächtnis, das sie kurz zuvor bei ihrer Befreiung aus den Konzentrationslagern geschworen hatten: »Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!«

Sie kämpften gegen »diesen verfluchten deutschen Militarismus, der so viel Leid und Tod für Millionen Menschen gebracht hatte«, sagt Löwenberg energisch: »Bundeskanzler Adenauer wollte nach eigenen Worten bei der Neuordnung Europas bis zum Ural mit einer starken deutschen Armee dabei sein. Wir wehrten uns gegen diese Vorbereitungen zur Wiederbewaffnung Deutschlands, und gegen die Eingliederung der Bundesrepublik in ein westliches Militärbündnis als Bollwerk und Frontstaat gegen den Kommunismus.«

Gegen Bundeswehr, Atomwaffen und NATO

Längst hatte der Kalte Krieg begonnen: 1956 marschierten die ersten Soldaten in die Kasernen der Bundeswehr. Im gleichen Jahr wurde die KPD verboten. Bundeskanzler Konrad Adenauer bezeichnete taktische Atomwaffen als Weiterentwicklung der Artillerie und sein Verteidigungsminister Franz Josef Strauß wollte eigene deutsche Atombomben. »Der Kampf gegen die Atombewaffnung der Bundeswehr und der NATO«, sagt Löwenberg leidenschaftlich, »war für uns die Fortsetzung der Bewegung gegen die Remilitarisierung.«

Gewerkschafter aus der Bewegung »Kampf dem Atomtod« hatten damals auf Betriebsversammlungen aktive Kampfmaßnahmen beschlossen, berichtet Löwenberg. Auch er forderte einen Generalstreik. Doch die Spitzen von SPD und DGB zogen die Notbremse: »Sie setzten wieder einmal lieber auf das Parlament und spalteten damit unsere Bewegung«, kritisiert der Antifaschist. Mit ihrem Godesberger Programm beendete die SPD dann abrupt ihre Unterstützung der Bewegung »Kampf dem Atomtod«. Der Chefstratege Herbert Wehner plante über den Weg einer Großen Koalition den Griff zur Regierungsmacht. »Dafür mussten die größten Stolpersteine in der Partei beseitigt werden: Die Ablehnung der Wiederbewaffnung und vor allem die kategorische Ablehnung von Atomwaffen«, erklärt Löwenberg.

Doch die Bewegung agierte bereits zunehmend international und außerparlamentarisch: Hunderttausende protestierten gegen eine drohende atomare Ost-West-Konfrontation. Allein in München versammelten sich am 18. April 1958 nach einem Autokorso mit 200 Privat-Pkw rund 10 000 Menschen zu einer Kundgebung des Komitees gegen Atomrüstung. Weil der Circus-Krone-Bau nur 4000 Sitzplätze hatte, hörten trotz kühler Witterung rund 6000 Demonstranten die mit Lautsprechern ins Freie übertragenen Reden: Grußbotschaften des italienischen Regisseurs Roberto Rossellini, des Schweizer Schriftstellers Max Frisch und des französischen Schriftstellers und Philosophen Jean-Paul Sartre.

Wenige Tage zuvor, Ostern, hatte die britische »Campaign for Nuclear Disarmament« einen Marsch gegen die nukleare Aufrüstung von London zum Atomforschungszentrum Aldermaston mit 10 000 Teilnehmern organisiert. Löwenberg und seine Genossen verfolgten die Aktion mit Interesse. Präsident der Kampagne war der Nobelpreisträger Bertrand Russell. Hieraus entwickelte sich in den nächsten Jahren die Tradition der »Ostermärsche«.

München war eine der ersten Städte in der Bundesrepublik, in der ein Ostermarsch gegen Aufrüstung und Atomwaffen organisiert wurde: 1960 zogen 30 bis 40 Teilnehmer durch die Innenstadt. Das Vorbereitungskomitee bestand nur aus drei Organisationen: Dem Kreisverband München des Deutschen Freidenker-Verbandes, dessen Vorstand Martin Löwenberg damals angehörte, dem Arbeiter-Sing- und Spielkreis und der Naturfreundejugend.

»Warum marschieren denn Sie, die das Marschieren verabscheuen? Warum wohl setzt sich Bertrand Russell, der Mathematiker, Nobelpreisträger und Philosoph, 88 Jahre alt, im Schneidersitz demonstrativ vors englische Verteidigungsministerium?«, fragte der Schriftsteller Erich Kästner auf dem Münchner Ostermarsch 1961: »Weil ihm und Ihnen und uns allen keine hübschere Art der ›Freizeitgestaltung‹ einfiele? Wir bedienen uns der Demonstration als eines demokratischen Mittels, die Regierungen und Parlamente an ihre Pflicht zu erinnern. Was werfen wir den Wichtigtuern vor? (…) Mangel an Fantasie und Mangel an gesundem Menschenverstand.« Die Zahl der Ostermärsche und ihrer Teilnehmer steigerte sich von Jahr zu Jahr: »Sie waren die wichtigste Antikriegsbewegung der 1960er Jahre und ein wichtiger Vorläufer der außerparlamentarischen Opposition«, sagt Löwenberg.

»Im Zuge der Friedens- und Anti-NATO-Bewegung der 1980er Jahre haben wir die Tradition der Ostermärsche wieder belebt«, erzählt er: Am Ostermarsch in Wackersdorf nahmen Ende März 1986 rund 100 000 DemonstrantInnen unter dem Motto »gegen Atomwaffen und Weltraumrüstung« teil. Unter ihnen Löwenberg. Sie demonstrierten gegen die dort geplante atomare Wiederaufbereitungsanlage (WAA), weil sie darin auch die Gefahr einer deutschen Atombewaffnung sahen. Zu einer Zeit, in der nicht nur der damalige Münchner Polizeivizepräsident Roland Koller (CSU) öffentlich eigene Atomwaffen für die Bundesrepublik forderte, wie es Strauß bereits in den 1950er Jahren getan hatte.

Vergesellschaftung der Energiekonzerne

»Es war eine aufregende Zeit«, resümiert Löwenberg. Die Zusammenarbeit mit der Anti-AKW-Bewegung radikalisierte damals die Antikriegsbewegung und ihre Aktionen. Pfingsten 1986 – kurz nach Tschernobyl – wurde der Bauzaun von Wackersdorf teilweise zerstört und die Polizei angegriffen: »Tausende kämpften damals gegen den Zynismus der Atomlobby und die Polizeibrutalität. Viele ältere Oberpfälzer Frauen haben jüngeren Antiatomaktivisten Tüten mit ausgegrabenen Steinen oder sandgefüllten Flaschen zum Werfen an den Zaun gebracht.«

Für Löwenberg war diese breite, massenmilitante Bewegung ein großer Erfolg: »Seit der Verhinderung der geplanten WAA wurde in Deutschland kein neuer AKW-Bau mehr genehmigt.« Nach dem Super-GAU von Fukushima liegen für ihn die heutigen Ziele auf der Hand: »Die sofortige Abschaltung sämtlicher AKWs ohne jeden Deal mit der Atomlobby, die Abschaffung aller Atomwaffen und die Vergesellschaftung der Energiekonzerne.« Die Aufstände von Tunis und Kairo hätten doch gezeigt: Der Mut und Widerstand von Hunderttausenden können sogar Diktaturen stürzen. »Warum eigentlich nicht die arrogante Macht von Atom- und Rüstungskonzernen und ihrer Politiker?«

* Aus: Neues Deutschland, 23. April 2011


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