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Fotos unter Verschluss

Der hessische Innenausschuss lehnt die Herausgabe von Beweismitteln über Polizeieinsatz bei Blockupy ab

Von Hans-Gerd Öfinger *

Der hessische Innenminister sollte sich am Donnerstag im Innenauschuss wegen des Blockupy-Einsatzes am Wochenende verantworten. Kritischen Fragen stellte er sich allerdings nicht.

Am Donnerstag befasste sich nun auch der Innenausschuss des Hessischen Landtags mit dem Vorgehen der Polizeikräfte bei der Blockupy-Demonstration in Frankfurt am vergangenen Samstag. Innenminister Boris Rhein (CDU) überließ die Beantwortung kritischer Fragen dem Einsatzleiter Harald Schneider. Ein Antrag der Linksfraktion, dem Ausschuss alle verfügbaren Fotos und Beweismittel über das Vorgehen der Polizei vorzulegen, wurde mit Mehrheit abgelehnt. Dies komme fast schon einer »Unterschlagung von Beweismitteln« gleich, kritisierte Janine Wissler, Vorsitzende der Linksfraktion im Hessischen Landtag.

Rhein hatte in den vergangen Tagen der Polizei sein Vertrauen ausgesprochen und beteuert, er habe am Samstag keinen Kontakt zur Einsatzleitung gehabt. »Mit wem haben dann die Einsatzkräfte Rücksprache gehalten?«, fragte Wissler: »Einer von den beiden muss lügen.«

Welche Rolle Bundespolizisten gespielt haben, will der Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele (Grüne) nun von der Bundesregierung wissen. Er hat eine Schriftliche Anfrage gestellt.

Als Zeugen und Opfer der Polizeiübergriffe melden sich auch prominente Gewerkschafter zu Wort. So spricht Ex-DGB-Landeschef Dieter Hooge von einem »Polizeiaufgebot, wie ich es noch nicht bei Demonstrationen in der Stadt gesehen habe.« Immer wieder habe ihn über Jahrzehnte die »Brutalität und Menschenverachtung der Einsatzkräfte gegen Demonstranten« schockiert. »Warum haben die schwarz-grüne Stadtregierung und SPD-Oberbürgermeister Peter Feldmann nicht eingegriffen, um diese fürchterlichen Vorgänge zu stoppen?«

»Tätliche Angriffe auf friedliche Demonstranten« beklagt auch der hessische GEW-Vorsitzende Jochen Nagel. Er habe erlebt, wie »vermummte Polizeibeamte völlig grundlos und ohne Vorwarnung in geschlossener Front auf uns los rannten, mit Schlagstöcken um sich schlugen und massenhaft Pfefferspray einsetzten«. Auch ihn habe »eine volle Ladung Pfefferspray ins Gesicht getroffen«, so Nagel, der sich in ärztliche Behandlung begeben musste. Für den GEW-Landeschef liegt auf der Hand, dass die Polizeiführung »eine Eskalation provozieren wollte«, um die Verhinderung einer legalen Demonstration auf der gerichtlich bestätigten Route zulegitimieren.

Von der »schwerwiegendsten Verletzung der Pressefreiheit in Hessen seit vielen Jahren« spricht die Fachgruppe Journalismus (dju) in ver.di: »Berichterstatter und Fotografen waren erheblichen Repressalien durch Polizeibeamte ausgesetzt, einige wurden verletzt und mussten in krankenhausärztliche Behandlung«, so ver.di-Fachbereichsleiter Manfred Moos.

Unterdessen hat das Blockupy-Bündnis gegen die Polizei-Verantwortlichen Klage beim Verwaltungsgericht Frankfurt eingereicht. »Wir haben es mit gefährlichen Wiederholungstätern zu tun, die endlich gestoppt werden müssen«, so Bündnis-Sprecher Hanno Bruchmann. Darüber hinaus prüfe man weitere juristische Schritte wie eine Massenklage der von Polizeigewalt betroffenen Demonstranten. Das Bündnis will mit einer Solidaritäts-Demonstration am kommenden Samstag ab 12 Uhr die blockierte Demonstration in Frankfurt und dezentral in anderen deutschen Städten »nachholen«.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 7. Juni 2013


