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"Abwrackung aller Massenvernichtungswaffen"

Rede von Ralph Lange bei Ostermarsch 2009 in Biberach

"Ein Thema, das ganz entscheidend für die Sicherheit der Nationen ist und für den Frieden in der Welt, ist die Zukunft der Atomwaffen im 21. Jahrhundert. Die Existenz Tausender von Atomwaffen ist das gefährlichste Erbe des Kalten Krieges. (...) Der Kalte Krieg ist zu Ende gegangen. Und Tausende dieser Waffen existieren weiter. Es ist eine seltsame Wendung der Geschichte: Die Gefahr eines weltweiten Atomkrieges hat sich verringert, das Risiko eines atomaren Angriffs ist gestiegen. (...) Einige sagen, dass sich die Verbreitung dieser Waffen nicht stoppen lässt, sich nicht kontrollieren lässt, dass wir das Schicksal akzeptieren müssen, wo immer mehr Menschen und Völker diese schrecklichen Vernichtungswaffen besitzen. Ein solcher Fatalismus wäre ein tödlicher Gegner. (...) Wir traten im 20. Jahrhundert für die Freiheit ein. Jetzt müssen wir zusammen eintreten für das Recht aller Menschen und überall, frei und ohne Furcht im 21. Jahrhundert zu leben."

Sehr geehrte Damen und Herren,

der soeben zitierte Text stammt nicht aus einem Aufruf der Friedensbewegung zu einem der vielen diesjährigen Ostermärsche. Die Zeilen stammen - Sie ahnen es - aus der Prager Rede des US-Präsidenten Obama vom vergangenen Sonntag.

Schon im kommenden Jahr möchte Obama offiziell die Ratifizierung des atomaren Teststopp-Abkommens einleiten und drängt auf die Unterzeichnung des 1968 geschlossenen Atomwaffensperrvertrages. Bislang weigerten sich die US-Amerikaner beharrlich, dem Vertrag beizutreten und lieferten damit anderen Staaten wie Indien, Pakistan, Nordkorea und Israel einen weiteren Vorwand, atomare Waffen zu entwickeln. Welch ein Wandel der US-Politik innerhalb weniger Monate.

Sie können sich vorstellen, dass die in Prag formulierten Ziele Obamas mit großer Sympathie auf Seiten der Friedensbewegung aufgenommen wurden. Auch ist es richtig, dass Außenminister Steinmeier schon in den nächsten Wochen mit den USA Gespräche über die in Deutschland stationierten Atomwaffen führen möchte.

Und dennoch: In seinem ersten Haushaltsentwurf als US-Präsident plant Barack Obama 534 Milliarden US-Dollar für Rüstung und Militär ein. In dieser Zahl sind die Mittel für den Irak- und Afghanistan-Krieg sowie für die nukleare Rüstung nicht enthalten. Zählt man alles zusammen, geben die USA in diesem Jahr 4,6 Prozent ihres Inlandsprodukts für das Militär aus - mehr als im letzten Amtsjahr von George Bush und mehr als jemals zuvor seit dem Zweiten Weltkrieg. Seit 2001 sind die jährlichen Ausgaben um etwa 50 Prozent gestiegen und entsprechen inzwischen knapp der Hälfte dessen, was die Welt insgesamt für Kriege und Militär aufwendet. Und das in Zeiten einer weltweiten Rezession. Starökonom Joseph Stiglitz berechnete in einer Anhörung des Wirtschaftsausschusses im US-Kongress im vergangenen Jahr Kosten von drei Billionen Dollar allein für den Irak-Krieg. Der Wirtschaftsausschuss selbst spricht in einem Gutachten von "nur" 1,3 Billionen Dollar.

Seit Beginn der Wirtschaftskrise sind wir es ja gewohnt, mit hohen Geldsummen zu rechnen. Dennoch einige Vergleiche und Rechenbeispiele zum besseren Verständnis: Das als gigantisch bezeichnete Konjunkturpaket der US-Regierung umfasst Investitionen in der Höhe von 787 Milliarden Dollar. Unser bundesdeutsches Konjunkturpaket II sieht Ausgaben in Höhe von ca. 66 Milliarden Dollar vor. Mit den vorsichtig geschätzten 1,3 Billiarden Dollar für den Irak-Krieg könnte man alle 42 Millionen PKW der Bundesrepublik Deutschland abwracken und den Besitzern eine Prämie von 23 557 Euro ausbezahlen - ein freilich nicht ernst gemeinter Vorschlag. Ökonomisch und sicherheitspolitisch sinnvoller wäre sicher das Abwracken exorbitant teurer Waffensysteme inklusive aller Massenvernichtungswaffen.

