Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Iran zum Thema machen

Aufruf an Friedensbewegung, sich den zunehmenden Drohungen gegen Teheran entgegenzustellen

Mit Blick auf die bevorstehenden Ostermärsche der Friedensbewegung veröffentlicht die "junge Welt" einen Aufruf der »Kampagne gegen Sanktionen und militärische Intervention im Iran« (CASMII - Campaign Against Sanctions and Military Intervention in Iran) an Antikriegsorganisationen und -aktivisten, sich den zunehmenden Drohungen gegen Teheran entgegenzustellen. CASMII wurde im Dezember 2005 in London gegründet und ist ein Netzwerk »unabhängig von allen politischen Gruppierungen und Regierungen, insbesondere der iranischen«. Es ruft alle »Iraner und Nichtiraner gleichermaßen auf, sich uns anzuschließen, eine starke unabhängige internationale Kampagne aufzubauen, um einen weiteren desaströsen Krieg im Nahen und Mittleren Osten vor dessen Ausbruch zu verhindern«.

Wir dokumentieren den Aufruf in der von der jW verwendeten deutschen Übersetzung und danach den ganzen Aufruf im Original (englisch).


Appell an die Friedensbewegung

Auf der ganzen Welt bereiten sich Antikriegsaktivisten vor, im Frühjahr gegen die US-geführten Kriege in Irak und Afghanistan zu protestieren. Unterdessen führt eine Reihe von Entwicklungen zu einer drastischen Verschärfung der Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Islamischen Republik Iran. Aus diesem Anlaß ruft CASMII die Friedensbewegung in den Vereinigten Staaten, Großbritannien und anderen Ländern auf, die Forderung »Kein Krieg, keine Sanktionen, keine Einmischung in Iran!« zu stellen.

Keine Beweise

Iran hat seit mehr als 200 Jahren keinen seiner Nachbarn angegriffen. Selbst als Saddam Hussein nach der Revolution von 1979 in Iran einmarschierte und - mit Unterstützung des Westens - chemische Waffen sowohl gegen Zivilisten als auch Kombattanten einsetzte, bediente sich Iran keiner Vergeltungsmaßnahme gleicher Art. Und dennoch behaupten die USA, Iran stelle eine ernste Bedrohung für den Mittleren Osten und die gesamte Welt dar. Ohne die Spur eines Beweises klagen die USA Iran an, sein Programm zur Entwicklung von ziviler Nuklearenergie nur als Deckmantel zur Entwicklung von Nuklearwaffen nutzen zu wollen. Nie erwähnt wird die Tatsache, daß Iran als Unterzeichner des Atomwaffensperrvertrages der UNO das internationale Recht eingeräumt wird, Nuklearenergie zu entwickeln. Noch vor einigen Monaten stellte der Chef der internationalen Atomenergiebehörde, Mohammad El-Baradei, fest, daß »niemand in Iran Nuklearwaffen entwickelt. Teheran hat kein laufendes Nuklearwaffenprogramm. Aber irgendwie spricht jeder im Westen davon, daß Irans Nuklearprogramm die größte Bedrohung für die Welt sei.« (Interview im Bulletin of the Atomic Scientists, September 2009) Doch anstatt vor der globalen Katastrophe zu warnen, die entstehen würde, sollte Iran tatsächlich sein scheinbares Ziel zur Erlangung von Nuklearwaffen erreichen, argumentiert Washington, Iran müsse gewaltsam - durch eine Kombination aus »crippling sanctions« und den Vorteil der internen Spaltung des Landes nutzend - in die Knie bezwungen werden, um so den Weg für einen militärischen Angriff zu ebnen.

