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Der Unermüdliche

Dem Politikprofessor und linken Aktivisten Peter Grottian zum 70.

Von Benedict Ugarte Chacón *

Er ist so gar nicht professoral. Er organisiert sich mit einem iPhone und einer Art Terminkalender, der sich in einer überbordenden Lederkladde voll von Adressen, Telefonnummern, Notizen und Textentwürfen verbirgt. Ein Büro an der Freien Universität Berlin hat er nach wie vor, aber oft dienen Tische in den Cafés der Republik als Schreibtisch. Denn Peter Grottian ist meistens mit dem Zug oder dem verbeulten Auto unterwegs – zu Vorträgen, Tagungen, Demonstrationen oder Aktionen. Und egal, wo und woran er gerade ist, immer schon strickt er am nächsten Aufruf, an der nächsten Aktion, entwirft illusorische und realistische Projekte und ist am »zündeln«, wie er es gern nennt.

Manchmal wird aus dem Konzipierten nichts. Und manchmal springt der Funke über. Dann werden Banken von Studierenden besetzt, dann spazieren 3000 Menschen zu den Villen von korrupten Politikern und Bankern im Berliner Nobelviertel Grunewald, oder Prominente übernachten in besetzten Häusern, um diese vor der Räumung zu schützen. Oft kommt dann die Polizei. Doch Peter Grottian hat den anderen Aktivisten vorher Mut gemacht und erklärt, daß der Strafbefehl über 120 Euro nun mal dazugehört und daß, wer sich das nicht leisten kann, per solidarischer Umverteilung nicht auf den Kosten sitzen bleiben wird. Im Zweifelsfall kommt er selbst für diese Kosten auf. Die Strafbefehle, die ihm selbst schon ins Haus flatterten, hat wohl nur sein Anwalt gezählt.

Er hat aus Protest gegen die Abschaffung des Sozialtickets in Berlin zum »Schwarzfahren« aufgerufen. Er demonstrierte innerhalb der Bannmeile gegen den Verkauf der Berliner Sparkasse und stiftete im Zuge der Finanzkrise zu symbolischen Banküberfällen an. Der zivile Ungehorsam ist für ihn das »Salz in der oft öden Suppe der Demokratie«. Das sagt er auf einem langweiligen Plenum, das schreibt er in Gastbeiträgen für bürgerliche Zeitungen, das ruft er laut in die Mikrofone bei kleinen und großen Kundgebungen. Überhaupt: Groß oder klein, das ist für ihn kein Maßstab. Er trifft sich mit Parteivorsitzenden, Bundestagsabgeordneten, Gewerkschafts- oder Kirchenfunktionären genauso wie mit Studierenden, Aktivisten oder Einzelgängern – es geht ihm immer um die Sache. Und er kann auch allen gleichermaßen auf die Nerven fallen. Weil er sich nun mal keiner Partei oder Organisation so richtig verpflichtet fühlt, äußert er sich abseits der jeweiligen Gepflogenheiten mitunter recht deutlich. Dann legt er sich nach dem Bankenskandal mit der SPD-gesteuerten Berliner Linkspartei an, dann spricht er der SPD am Rande ihrer Parteitage das Sozialdemokratische ab und wirft ATTAC die Hasenfüßigkeit vor, die diesen Verein von Grund auf auszeichnet. Oder er ruft Tausende applaudierende Gewerkschafter zur Besetzung von Landtagen auf, während die auf derselben Bühne stehenden Gewerkschaftsbosse betreten in den Horizont starren.

Man sollte ob dieser Fülle an Aktivitäten nicht meinen, er nähme seine Aufgaben als Hochschullehrer deshalb weniger ernst. Er gehört zu den Lehrkräften am Otto-Suhr-Institut (OSI), die die Prüfungsstatistik bei Diplomen und Promotionen kräftig nach oben drehen. Aber: Peter Grottian war immer einer derjenigen, die den Ruf des OSI als Ort selbständiger, kritischer Politikwissenschaft bewahren wollten. Dazu entwarf er Konzepte, dazu bestreikte und besetzte er zusammen mit Studierenden das Institut – in wie vielen Semestern er sich auf diese Weise einbrachte, kann wohl nicht mal er selbst sagen. Daß ausgerechnet diese mittlerweile stromlinienförmige Einrichtung Peter Grottian ihre gute Statistik mit verdankt, ist eine historische Ironie. An diesem Wochenende wird Peter Grottian 70 – fest und klar und heiter. Trotz alledem!

* Aus: junge Welt, Samstag, 26. Mai 2012


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