Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Wir haben noch nie einen Krieg verhindert

Zehn Jahre nach den Massenprotesten gegen die Intervention der USA in Irak – wo steht die Friedensbewegung?



Das ganze Interview im Original (Zeitungsseite): pdf-Datei




PETER STRUTYNSKI und REINER BRAUN gehören seit 30 Jahren zu den wichtigsten Köpfen der deutschen Friedensbewegung. INES WALLRODT sprach mit den beiden in Kassel über die Rückkehr des Krieges in die Politik trotz Antikriegsmehrheiten in Umfragen und warum Thomas de Maizière der gefährlichste deutsche Verteidigungsminister seit Jahren ist.

Im Augenblick hat man den Eindruck, dass Union und FDP bei Libyen und Mali zurückhaltender sind als SPD und Grüne. Wie schätzen Sie die beiden möglichen künftigen Regierungskonstellationen – große Koalition und Rot-Grün – in der Kriegs- und Friedensfrage ein?

Peter Strutynski: Der Eindruck täuscht. Eine rot-grüne Regierung würde auch nicht mit Hurra nach Mali ziehen wollen. Die fordern das jetzt auch aus oppositionellen Gründen. Durch die Bundestagswahl wird sich nichts Wesentliches ändern.

Reiner Braun: Bei der Außenpolitik gibt es eine große Koalition der Vier. Im Unterschied zu Peter ist meine Sorge aber durchaus, dass Rot-Grün ohne große außerparlamentarische Gegenbewegung schneller in Kriege eingreifen wird als die Konservativen. Unter dem Druck von Kriegsbefürwortern geben sich Sozialdemokraten und Grüne gern immer noch ein bisschen staatstreuer.

Wird es in Zukunft mehr oder andere Kriege als bisher geben?

Strutynski: Sowohl als auch. Nach dem Ende der Blockkonfrontation ist Krieg wieder zu einem normalen Mittel der Politik geworden. Die Kriege haben heute teilweise andere Ursachen als früher. Meistens aber werden sie von Großmächten instrumentalisiert.

Braun: Thomas de Maizière ist der gefährlichste Verteidigungsminister der letzten Jahrzehnte in diesem Land. Er setzt auf eine sehr kluge Art aggressivste Politik durch: Vollendung der Interventionsarmee, Drohneneinsätze, Deutschland überall im Krieg. Er vollendet, was sich in den letzten 20 Jahren angedeutet hat, in einer Brutalität und Schnelligkeit, wie es von Guttenberg in seiner saloppen Art niemals geschafft hätte.

...und wirkt dabei gar nicht militaristisch.

Braun: Das ist ja das Problem. Der protestantische Pietismus ist manchmal besonders gefährlich. Wir müssen uns jedenfalls auf weitere kriegerische Auseinandersetzungen einstellen. Syrien, Iran, Afrika – die Konfliktlinien sind vorgezeichnet. Die zukünftigen Krisen finden aber nicht nur in unterentwickelten Gebieten statt. Noch gar nicht richtig wahrgenommen haben wir die Konflikte zwischen Japan, China, Südkorea, Philippinen. Da geht es um Ressourcen, um Routen für Verkehrsund Handelsschifffahrt, und da geht es um Hegemonie in einer riesigen Weltregion. Und über all dem schweben als eine neue Qualität die Drohnen. Wir können die Drohnen als Entgrenzung und Entmenschlichung von Krieg gar nicht ernst genug nehmen.

Strutynski: Deutschland hat das Potenzial, ein gefährlicher Aggressor in dieser Welt zu werden. Braun: Deutschland kämpft aber nicht mehr alleine, damit sind wir zwei Mal gescheitert, sondern im Bündnis. Das ist eine kluge Strategie, die Ausstrahlung auf die Bevölkerung hat: Wir sind nicht mehr der Schurke gegen den Rest der Welt, sondern betten uns ein in die »westliche Demokratie« und wenn möglich in das UN-System.

In Umfragen lehnen die Deutschen Kriegseinsätze in der Mehrheit ab. Dennoch schreitet die Militarisierung voran. Warum ist die Friedensbewegung so schwach?

Braun: Das ist kein deutsches Problem. Weltweit ist die Friedensbewegung kaum in der Lage, Kriegstreibern in die Arme zu fallen.

Der Protest gegen den Irakkrieg war die letzte große Mobilisierung der Friedensbewegung. Sie befand sich mit ihrem Nein allerdings in Übereinstimmung mit dem offiziellen Regierungskurs. Brauchte sie die Absolution von oben?

Strutynski: Es heißt, weil Schröder auch gegen diesen Krieg aufgetreten ist, sei es so leicht gefallen, eine halbe Million Leute in Berlin auf die Straße zu bringen. Das ist eine Legende. Man braucht die Regierung nicht für eine Protestbewegung. Die britische Regierung wollte in den Krieg ziehen – dagegen gingen sogar zwei Millionen auf der Straße.