Die jüngsten Entwicklungen:
  • Die USA haben die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates gedrängt, eine vierte und schärfere Runde von Sanktionen gegen Iran anzuordnen. Der einzige echte Gegner von Sanktionen war die Volksrepublik China, welche im Januar die sich rotierende Ratspräsidentschaft innehatte. Jedoch ging die Präsidenschaft zum 1. Februar an Frankreich über, welches dem iranischen Nuklearprogramm fast genauso feindselig begegnet wie die USA. (Frankreichs eigener Energiebedarf wird nebenbei bemerkt zu 80 Prozent aus Atomkraft gedeckt.) Die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats, China und Rußland eingeschlossen, waren nie eine echte Blockade für die USA. Ungeachtet der durch den Sicherheitsrat bereits gebilligten drei Sanktionsrunden gegen Iran spricht die Obama-Administration nun von einer Umgehung (»bypassing«) der UNO in der Sanktionsfrage. Während man oft damit wirbt, daß Sanktionen eine Alternative zu Krieg seien, ist mittlerweile bekannt, daß die Sanktionen, die die UNO während des ersten Golfkrieges gegen den Irak verhängte, zum Tod von bis zu 1,5 Millionen Irakern - ein Drittel davon Kinder - führten.
  • Sich nicht nur mit Druck auf die UNO begnügend, treiben die USA Pläne zu weiteren unilateralen Sanktionen voran. Der amerikanische Kongreß steht kurz vor der Billigung des sogenannten »Dodd-Shelby Comprehensive Iran Sanctions, Accountability, and Divestment Act«. Unter anderem würde dieser parteiübergreifende Gesetzesentwurf »neue Sanktionen über all diejenigen Entitäten verhängen, die am Export gewisser Raffinerietechnik nach Iran oder am Bau von heimischen Veredelungsanlagen beteiligt sind«. Diese Bestimmung legt die tatsächlichen US-Ziele dar: Iran ökonomisch in einer Weise zu lähmen, daß die iranische Bevölkerung aufgrund der somit erschwerten Lebensbedingungen einen Regimewechsel verlangt. In der Vergangenheit argumentierten die USA damit, daß Iran aufgrund seiner riesigen Ölressourcen keine Nuklearenergie zu produzieren brauche, während man aber die Tatsache unterschlug, daß das Land nicht über die nötigen Raffineriekapazitäten verfügt, um seinen Energiebedarf allein mit Öl zu decken. Das Abzielen auf Unternehmen und Staaten, die Iran Raffineriegüter verkaufen, zeigt, daß die tatsächlichen Ziele nichts mit der Abwehr nuklearer Proliferation zu tun haben (Die USA drängen sogar einige europäische Staaten, Iran keine Mittel zur Entwicklung von Windenergie bereitzustellen!) Diejenigen, die sich Hegemonie über den ölreichen Mittleren Osten wünschen, können keinerlei unabhängige Regionalmacht tolerieren - unabhängig davon, ob diese nun andere Länder bedrohen oder nicht. Diese Realtität wurde 1953 auf dramatische Weise veranschaulicht, als die CIA den demokratisch gewählten Premierminister Dr. Mohammad Mosaddegh für sein »Verbrechen«, iranisches Öl nationalisieren zu wollen, stürzten.
  • Währenddessen werden die Drohungen neuer Sanktionen von einer steigenden Militärpräsenz in der Golfregion begleitet. Am 31. Januar berichtete das Wall Street Journal, daß in den vergangenen Monaten die USA und ihre Alliierten ihre militärischen Sicherheitsmaßnahmen drastisch erhöht haben »als Antwort auf iranische Raketentests und Teherans andauernde Herausforderung der internationalen Bemühungen, das iranische Nuklearprogramm einzudämmen«. Die erfolgten Maßnahmen beinhalteten »Aufrüstung, die Beschaffung von US-hergestellten Patriot-Raketenabwehr-Systemen und die Ergänzung um fortschriftliche Radaranlagen für Luft- und Raketenabwehr«. Das Blatt meldete, das obwohl »die Aufrüstung schon seit Jahren anläuft (...), der Anstieg dieser Bewegungen in die Zeit fällt, in der die Obama-Administration ihre Rhetorik gegen Teheran verschärft hat«.
  • Laut einem Reuters-Bericht vom 1.Februar »haben die Vereinigten Staaten land- und seegestützte Raketenabwehrsysteme im ganzen Golf ausgedehnt, um der steigenden Raketengefahr Irans entgegenzutreten. (...) Der Vorsitzende des US-Generalstabs, Admiral Mike Mullen, sagte vergangenen Monat, daß das Pentagon militärische Optionen bereithalten müsse für den Fall, daß Obama diese abberufe.«
  • Und schließlich hat die andauernde innerpolitische Krise in Iran anscheinend dazu geführt, daß einige westliche Antikriegsaktivisten und -organisationen die Notwendigkeit, sich westlicher Aggressionen gegen das Land entgegenzustellen, mit einer gewissen Ambivalenz begegnen. Unabhängig davon, wie Aktivisten Irans interne Situation sehen, müssen wir uns einig darüber sein, daß Druck und Einmischung von außen abzulehnen sind. Dies anerkennend, hat die iranische Opposition westliche Staaten angemahnt, sich aus den inneren Angelegenheiten Irans rauszuhalten. Wie auch der Präsidentschaftskandidat Mir Hossein Mussawi formulierte, sind die Iraner »gegen jegliche Art von Sanktionen gegen unser Volk. Dafür steht der grüne Weg.« (Statement Nr.13, 28.September 2009) Kein wirklich progressiver Demokratieaktivist eines Landes, das Zielscheibe der USA ist, würde jemals selbige um Unterstützung bitten.
Einfluß auf US-Regierung

