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Die Differenzen nutzen

Europa versus USA - Konflikt und Kooperation mit der Supermacht

Von Conrad Schuhler*

Vortrag (Thesen) auf dem Friedenspolitischen Kongress in Hannover, 31. August 2002

Eine der einflußreichsten Gruppen, die in den USA für die Bush-Regierung publizistisch-politische Lobby-Arbeit macht, nennt sich "Project for A New American Century, Projekt für ein Neues Amerikanisches Jahrhundert". In der Tat ist dies das Zeichen, unter dem seit dem 11.9. des letzten Jahres US-Politik gemacht wird. Mit dem "Krieg gegen den Terror" haben sich die USA nach dem Sieg im Kalten Krieg über den Realsozialismus zum alleinigen Weltsouverän ausgerufen, der nach eigenem Gutdünken die Welt in Freund und Feind aufteilt und die Strafe für die Feinde ebenso festsetzt wie den zu leistenden Beitrag der Freunde. Indem die USA den Krieg zur prägenden Kategorie der Weltpolitik machen, sichern sie sich die unanfechtbare Dominanz. Zwar übersteigt auch die Wirtschaftskraft der USA die aller EU-Länder bei weitem, aber in der "Währung der Waffen" sind die USA geradezu Monopolist. Deutschland zum Beispiel bringt es nur auf ein Zwanzigstel der Feuerkraft der USA, zusammen kommen Großbritannien, Frankreich und die Bundesrepublik gerade mal auf 20 Prozent. Und dies beleuchtet nur den quantitativen Aspekt. In der Qualität schneller und punktgenau operierender globaler Einsatztruppen ist nur die US-Armee den Anforderungen des Terrorkriegs gewachsen. Der lang anhaltende Krieg macht die USA zum lang anhaltenden Souverän, zur Macht, die unilateral die Welt dominiert.

In der Weltherrschaft der USA drückt sich die tatsächliche wirtschaftlich-technologische Überlegenheit der USA über die Partner bzw. Konkurrenten in der Triade, also gegenüber der EU und Japan, aus. Unabhängig von der personellen Besetzung im Weißen Haus werden die USA deshalb eine "unilaterale" Politik verfolgen, umso mehr, als sie ihr aktuelles Übergewicht nutzen wollen, um das Auftauchen sogenannter global peers, global Ebenbürtiger, wie sie in Rußland und China entstehen könnten, zu verhindern.

Mit dem "Krieg gegen den Terror" verschafft sich der globale Imperialismus die militärische Grundlage für die weitere globale Ausplünderung. Die Entwicklung zur "globalen Fabrik" ebenso wie die Sicherung der knapper werdenden Ressourcen wie Erdöl und Erdgas verlangt, da die "politischen" Faktoren der Kontrolle und Regulierung brüchig werden, die militärische Kontrolle der globalen Produktionsstätten, Märkte und Transportwege. In dieser Hinsicht funktionieren die USA als gemeinsamer Agent des globalen Imperialismus, da auch die EU-beheimateten Konzerne immer stärker den Charakter von "global players" annehmen.

Eine weitere gemeinsame Interessenbasis schafft die schnell fortschreitende "Internationalisierung" der transnationalen Konzerne, die zu einer immer größeren gegenseitigen Durchdringung der Wirtschaftsräume der Metropolen führt. Trotz dieser Internationalisierung stellen wir immer noch einen starken nationalen Kern des Geschäfts der transnationalen Konzerne fest, der in der derzeitigen, langfristigen internationalen Wirtschaftskrise für die transnationalen Konzerne und die nationalen Kapitale insgesamt von noch größerer Bedeutung wird. Damit wächst das Konfliktpotential zwischen den USA und Europa.

