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Die Ostermärsche gehen auf die 50 zu

Berichte zu den Aktionen der Friedensbewegung 2009 - und ein Interview mit Andreas Buro

Im Folgenden dokumentieren wir:


Dem Krieg den Marsch blasen

Ostermärsche in 70 Städten / Afghanistan und atomare Abrüstung als Themenschwerpunkte

Von Reimar Paul *


Nach dem NATO-Gipfel in Baden-Baden, Kehl und Straßburg steht mit dem Ostermarsch ein weiterer Pflichttermin der Friedensbewegung vor der Tür.

Die Bilanz von Baden-Baden und Straßburg fällt durchwachsen aus: Zu den Demonstrationen gegen den NATO-Gipfel kamen weniger Menschen als von den Organisatoren erwartet. Und das Abfackeln von Gebäuden stieß nicht überall in der Friedensbewegung auf Begeisterung. Mit den Ostermärschen an diesem Wochenende will die Friedensbewegung ihre Positionen und Forderungen erneut auf die Straße tragen. Nach Angaben des Bonner Netzwerks Friedenskooperative und des Bundesausschusses Friedensratschlag sind in mehr als 70 Städten Demonstrationen, Mahnwachen und Kundgebungen geplant.

Die meisten Aktionen sind für heute und morgen angekündigt. In Braunschweig und anderen Städten planen Friedensgruppen Fahrrad-Demonstrationen. Heute beginnen auch die traditionellen Ostermärsche durch dass Rheinland und das Ruhrgebiet. Im thüringischen und niedersächsischen Eichsfeld treffen sich Ostermarschierer an der früheren deutsch-deutschen Grenze zu einer Kundgebung.

Hauptthemen der diesjährigen Ostermärsche sind der Nahostkonflikt, atomare Abrüstung, der Krieg in Afghanistan sowie die NATO. Diese gehört spätestens seit 1991 aufgelöst, nachdem ihr mit der Auflösung des Warschauer Vertrags der äußere Feind abhanden gekommen sei, heißt es in mehreren Aufrufen. Ihre Umwandlung in ein global agierendes Interventionsbündnis wird ebenso kritisiert wie der von ihr stimulierte gigantische Rüstungswettlauf: 70 Prozent der 1,3 Billionen US-Dollar, die das Militär weltweit pro Jahr ausgibt, gehen auf das Konto der NATO-Staaten«, so der Friedensratschlag. »Ein Bruchteil des Geldes würde ausreichen, die ehrgeizigen Entwicklungsziele der UNO wie z. B. die Halbierung der Armut bis 2015 zu erreichen.«

Scharf wird insbesondere die NATO-Mission in Afghanistan kritisiert. Mehrere Aufrufe stellen diesen Krieg als ein Desaster und als Katastrophe für das Land dar. Die angeblich neue Strategie des Bündnisses werde »als Rohrkrepierer enden«, weil sie daran festhalte, den Krieg militärisch zu gewinnen. Sicher habe US-Präsident Barack Obama in vielen Punkten mit der bornierten Politik der Bush-Administration gebrochen, so das Netzwerk Friedenskooperative: »An einer weltweit für ihre Interessen Krieg führenden NATO und einer Ausweitung des Kriegs in Afghanistan hält er fest.«

An mehreren Orten rücken die Ostermarschierer regionale oder lokale Themen in den Blickpunkt. Im brandenburgischen Wittstock hält die Bundeswehr trotz starker Proteste aus der Bevölkerung und gegen mehrere Gerichtsurteile an der Wiederinbetriebnahme eines Bombenabwurfplatzes fest. Auf dem 140 Quadratkilometer großen »Bombodrom« sollen Kampfflugzeuge Luft-Boden-Angriffe üben. Die Demonstration gegen das »Bombodrom« ist seit Jahren der am besten besuchte Ostermarsch.

Eine Prognose über die Beteiligung an den diesjährigen Ostermärschen wagen die Organisatoren nicht. »Die Erwartungen, was die Teilnehmerzahlen betrifft, bewegen sich in etwa auf dem Niveau vergangener Jahre«, heißt es beim Friedensratschlag. Man rechne »weder mit Einbrüchen noch mit spektakulären Höhenflügen«. 2007 und 2008 demonstrierten nach Angaben des Frankfurter Ostermarschbüros jeweils einige zehntausend Menschen.

Die Ostermarsch-Bewegung entstand vor 50 Jahren in Großbritannien, die erste Demonstration führte am 7. April 1958 von London zur Atomforschungsanlage Aldermaston. In der Bundesrepublik gab es 1960 den ersten Ostermarsch. Einige hundert Demonstranten protestierten damals gegen den Truppenübungsplatz Bergen-Hohne in Niedersachsen.

* Aus: Neues Deutschland, 11. April 2009


Acker im Hunsrück als Friedenssymbol

Vor 25 Jahren stellte die Friedensbewegung 96 Kreuze gegen Atomraketen auf

Von Dieter Junker **


Vor 25 Jahren machten Friedensaktivisten im Hunsrück mit einer spektakulären Aktion auf sich aufmerksam: Gegen die Stationierung von Atomraketen in der Region errichten sie 96 Holzkreuze – für jede Rakete eins.