Die politischen Positionen, die von westlichen Antikriegsaktivisten eingenommen werden, können zu einem reellen Faktor in der strategischen Entscheidungsfindung der US-Regierung und ihrer Allierten werden. Wir begrüßen, daß in den Vereinigten Staaten die »National Assembly to End the Iraq and Afghanistan Wars and Occupations« (Nationalversammlung zur Beendigung von Krieg und Besatzung in Irak und Afghanistan) und das Bündnis »ANSWER« den Slogan »Kein Krieg oder Sanktionen gegen Iran!« mit auf ihre Flugblätter für die Antikriegsmärsche am 20. März genommen haben. Wir rufen alle anderen Vereinigungen, Organisationen und einzelne Aktivisten auf, das gleiche zu tun und fordern desweiteren »Keine äußere Einmischung in Irans interne Angelegenheiten! Selbstbestimmung für das iranische Volk!«

Ungeachtet der bestehenden Unterschiede in unseren politischen Analysen und Standpunkten sollten diese Forderungen tragbar für all diejenigen sein, die sich um Frieden, Gerechtigkeit und eine bessere Welt für alle bemühen.

* Aus: junge Welt, 24. März 2010


An appeal to anti-war organizations & activists to oppose the increasing threats against Iran

March 2010

Around the world, anti-war activists are preparing for major protests this spring to oppose the continuing U.S.-led occupations of Iraq and Afghanistan. Meanwhile, a storm of developments is dramatically increasing tensions between the United States and the Islamic Republic of Iran. In response, the Campaign Against Sanctions and Military Intervention in Iran (CASMII) is issuing this appeal to the anti-war movements in the United States, United Kingdom and other countries to raise the demands of "No war, no sanctions, no internal interference in Iran!"

Iran is a country that hasn't attacked a neighbor in more than 200 years. Even when Saddam Hussein invaded Iran after the 1979 Revolution and, with support from the West, used chemical weapons against both civilians and combatants, the Islamic Republic did not retaliate in kind. And yet the U.S. government claims that Iran represents a serious threat to the Middle East region and the entire world. Without a shred of evidence, the U.S. charges that Iran's program to develop nuclear power for peaceful energy purposes is just a cover to develop nuclear weapons. Never mentioned is the fact that, as a signatory to the U.N.'s Nuclear Non-Proliferation Treaty, Iran's right to develop nuclear energy is enshrined in international law. Just a few months ago, the U.N's International Atomic Energy Chief, Mohammed ElBardai, the person responsible for monitoring compliance with that treaty, stated that "Nobody is sitting in Iran today developing nuclear weapons. Tehran doesn't have an ongoing nuclear weapons program. But somehow, everyone in the West is talking about how Iran's nuclear program is the greatest threat to the world." (Interview with the Bulletin of the Atomic Scientists, Sept. 2009) Instead, warning of world disaster if Iran should succeed in its imaginary goal of obtaining nuclear arms, Washington argues that Iran must be forcefully brought to its knees, through a combination of increasingly crippling sanctions, taking advantage of Iran's internal divisions and preparing for a possible military attack.