Machen wir uns aber nichts vor: Trotz aller Einsicht, dass ein Umdenken in sicherheitspolitischen Fragen notwendig ist, gibt es eine mächtige Lobby im Wirtschaft und Politik, die am alten Kurs festhalten möchte. Schon zaghafte Versuche Obamas, seinen gestiegenen Militärhaushalt etwas umzugestalten, riefen Widerstand - auch in seiner eigenen Partei - hervor. Schließlich wird an der Rüstung kräftig verdient. Das wissen wir in der Bundesrepublik als drittgrößter Waffenexporteur der Welt allzu gut. Bei den Rüstungsausgaben liegt unsere Bundesrepublik Deutschland nach einer Aufstellung des renommierten Stockholmer SIPRI Instituts mit Rüstungsausgaben von 23,7 Milliarden Euro jährlich auf dem sechsten Platz weltweit.

So ist es fast schon konsequent, wenn in Zeiten der Wirtschaftskrise rund 500 Millionen Euro der Konjunkturhilfe nach Plänen der Bundesregierung für Rüstungsausgaben verwendet werden. Einem Bericht der "Financial Times" (FT) zufolge plant die Große Koalition demnach, das Geld unter anderem "für Maschinengewehre, Militärfahrzeuge und Unterwasser-Minensuchgerät" auszugeben.

Das Motto unserer heutigen Mahnwache heißt Brücken bauen. Ich denke hier an Brücken zwischen verfeindeten Volksgruppen, zwischen verfeindeten Nationen, zwischen den reichen und den armen Ländern unserer Erde.

Alle fünf Sekunden stirbt ein Kind unter zehn Jahren an Hunger. Geschätzte 860 Millionen Menschen - jeder sechste auf unserem Planeten - sind schwer und dauerhaft unterernährt.

Alle zentralen Probleme auf unserer Erde - Hunger, Klimakatastrophe, soziale Ungerechtigkeit, militärische Bedrohungen, Kriege und Krisen sind nur gemeinsam zu lösen. Wir sollen nicht nur Brücken bauen - wir müssen Brücken bauen, um diese Probleme zu lösen.

Zeiten der Krise sind auch Chancen für ein tiefgreifendes Umdenken, um diese Probleme zu bewältigen. Ich bin immer wieder erstaunt, in welch kurzer Zeit Milliarden für Konjunkturmaßnahmen bewilligt wurden. Vor einem Jahr wären wir als Spinner und Verrückte ausgelacht worden, hätten wir 55 Milliarden Euro-Mehrausgaben im Haushalt gefordert. Eine solche Dynamik wünsche ich mir seit Jahren auch im Bereich der Sicherheits-, Entwicklungs- oder Umweltpolitik.

Ein Umdenken auf diesen Handlungsfeldern begann in den 1980er Jahren durch die sozialen Bewegungen wie der Umwelt- oder der Friedensbewegung. Es ist ermutigend, dass Ideen von damals inzwischen auch von politisch Verantwortlichen als richtig erkannt wurden. Diese Kräfte müssen wir von unten unterstützen. Dafür lohnt es sich zu arbeiten, in Parteien, in Gewerkschaften, in Kirchengemeinden, in Bürgerinitiativen, im Biberacher Friedensbündnis.

Arbeiten wir dafür, dass die noch existierenden 10.200 Atomsprengköpfe, die biologischen und chemischen Massenvernichtungswaffen Geschichte werden.

Arbeiten wir dafür, dass Militärbündnisse wie die NATO sechzig Jahre nach ihrer Gründung durch zivile Bündnisse ersetzt werden, die Sicherheit für alle schaffen.

Arbeiten wir dafür, dass globale Bedrohungen wie die Klimakatastrophe abgewendet und Hunger und soziale Ungerechtigkeit durch einen globalen New Deal beseitigt werden.

Bei aller Vorsicht möchte ich hier nochmals aus Barack Obamas Prager Rede zitieren: "Ich bin nicht naiv. Das Ziel wird sich nicht rasch erreichen lassen. Vielleicht auch nicht in der Zeit meines Lebens. Es wird Geduld und Beharrlichkeit erfordern. Aber jetzt müssen wir die Stimmen jener ignorieren, die sagen, dass die Welt sich nicht ändern kann."

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.


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