Die Konflikte erstrecken sich in wachsendem Maß auf den "Krieg gegen den Terror", also auf die militärische Sicherung der kapitalistischen Globalisierung. Der Streit dreht sich im wesentlichen um den Mix von militärischen und politischen Maßnahmen. Während die Deutschen – wie andere EU-Europäer auf dem Kontinent – "gewachsene" Beziehungen zu den aktuellen lokalen Eliten zur Einfluß- und Vorteilnahme nutzen wollen, setzt die herrschende Strömung der US-Politik entschlossen auf die militärische Karte, nicht nur unter Inkaufnahme, sondern mit der Absicht der Zerstörung politischer Strukturen in der gesamten Region. In dieser Auseinandersetzung geht es sowohl um konkrete regionale Interessen als auch generell um das Gewicht Deutschlands und der EU in der Globalstrategie; die unilaterale Position der USA wird herausgefordert. Auch in den USA gewinnt der Dissens über die Globalstrategie größeres Gewicht in der politischen Diskussion. Während der Ölsektor des US-Kapitals mit Bush auf einen Kriegsschlag gegen den Irak setzt, favorisieren Teile des Finanzkapitals und der transnationalen Konzerne außerhalb der Öl-, Energie-, Auto und Rüstungssektoren die Aufnahme von mehr politischen Mitteln und ein abgestimmtes Vorgehen unter den kapitalistischen Partnerstaaten. Allerdings bestehen auch diese Kräfte auf der unbedingten Führungsrolle der USA.

Dennoch ist der Dissens von größter Bedeutung. Die Kriegsplaner der Bush-Regierung nehmen die Zerstörung der politischen Strukturen nämlich nicht nur in Kauf, sie streben die aus dem geplanten Schlag gegen den Irak entstehenden Wirren und Gefahren geradezu an. In einem Gutachten der Rand Corporation für das US-Verteidigungsministerium wird Saudi-Arabien als "Kern des Übels" bezeichnet, auch hier müßten die akutellen politischen Eliten aus dem Weg geräumt werden. Dieses Konzept läuft auf die Unterordnung der arabischen Halbinsel unter das Militärkommando der USA und Israels hinaus. Wir haben hier das Muster der Pax Americana ŕ la Bush: Je verworrener die Lage, je instabiler die politischen Strukturen, desto unangefochtener die Supermacht, die mit militärischen Mitteln die Lage unter Kontrolle bringt. Wie gefährlich diese Strategie werden kann, erweist die neue "Nuclear Posture Review" (NPR), das neue Nuklearkonzept der USA, in dem es heißt, daß Atomwaffen zum Einsatz kommen sollen bei "Zielen, die Angriffen mit nicht-nuklearen Waffen standhalten können" und "im Fall überraschender militärischer Entwicklungen", also immer, wenn die politische Führung es für geboten hält. Als potentielle Ziele von Atomwaffen werden nicht nur Libyen, Syrien, der Irak und Iran genannt, sondern auch Rußland und China, die von den US-Strategen als potentielle "global peer competitors" ausgemacht werden, als globale Wettbewerber, die man in der Phase der überragenden US-Dominanz dauerhaft auf die Plätze verweisen will. Zum neuen Nuklearkonzept gehört auch der Aufbau eines Schutzschildes um die USA gegen angreifende Atomraketen, also lautet die Botschaft der Supermacht an alle: Fügt euch oder wir vernichten euch – wir selbst sind unverwundbar.

Dies ist natürlich ein Aufruf zum Terror, der wiederum die Grundlage weiterer Terrorkriegsschläge wird. Eben deshalb ist es so wichtig, daß die Friedensbewegung sich mit aller Kraft gegen den Einstieg in die neue Dimension des "Kriegs gegen den Terror" stemmt, der mit dem sogenannten Präventivschlag gegen den Irak stattfinden würde, und daß sie sich dabei auch auf die Differenzen und Widersprüche zwischen den Metropolen und den einzelnen Kapitalgruppen stützt.

* Der Diplomvolkswirt und Soziologe Conrad Schuhler ist Mitarbeiter des Instituts für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung München (isw)


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