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Raus aus Afghanistan – Hände weg von Iran!

Bundesausschuss Friedensratschlag: Zwölf Aktionsschwerpunkte der Friedensbewegung für 2012. Presseerklärung


Kassel, 30. Dezember 2011 – Zur Jahreswende veröffentlichte der Bundesausschuss Friedensratschlag sein friedenspolitisches Aktionsprogramm für das NEUE JAHR. Im Mittelpunkt stehen der Krieg in Afghanistan, die Warnung vor neuen Kriegen und die Kritik an NATO und Bundeswehr. Ein Sprecher des Bundesausschusses erklärte hierzu am Freitag (30. Dez.):

Das abgelaufene Jahr hat der Welt einen weiteren Krieg beschert: den Bomben- und Raketenkrieg der NATO gegen Libyen. Der militärisch erzwungene Sturz und die Ermordung Gaddafis wurden überwiegend als wegweisendes Modell „humanitärer Interventionen“ gefeiert. Die Friedensbewegung, obwohl strikt gegen den Krieg, blieb in dieser Zeit relativ wirkungslos. Schwer tat sie sich auch in ihren Bemühungen, den Afghanistankrieg – wenigstens von deutscher Seite her – zu beenden. Es ist ihr nicht gelungen, die große Mehrheit der Bevölkerung, die den Krieg ablehnt, auch nur ansatzweise in nennenswerter Zahl auf die Straße zu bringen.

Ende 2011 spitzte sich die Entwicklung in der explosivsten Konfliktregion der Welt zu, im Nahen Osten. Viele Anzeichen deuten darauf hin, dass der „Westen“ Vorbereitungen zu gewaltsamen Interventionen gegenüber Syrien und mehr noch gegen Iran trifft. Seit Monaten wird in israelischen Regierungskreisen über einen Militärschlag gegen Ziele im Iran diskutiert. Allein die Tatsache, dass eine solche Diskussion stattfindet, zeugt von der Missachtung des strikten Gewaltverbots, das die Charta der Vereinten Nationen allen Staaten der Welt auferlegt hat. Unterdessen haben die USA und die EU die Sanktionen gegen Iran in einer Weise verschärft, die immer näher an einen Krieg heranführt. Die Friedensbewegung ist aufgerufen, der Eskalation im Nahen Osten entgegenzutreten. Der Friedensratschlag sagt klipp und klar: Hände weg von Iran!

Auch gegenüber dem syrischen Regime wurde die Drohkulisse ständig erhöht und damit eher zur Eskalation denn zur Entspannung der Situation im Land beigetragen. Hier gilt, was wir auch schon im Fall von Libyen gesagt und gefordert hatten: Die Gestaltung der politischen und gesellschaftlichen Ordnung eines Landes ist ausschließlich die Angelegenheit seiner Bevölkerung. Jede Einmischung von außen – auch wenn sie sich noch so „humanitär“ gibt – ist von fremden Interessen geleitet und widerspricht dem völkerrechtlichen Prinzip der „Selbstbestimmung“ und der „Souveränität“ der Staaten. Libyen darf nicht zur Blaupause für weitere NATO-Interventionen werden.

Die NATO ist der größte Militärpakt der Erde, dessen Mitgliedsstaaten drei Viertel der weltweiten Rüstungsausgaben auf sich vereinen und der bereit ist, seine imperialen Interessen nicht nur in Afghanistan und in Libyen, sondern auch sonst in der Welt durchzusetzen. 20 Jahre nach Auflösung des Warschauer Pakts ist es höchste Zeit, dass auch sein westliches Gegenüber sich aus der Geschichte verabschiedet. Ihr anachronistischer Fortbestand dient der militärischen Absicherung imperialistischer Interessen gegen die Ansprüche der Völker der unterentwickelt gehaltenen Welt und richtet sich gegen Mächte, die dem freien Fluss ausländischen Kapitals nationale Schranken entgegen setzen wollen. Ähnliches kann mittlerweile auch von der Europäischen Union behauptet werden, die mit dem Lissabon-Vertrag endgültig zu einem Militärbündnis geworden ist. Ihre Finalität ist nicht mehr die Etablierung eines „Raums des Friedens, der Freiheit und Demokratie“, sondern die polizeiliche und militärische Sicherung der „Festung Europa“ vor unliebsamen Flüchtlingsbewegungen. Zugleich entwickelt die EU Züge einer überstaatlichen autoritären Finanz- und Wirtschaftsdiktatur, die – unter maßgeblichem Einfluss der Bundesrepublik Deutschland - den Mitgliedstaaten eine neoliberale Haushaltspolitik aufzwingt. Es wird eine wichtige Aufgabe 2012 sein, die Militarisierung der EU zu bekämpfen und zusammen mit anderen sozialen Bewegungen die „Festung Europa“ aufzubrechen und wieder mehr Bürgerrechte durchzusetzen.

De Maizières „Neuausrichtung“ der Bundeswehr zielt auf weltweite Interventionsfähigkeit zur Sicherung der wirtschaftlichen Interessen „Deutschlands“. Dies haben die „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ 2011 deutlich zum Ausdruck gebracht. Die Devise der Herrschenden lautet: Kleiner und feiner, effektiver und aggressiver! Das neue Stationierungskonzept sieht vor, infanteristische Kräfte für den Kampfeinsatz im Ausland räumlich zu konzentrieren und zu stärken. Es wird eine „Division Schnelle Kräfte“ gebildet. Ausbildungsziel ist deren „Befähigung zum Kampf“. Wir sagen: Deutsche Soldaten haben weder in Afghanistan, noch auf dem Balkan, noch am Horn von Afrika oder im Sudan etwas zu suchen. Wo Menschen ihrer fundamentalen Rechte beraubt werden, ist wirksame Hilfe nur mit zivilen, nicht-militärischen Mitteln möglich.

Das 12-Punkte-Programm des Friedensratschlags enthält weitere strategische Ziele und Umsetzungsvorschläge für die Friedensbewegung, etwa hinsichtlich der Fortsetzung der Kampagne gegen Rüstungsexporte, gegen die Instrumentalisierung von Bildung und Wissenschaft für Zwecke des Militärs (Stichworte: „Keine Bundeswehr an Schulen“, „Für Zivilklauseln an Hochschulen“), gegen Neonazismus, Ausländerfeindlichkeit und Rassismus und für eine umfassende Demokratisierung der Vereinten Nationen, damit Die UNO zu einem „Anwalt der Schwachen“ werden kann, wie es in dem Papier heißt.

Trotz der Schwere der Herausforderungen geht der Bundesausschuss Friedensratschlag zuversichtlich ins NEUE JAHR. Die Hoffnungen der Friedensbewegung ruhen zum Teil auf den 2011 spontan entstandenen neuen Bewegungen, die auf rasante Umbrüche in der Welt hindeuten. Genannt werden die von den spanischen Indignados ausgehenden Sozialproteste der „Empörten“ sowie die in den USA spontan entstandene Occupy-Bewegung, die auch Deutschland erfasst hat. Sie sind jung und unkonventionell in ihren Protestformen und globalisierungskritisch, ökologisch und antikapitalistisch in ihren Forderungen. In ihnen drückt sich die zunehmende Unzufriedenheit der Bevölkerung über die Entdemokratisierung der Politik und ihre offenkundige Unterwerfung unter die Interessen der Wirtschaft aus.

Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Peter Strutynski (Sprecher)

Das 12-Punkte-Programm der Friedensbewegung liegt als pdf-Datei bei. Es ist außerdem auf der Website der AG Friedensforschung herunterzuladen: www.ag-friedensforschung.de


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