Consider these recent developments:
  • The U.S has been pressuring the permanent members of the U.N. Security Council to impose a fourth and more severe round of sanctions against Iran. The only real holdout has been the People's Republic of China, which in January held the council's revolving presidency. On Feb. 1, however, the president's seat passed to France, which is nearly as hostile to Iran's nuclear program as is the U.S. (France itself, by the way, relies on nuclear power for 80 percent of its own energy needs.) The Security Council's permanent members, including China and Russia, have never been a real barrier for the US. Not only has the council already approved three rounds of sanctions against Iran, but the Obama Administration is now talking of "bypassing" the U.N. in its latest push for sanctions. While sanctions are often promoted as an alternative to war, the world now knows that the sanctions imposed by the U.N. against Iraq during the first Persian Gulf War resulted in the deaths of up to 1.5 million Iraqis, a third of them children.
  • Not content with just pressuring the U.N., the U.S. is pushing ahead with plans for more of its own unilateral sanctions. Congress is getting close to passing the Dodd-Shelby Comprehensive Iran Sanctions, Accountability, and Divestment Act. Among other provisions, this bipartisan bill would "impose new sanctions on entities involved in exporting certain refined petroleum products to Iran or building Iran's domestic refining capacity." This provision starkly exposes the real U.S. goal: to economically cripple Iran in an attempt to so complicate life for the Iranian people that they might demand a "regime change." In the past, the U.S. has argued that Iran doesn't need to develop nuclear power because of its vast oil reserves, while conveniently omitting the fact that Iran doesn't have sufficient refinery capacity to meet its energy needs through oil alone. Targeting companies and countries that sell refined petroleum products to Iran, or that help Iran expand its own refining capacity, shows that the real goal has nothing to do with countering nuclear proliferation. (The U.S. even pressures European countries not to provide Iran with the means to develop wind energy!) Those who desire hegemony over the oil-rich Middle East can tolerate no independent regional powers, whether or not they present a threat to any other country. This reality was dramatically demonstrated in 1953, when the CIA toppled Iran's democratically elected prime minister, Dr. Mohammad Mosaddegh, for the "crime" of nationalizing Iran's oil industry.
  • Meanwhile, these threats of new sanctions are being accompanied by a military build-up in the Persian Gulf region. On Jan. 31, The Wall Street Journal reported that, in recent months, the U.S. and its Persian Gulf allies have stepped up their military defenses "in response to Iranian missile tests and Tehran's continued defiance of international efforts to curtail its nuclear program." The moves have included "upgrades, new purchases of American-made Patriot antimissile batteries and the addition of advanced air- and missile-defense radars ...." The Journal reported that, although "some of the buildup has been going on for years ... the heightened profile of the moves comes as the Obama administration has toughened its rhetoric against Tehran."
  • And, according to a Feb. 1 Reuters report, "The United States has expanded land- and sea-based missile defense systems in and around the Gulf to counter what it sees as Iran's growing missile threat .... The deployments include expanded land-based Patriot defensive missile installations in Kuwait, Qatar, UAE and Bahrain, as well as Navy ships with missile defense systems in and around the Mediterranean, officials said. ... The chairman of the U.S. military's Joint Chiefs of Staff, Admiral Mike Mullen, said last month the Pentagon must have military options ready to counter Iran should Obama call for them."
  • Finally, Iran's ongoing internal political crisis has apparently led some Western anti-war organizations and activists to be ambivalent about the need to stand against Western aggression against Iran. Regardless of how activists view Iran's internal situation, we all must agree that outside pressure and interference must be opposed. Recognizing this, Iran's political opposition has urged Western countries to stay out of Iran's internal affairs. As presidential opposition candidate Mir Hossein Mousavi, has put it, "We are opposed to any types of sanctions against our nation. This is what living the Green Path means." (Statement No. 13, Sept. 28, 2009) No truly progressive democracy activist in a country targeted by the U.S. would appeal to the U.S. for support.
The political positions taken by anti-war activists in the West can become a real factor in strategic decisions made by the U.S. government and its allies. Because of this, we are heartened to see that in the United States the National Assembly to End the Iraq and Afghanistan Wars and Occupations and the ANSWER Coalition have added the demand of "No War or Sanctions Against Iran!" to their fliers promoting national anti-war protests on March 20. We call on all other coalitions, organizations and individual activists to do the same, and to further demand "No Outside Interference in Iran's Internal Affairs! Self-determination for the Iranian People!"

Regardless of differences in our political analyses and views, these demands should be acceptable to all who struggle for peace, justice and a better world for all.

This appeal has been initiated by the Campaign Against Sanctions and Military Intervention in Iran (CASMII); www.campaigniran.org


Zurück zur Seite "Ostermarsch 2010"

Zur Seite "Friedensbewegung"

Zur Iran-Seite

Zurück zur Homepage