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Die Bundeswehr muss raus aus Afghanistan! Die NATO muss aufgelöst werden!

Rede von Sevim Dagdelen (MdB) beim Ostermarsch Ruhr 2010 in Bochum-Wattenscheid *

Liebe Freundinnen und Freunde des Friedens, Liebe Anwesende,

in den letzten zwei Tagen haben wir es wieder bitter vor Augen geführt bekommen. In Afghanistan wird Krieg geführt und Deutschland ist mittendrinnen. Vorgestern kamen drei Bundeswehrsoldaten "im Gefecht" –wie es heisst- um. Gestern töteten Bundeswehrsoldaten "aus Versehen" –wie es heisst- fünf afghanische Soldaten. Wir wollen, dass dieser Krieg beendet wird und, dass das Töten und getötet werden endlich aufhört. Deshalb fordern wir den sofortigen Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan und die Beendigung aller deutschen Unterstützungsleistungen für ISAF und OEF! Damit dieser Krieg ein rasches Ende findet! Kundus ist überall.

Liebe Freundinnen und Freunde, wofür wird dieser Krieg geführt?

Wir haben viele Begründungen gehört, die allesamt infame Lügen waren. Es hieß, man wolle mittels Krieg die Frauen befreien und Demokratie bringen. -Als wenn das Töten von Menschen das Retten von Menschen sei. Als wäre das Bomben von Menschen das Befreien von Menschen. Mittlerweile ist klar, dass man in Afghanistan dabei ist, eine Diktatur zu errichten, in der Kriegsverbrecher, Drogenbarone und Warlords das Sagen haben. Dass die ungebrochene Unterdrückung der Frauen mittlerweile verschärft wird durch die Vergewaltigungen und die allgemeine Unsicherheit; die Kriege und internationale Besatzungen mit sich bringen. Dass viele afghanischen Frauen immer noch die Burka tragen, nun aber ihre Männer und Söhne verloren haben und in den Trümmern ihrer Häuser sitzen. Jetzt heißt es, man müsse in Afghanistan bleiben und die Truppen sogar noch aufstocken, um einen Bürgerkrieg zu verhindern. Dabei herrscht in Afghanistan schon Bürgerkrieg und wird durch Deutschland und die NATO immer weiter angeheizt.

Die NATO und Deutschland bilden hunderttausende junger Männer in Afghanistan an der Waffe aus und erklären sie zu Soldaten und Polizisten. Sie schicken diese Menschen ins Gefecht, die nicht einmal Lesen oder Schreiben können. Selbst die Gewerkschaft der Polizei will keine Polizei mehr in den Krieg und für den Krieg in Afghanistan ausbilden. Die Desertionsquote bei dieser Ausbildung in Afghanistan liegt bei 40%. Oft nehmen die ausgebildeten afghanischen Sicherheitskräfte noch ihre Waffen und Uniformen mit. Das heißt die NATO und Deutschland bilden auch noch ihre eigenen Gegner aus. Finanziert aus deutschen Entwicklungshilfegeldern. Das nennt man dann „zivilen Wiederaufbau". Es gibt keinen zivilen Aufbau! Wer davon spricht der lügt doch einfach nur! Deutschland und die NATO bauen Milizen auf und paktieren mit diesen. Sie bezahlen Warlords für den Schutz ihrer Feldlager und den sicheren Transport ihrer Ausrüstung.

Sagen wir NEIN zur Legende vom zivilen Wiederaufbau. Die Polizeiausbildung gehört schlicht zur Kriegsführung. Das ist die Realität, die aus gutem Grund Merkel, Westerwelle aber auch SPD und GRÜNE einfach verschweigen. Und wer nun noch immer von „Abzugsperspektive" schwafelt -will doch nur Sand in unsere Augen streuen. Im afghanischen Bürgerkrieg sollen mehr Afghanen Afghanen töten. Nichts anderes ist unter der „Afghanisierung des Krieges" und unter der neuen NATO-Strategie zu verstehen. Sagen wir NEIN zu diesen zynischen und mörderischen Kriegsspielen. Statt einer Afghanisierung des Krieges brauchen wir eine Afghanisierung des Friedens!