Planmäßige Prügel

Blockupy: Augenzeugen berichten von angekündigter Einkesselung

Von Gitta Düperthal **


Nun wird nach Verantwortlichen gesucht. Der brutale Angriff der Polizeihundertschaften mit Pfefferspray und Knüppeln auf eine gewaltfreie Demonstration und die stundenlange Einkesselung von mehr als 900 Menschen dürfe nicht folgenlos bleiben. Das konstatierten Landtagsabgeordnete der Linksfraktion am Donnerstag bei einem Pressegespräch im Hessischen Landtag in Wiesbaden. Einziges Ziel sei offenbar gewesen, die durch zwei Instanzen gerichtlich erstrittene Demoroute, an der europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main vorbei, zu verhindern, so der innenpolitische Sprecher der hessischen Linksfraktion, Hermann Schaus. Alles spreche dafür, daß dies von langer Hand vorbereitet gewesen sei – und keinesfalls eine Reaktion auf etwaige völlig belanglose Auflagenverstöße von Demonstranten. Diese These hatten allerdings sowohl die Verantwortlichen der Stadt, Polizeipräsident Achim Thiel und Ordnungsdezernent Markus Frank (CDU), als auch der hessische Innenminister Boris Rhein (CDU) am Wochende bestritten. Doch parteipolitisch unabhängige Augenzeugen, von der Linkspartei eingeladen, machten auf eklatante Widersprüche aufmerksam, die genau das belegen.

Der Arzt Joachim Dlugosch, der sich mit seinen Kindern exakt an der Stelle befunden hatte, wo die Polizei mit der Einkesselung begann, sagte, er habe es sich im Vorfeld gut überlegt, ob es sinnvoll sei, seine Kinder mitzunehmen, aber dann kein Problem darin gesehen, da die Demo »so einen bunten und friedlichen Eindruck« gemacht habe. Am Ort sei er von einem Polizisten gewarnt worden: »An dieser Stelle werde etwas passieren«. Selbst seine Kinder hätten daraufhin gefragt: »Wenn nichts geplant war, wieso sind wir dann gewarnt worden?«

Der GEW-Landesvorsitzende Jochen Nagel berichtete, beobachtet zu haben, daß die Polizeiführung eine Eskalation sichtlich habe provozieren wollen: Von einem schwarzen Block hätte keine Rede sein können, so Nagel. Alle hätten sich erkennbar friedlich verhalten. Vermummte Polizisten seien hingegen völlig grundlos und ohne jegliche Vorwarnung in die Menge gestürmt.

Die Verantwortlichen der Stadt Frankfurt und des Landes Hessen müßten Verantwortung übernehmen und zurücktreten, forderte Janine Wissler, Vorsitzende der Linksfraktion. Es könne nicht sein, daß jeder nun behaupte, daß mit ihm der Einsatz so nicht besprochen worden sei und dies auf den jeweils anderen schiebe. Einer müsse offenbar lügen. Dies gelte es jetzt aufzuklären.

Wissler machte auf einen weiteren Anhaltspunkt aufmerksam, der den Eindruck einer generalstabsmäßigen Planung zu bestätigen scheint: Statt den Verkehr für die Großdemo entsprechend umzuleiten, hätten sich massenhaft Einsatzkräfte an eben jener Stelle versammelt, die dann später zum Polizeikessel wurde.

Die noch vorläufige Bilanz der polizeilichen Gewalttätigkeiten, die junge Welt jetzt vorliegt, liest sich immer schockierender. Demosanitäter schätzen aktuell, daß sie insgesamt circa 320 Verletzte behandeln mußten. Die jüngsten seien Grundschulkinder gewesen, die ältesten etwa 70 Jahre alt. Viele Verletzungen durch gezielte Schläge auf Schädel und ins Gesicht habe es gegeben, ausgekugelte Schultern, Fälle von Ohnmacht. Die Sanitäter berichteten zudem, daß in einem Falle, Eingekesselte am Ende durch ein Spalier von etwa 10 Schäferhunden laufen mußten, die an der langen Leine versuchten die Leute anzufallen.

Blockupy hat mittlerweile für Samstag zu einer Demonstration gegen Polizeiwillkür aufgerufen. Sie werde exakt die Route haben, die von der Polizei am 1. Juni rechtswidrig in brutaler Weise gesperrt worden sei, so ein Sprecher der Bewegung.

** Aus: junge Welt, Freitag, 7. Juni 2013


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