Gegen den von Rot-Grün geführten Kosovokrieg gab es weniger Protest.

Strutynski: Die Friedensbewegung ist ein Spiegelbild der Gesellschaft. Dass die Grünen damals umschwenkten und so vehement für den Krieg trommelten, hat die Bewegung gespalten. Manche hatten damals das Bedürfnis, unmittelbar helfen zu müssen, und setzten auf das Militär. Heute würde ich sagen, dass ein größerer Teil der Bevölkerung aus Kosovo und anderen Konflikten danach gelernt hat.

Braun: In Bezug auf Mali sagen 65 Prozent der Bevölkerung: »Das endet wie Afghanistan.« Gegen den Afghanistankrieg ist es uns nie gelungen, Massen zu mobilisieren, aber wir konnten kritische Sprengsel setzen. Viele Menschen haben erkannt, dass Soldaten Konflikte nicht lösen. Auf diesem Humus können wir bauen.

Und trotzdem fehlt die politische Macht, tatsächlich etwas zu verhindern.

Strutynski: Ich sage provokatorisch: Die Friedensbewegung in Deutschland hat noch nie einen Krieg verhindert. Sie sitzt nicht in der Regierung, nicht in der NATO, sie hat schlicht die institutionellen Mittel nicht, über Krieg und Frieden zu entscheiden. In der Geschichte der Bundesrepublik waren außenpolitische Themen nur zwei Mal wahlentscheidend: 1972 bei den Ostverträgen, als Brandt einen triumphalen Wahlsieg errungen hat. Und 2002, als Schröder kurz vor der Wahl auf die Idee gekommen ist, seine Koalition gegen den Irakkrieg der USA zu positionieren. Aufgabe der Friedensbewegung ist es, zu warnen, aufzuklären, Widerstand zu leisten und Druck auf die herrschende Politik auszuüben.

Braun: Krieg und Frieden können nur eine wichtige Rolle spielen, wenn ein längerfristiger Prozess das Grundbewusstsein der Menschen verändert. Egon Bahr hat 1963 seine Rede zur Entspannungspolitik gehalten, Brandt ist erst zehn Jahre später für die Ostpolitik wieder gewählt worden. Jetzt stehen wir vor der Aufgabe, dass die Generation, die sich mit den neuen Interventionskriegen beschäftigen muss, die kriegskritische Grundhaltung der 80er und 90er Jahre behält.

Warum gibt es angesichts dieser Herausforderungen und der relativen Schwäche der Bewegung mit Ihren beiden Organisationen zwei strategische Zentren, die als Sprachrohr der Friedensbewegung auftreten?

Strutynski: Wir sind kein Dachverband und konkurrieren auch mit keinem. Der Bundesausschuss Friedensratschlag versteht sich nicht als Organisation. Wir haben keinen Vorstand und keine Mitglieder. Wir sehen uns als Impulsgeber und Diskussionsforum. Die »Ratschläge« in Kassel sind entstanden, weil es keinen überregionalen Austausch mehr gab, nachdem die Strukturen der 80er Jahre weggebrochen waren. Zwischen diesen Kongressen versucht der Bundesausschuss über seine Homepage, Pressemitteilungen etc., Politik zu machen.

Braun: Jetzt machst du deine Arbeit aber kleiner, als sie ist. Es gibt zwei Sprecher des Bundesausschusses...

Strutynski: Sechs.

Braun: Sechs sogar. Es gibt auch ein Büro. Aus meiner Sicht gibt es zwei Netzwerke, die einen bundesweiten Anspruch erheben. Das hat sich historisch eben so entwickelt. Aus Sicht der Kooperation meine ich aber, dass wir auch weiterhin Formen für eine sinnvolle Zusammenarbeit finden sollten. Wir müssen wieder mehr schauen, bei welchen Aktivitäten wir unsere Kräfte bündeln können. Wären die Drohnen nicht ein geeignetes Thema?

Strutynski: Drohnen sind ein Problem, wo man gemeinsam, aber vor allem möglichst in allen Orten der Bundesrepublik aktiv werden muss. Jede Organisation muss versuchen, so viele Menschen zu erreichen, wie sie kann.

Die inhaltliche Übereinstimmung klingt groß. Warum ist die Zusammenarbeit schwierig?

Strutynski: Wir arbeiten ja punktuell zusammen. Wenn es einen gemeinsamen Aufruf gegen Drohnen geben soll, sind wir sicher nicht dagegen. Aber das Bedürfnis, etwas gemeinsam zu machen, muss von unten kommen. Bei Libyen, zum Beispiel, ist dieser Wunsch nicht an uns herangetragen worden.

Braun: Ich sehe derzeit keinen Sinn darin, Strukturen zu debattieren. Aber natürlich kann man sich ab und an mal fragen, ob alles wirklich effektiv gewachsen ist. Ich würde zumindest Verbesserungsmöglichkeiten sehen.