Liebe Freundinnen und Freunde, wofür wird dieser Krieg nun wirklich geführt, von dem mittlerweile alle wissen, dass er nicht gewonnen werden kann?

Er wird geführt für den Fortbestand der NATO. Er wird darum geführt, dass die NATO auch weiterhin „glaubwürdig" ist. Dass die NATO auch weiterhin „glaubwürdig" drohen kann, die Vorherrschaft des Westens notfalls auch mit der Waffe aufrecht zu erhalten und durchzusetzen. Liebe Freundinnen und Freunde, wir können nicht akzeptieren, dass für solch abscheuliche Ziele afghanische Männer, Frauen und Kinder sterben müssen. Wir können auch nicht akzeptieren, dass für solche Ziele deutsche, amerikanische und nepalesische Soldaten sterben müssen. Wir werden nicht akzeptieren, dass für solche Ziele Krieg geführt wird. Die Bundeswehr muss raus aus Afghanistan! Die NATO muss aufgelöst werden. 2010 04 04 Ostermarsch Ruhr in Bochum-Wattenscheid Unter den Teilnehmern auch Peter Strutynski vom Bundesausschuss Friedensratschlag

Liebe Freundinnen und Freunde, wie wird dieser Krieg geführt?

Letzte Woche wurden einige Zahlen veröffentlicht. Auch nach den geschönten Rechnungen der Bundesregierung hat der Afghanistankrieg über eine Milliarde Euro gekostet. Die USA haben in Irak und Afghanistan mittlerweile über 5.000 Soldaten verloren. Doch die Hauptlast des Krieges trägt natürlich die Bevölkerung in Afghanistan. Die UN-Mission in Afghanistan hat allein 2009 2.500 zivile Opfer registriert; doch diese Zahl ist viel zu niedrig. Durch den Krieg leiden die Menschen an Unterernährung und sterben Kinder an vermeidbaren Krankheiten. Auch die zahlreichen Söldner der NATO sind in diesen Zahlen nicht enthalten. Und alleine von den sogenannten afghanischen Polizisten sollen im vergangenen Jahr 1.500 ums Leben gekommen sein.

Neben dieser „Afghanisierung des Krieges" besteht die NATO-Strategie vor allem in gezielten Tötungen. Gezielte Tötungen durch unbemannte Flugzeuge werden von den USA in Afghanistan und am angrenzenden Pakistan mit zahlreichen zivilen Opfern angewandt. Auch das von Oberst Klein formulierte Ziel des Bombenangriffs vom 4. September 2009 bei Kundus bestand darin, möglichst viele der Aufständischen zu „vernichten". Dass ein deutscher Soldat wieder die „Vernichtung" von Menschen anordnet, sollte allein schon Grund für Deutschland sein, seine Truppen sofort abzuziehen und in sich zu gehen, wie es so weit kommen konnte!

Ihr seht, dieser Krieg – obwohl er von einer überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt wird – hat Deutschland verändert. In Deutschland wurde der Quasi-Verteidigungsfall ausgerufen, der Bundeswehreinsatz im Inneren vorbereitet. Im Schatten von selbstverursachtem Krieg und Terror arbeiten deutsche Geheimdienste, deutsche Polizei und die Bundeswehr im In- und Ausland wieder eng zusammen. Die Siegermächte des zweiten Weltkrieges hatten dies in ihrem alliierten Polizeibrief als Bedingung für einen neuen deutschen Staat für immer untersagt, damit es nie wieder zu einer Machtkonzentration wie im Reichssicherheitshauptamt kommen könne. Heute haben wir das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum, Nacktscanner und – nach wie vor – die Vorratsdatenspeicherung. Wir wissen, dass diese Totalüberwachung mit dem Krieg in Afghanistan zusammenhängt und wir lehnen diese Totalüberwachung ab! Wir sagen NEIN zur Aggression nach außen sowie nach innen! Die Lehre aus dem Deutschen Faschismus war Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!