In meiner Wahrnehmung ist der Bundesausschuss politisch homogener als die Kooperation, die bis ins christliche und sozialdemokratische Friedensspektrum hineinreicht.

Strutynski: Das könnte sein. Wir diskutieren im Bundesausschuss viel und gründlich. Dementsprechend gibt es eine große inhaltliche Basis. Bei uns müssen sich auch keine Organisationen einigen, sondern Basisaktivisten, die seit Jahren zusammenarbeiten. Deshalb finden wir leicht gemeinsame Positionen.

Braun: Die »Kooperation« versteht sich stärker als Teil der internationalen Friedensbewegung. Wir legen viel Wert auf internationale Zusammenarbeit, zum Beispiel im No-to-NATO-Bündnis und in der Friedensorganisation IPB.

Strutynski: Bei No-to-NATO waren wir auch dabei.

Braun: Ja leider, waren.

Strutynski: Dass wir das nicht mehr sind, hat nichts mit fehlender internationalistischer Perspektive zu tun. Manchmal fehlen aber auch die Mittel, in der Welt herumzugondeln.

Die Friedensbewegung hat noch ein weiteres Problem: Sie wird immer älter. Bei Jüngeren gilt sie als zu betulich.

Braun: Es gibt wieder mehr junge Leute, die sich für Frieden engagieren. Die derzeit erfolgreichsten Kampagnen sind Rüstungsexporte, Zivilklausel und Bundeswehr an Schulen. Bei allen sind Jüngere dabei. Aber natürlich nicht genug. Wir haben auch ein Problem von Platzhirschen. Es ist schwierig, in eine verantwortende Position nachzuwachsen, wenn da jemand mit dem Wissen von Jahrzehnten sitzt.

Strutynski: Als ich jung war, war mir der Frieden nicht genug. Ich wollte »Revolution machen«, die Gesellschaft insgesamt verändern.

Braun: Es bleibt die entscheidende Frage: Wann engagieren sich Menschen für Frieden? Gibt es noch weitere Zugänge, neben der immer notwendigen Kriegskritik? Früher war es Angst. Die direkte Bedrohung durch Raketen gibt es aber bei uns nicht mehr. Ich denke, dass die Gegenüberstellung von Rüstungsausgaben versus andere Ausgaben mobilisierend wirken kann. Und die Gerechtigkeitsfrage. Beim Kirchentag gibt es zum ersten Mal wieder viele Veranstaltungen zu Gerechtigkeit und Frieden.

Vor zwei Jahren hat die Friedensbewegung versucht, bei den Anti-Atom-Demonstrationen aufzuspringen. Gelungen ist das nicht.

Braun: Das ist unser alter Traum, gemeinsam mit der Umweltbewegung gegen Atomwaffen und Atomkraft zu marschieren. Aber das ist fast immer auf dem Papier stehen geblieben. Die Zusammenarbeit mit anderen Bewegungen hängt auch davon ab, ob es in Organisationen noch Personen gibt, die sich mit der Friedensfrage verbunden fühlen, wie etwa in ver.di und GEW, vor allem aber in den Kirchen. Mit entwicklungspolitischen Organisationen gibt es lediglich punktuelle Kooperation.

Strutynski: Die Friedensbewegung hat sich immer als Bewegung verstanden und weniger als NGO. Die sind noch schlechter mobilisierungsfähig. Wenn wir 50 NGOs im Boot hätten, haben wir damit allein noch keine Massenbewegung auf der Straße.

Braun: Das bringt vielleicht nicht immer Massen auf die Straße, aber nützt politisch. Wir müssen die Antikriegsmehrheit erhalten. Und deshalb müssen wir so eng wie möglich mit anderen gesellschaftlichen Kräften zusammenarbeiten.

* Reiner Braun, 60, ist Geschäftsführer der Friedensorganisation IALANA und Gründungssprecher der »Kooperation für den Frieden«, in der sich über 50 friedensbewegte Initiativen und Organisationen zusammengeschlossen haben. Am 22. Februar feiert die Dachorganisation ihren zehnten Geburtstag. Sie war nach den Irakkriegsdemonstrationen 2003 aus dem Eindruck entstanden, dass der Friedensbewegung eine verbindliche Zusammenarbeit fehlt. www.koop-frieden.de

* Peter Strutynski, 67, war wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Universität Kassel. Seit Jahren leitet er die AG Friedensforschung in Kassel und ist Sprecher des »Bundesausschusses Friedensratschlag« – ein Zusammenschluss von Initiativen und Einzelpersonen, die sich einmal im Jahr zu einer Konferenz treffen. In diesem Herbst findet der 20. Ratschlag statt. www.ag-friedensforschung.de

Aus: neues deutschland, Mittwoch, 13. Februar 2013


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