Doch auch in anderer Hinsicht hat sich Deutschland durch den Afghanistankrieg verändert. Denn die Bundesregierung und die Bundeswehr müssen sich immer stärker um die Akzeptanz und die RekrutInnen für diesen und andere Kriege bemühen. Unterstützung erhält sie dabei von der deutschen Wirtschaft, die versucht, dieses Ansinnen im Rahmen des Celler Trialogs – initiiert von Commerzbank und der ersten Panzerdivision des Heeres – zu unterstützen. Dass die Bundeswehr Stiftungsproffessuren an Universitäten unterhält, angehende Lehrer in „politischer Bildung" schult und selbst Jugendoffiziere auf Ausbildungsmessen und in die Klassenzimmer schickt ist unerträglich. Die Bundeswehr hat an Universitäten und Schulen nichts zu suchen. Nehmt Eure blutverschmierten Hände von unseren Kindern!

Und liebe Freundinnen und Freunde, in diesen Tagen hat die Kriegspropaganda nicht nur in Afghanistan Konjunktur. Gegenwärtig drohen die USA und Israel unverhohlen mit einem Militärschlag gegen den Iran. Hunderttausende Tote drohen bei einem Angriff auf den Iran. Der nächste Schritt für einen solchen Angriff sind die aktuell von Deutschland, der EU, USA und Israel geforderten härteren Sanktionen. Die Abgeordneten der Grünen, SPD, FDP und CDU/CSU im Bundestag signalisieren bei jeder Gelegenheit ihre Unterstützung für die Sanktionen und einen Angriff. Sie beteiligen sich an den Lügen und der Dämonisierung des Iran. Wer sich anschaut wie im bezug auf den Iran gelogen wird, dass sich die Balken biegen, der kann sich nur an die Vorzeit des Irakkriegs erinnern. Wir erinnern uns an Collin Powells tolldreiste Show im UN-Sicherheitsrat mit den „weapons of mass destruction" – immer schärfere Sanktionen bis zum völkerrechtswidrigen Krieg. Saddam Huessein, der neue Hitler. Und jetzt der Iran.

Die Gefahr eines weiteren Krieges im Nahen Osten und eines Flächenbrandes ist akut und wir müssen bei jeder Gelegenheit klar stellen, dass es einen solchen Krieg mit uns nicht geben wird. Wir müssen NEIN sagen zu dieser Kriegspropaganda. Wir sagen NEIN zu ihren Kriegslügen Frau Merkel und Herr Westerwelle! Wir haben genug von ihren Fabriken der Wirklichkeit! Sie haben uns nicht mehr als Krieg und Elend zu bieten.

Liebe Freundinnen und Freunde,

Alle Umfragen -nicht nur in Deutschland- zeigen, die Bevölkerung lässt sich nicht beirren. Die Ablehnung gegen Krieg steht. Die Skepsis wächst bei vielen. Sie glauben nicht mehr, dass wir Demokratie und Frauenrechte am Hindukusch verteidigen, während die Bundesregierung eine monarchistische Diktatur in Saudi-Arabien hochrüstet und beste Handelsbeziehungen mit diesen pflegt, wo Frauen noch nicht einmal Autofahren dürfen. Viele glauben ihnen nicht mehr. Der Undemokrat Niebel sollte statt mehr Rückhalt für den Krieg einzufordern, den Willen der Mehrheit der Bevölkerung respektieren und endlich die Konsequenzen ziehen!

Also, Stehen wir auf! So wie heute.

Sorgen wir dafür, dass es mehr werden, die ihnen und ihren Kriegslügen nicht glauben.

Krieg bedeutet Zerstörung und Tod. Krieg bedeutet Angst und Gewalt. Krieg bedeutet Elend und Flucht. Er bedeutet Vernichtung von Umwelt, Natur und menschlichen Lebensgrundlagen. So darf es nicht mehr weitergehen. Wir müssen statt in immer mehr Krieg, endlich anfangen in den Frieden zu investieren liebe Freundinnen und Freunde.

Der Krieg in Afghanistan muss sofort beendet werden.

Die Bundeswehr muss raus aus Afghanistan!

Ich danke für eure Aufmerksamkeit.

* Am Ostersonntag, 4. April 2010; unkorrigiertes Manuskript


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