Der stumme Protest begann vor 25 Jahren: Zu Ostern 1984 errichtete die Friedensbewegung 96 Holzkreuze an der Hunsrückhöhenstraße. Jahrelang ragten sie wie Mahnmale in den Himmel – als Zeichen des Protests gegen die NATO-Nachrüstung und gegen die Stationierung von Marschflugkörpern in der Region. Aus einem schlichten Acker wurde ein Friedenssymbol. Jedes der 96 Kreuze stand dabei für eine von 96 atomaren Mittelstreckenraketen. Zur Erinnerung und als Mahnung blieben drei Kreuze bis heute stehen.

»Als Theologe beeindruckte mich immer wieder die Symbolkraft dieses Ackers«, sagt Clemens Ronnefeldt aus Freising. Der heutige Referent für Friedensfragen beim Internationalen Versöhnungsbund unterstützte damals die Hunsrücker Friedensbewegung. Für August Dahl waren die Kreuze »ein Zeichen des Lebens und der Hoffnung gegen den Tod, wie die Kreuze auf unseren christlichen Friedhöfen«.

Der ehemalige Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Bell, zu der sowohl der Friedensacker als auch das Stationierungsgelände der Marschflugkörper gehörten, und seine Frau Jutta zählen zu den Protagonisten jener Zeit. Jutta Dahl wurde für ihren Friedenseinsatz 1988 mit dem ersten Aachener Friedenspreis ausgezeichnet.

Anfang der achtziger Jahre wurde bekannt, dass im Hunsrück 96 Cruise Missiles als Folge des NATO-Doppelbeschlusses stationiert werden sollten. Der Bundestag stimmte 1983 nach heftigen Debatten der Nachrüstung zu. Mit den 96 Kreuzen wollte die Friedensbewegung ein dauerhaftes Zeichen des Protests gegen die in unmittelbarer Nähe der Orte Bell und Hasselbach vorgesehene Stationierung der Atomraketen setzen. Zum ersten rheinland-pfälzischen Ostermarsch, der 1984 im Hunsrück stattfand, wurden die ersten Kreuze aufgestellt.

Der kleine Hunsrückort Bell entwickelte sich in diesen Jahren zu einem Zentrum des Widerstands gegen die Nachrüstung, das Kreuz wurde zu einem Symbol der Friedensbewegung. Neben den 96 Kreuzen an der Bundesstraße wurde auch ein großes Friedenskreuz am Haupttor zum Stationierungsort aufgestellt. Zusätzlich stellte der Aktionskünstler Bernhard Eitelgörge zahlreiche Kreuze an Hunsrücker Straßen auf.

Waren die Kreuze an der Hunsrückhöhenstraße für die Friedensbewegung ein Zeichen der Mahnung und des Protestes, so wurden sie für andere zum Ärgernis. Insgesamt 18 Mal wurden sie herausgerissen, abgesägt oder zerstört. Immer wieder richteten Mitglieder der Friedensbewegung sie neu auf. »Das war manchmal schon frustrierend, und viele überlegten sich, ob wir die Kreuze nicht mit einem Zaun sichern sollten«, erinnert sich Jutta Dahl. »Doch schnell wurde uns klar, dass wir dann dasselbe machen würden wie das Militär, das seine Einrichtungen einzäunt.«

Viele Hunsrücker, aber auch Gruppen und Verbände aus dem ganzen Bundesgebiet übernahmen Patenschaften für ein Kreuz. Vor einer Großdemonstration am 11. Oktober 1986 mit über 200 000 Teilnehmern waren Bürger, Gemeinden, Friedensgruppen und ökumenische Arbeitskreise aufgerufen, für kurze Zeit ein Kreuz vom Friedensacker zu sich zu holen.

Im Dezember 1987 beschlossen die USA und die Sowjetunion nach langen Abrüstungsverhandlungen die Vernichtung aller landgestützten Raketen kürzerer und mittlerer Reichweite. Im Hunsrück stellte sich damit die Frage nach der Zukunft des Friedensackers. Die Friedensinitiative entschied sich im Sommer 1993 dafür, die Kreuze zu entfernen und lediglich drei von ihnen als Mahnung und Erinnerung stehen zu lassen. Sie sollen eine Aufforderung sein, nicht nachzulassen im Einsatz »gegen den atomaren Wahnsinn, für Frieden und Gerechtigkeit«. epd

** Aus: Neues Deutschland, 11. April 2009


"Ein Kaleidoskop unterschiedlicher Kräfte"

Andreas Buro über Ostermärsche damals und heute, über nukleare Abrüstung und Barack Obama

ND: Herr Buro, Sie waren 1960 Mitinitiator des ersten Ostermarsches. Wie war damals die Haltung der Bevölkerung zum außenpolitischen Kurs Konrad Adenauers, in dessen Regierungszeit die Bundeswehr gegründet wurde?

Buro: Der Anfang zur Hochzeit des Kalten Krieges war schwer. Wir sind in kleinen Gruppen von Braunschweig – etwa 24 Leute – drei Tage bis nach Bergen-Hohne marschiert. Die Kampagne »Kampf dem Atomtod« gegen die Ausrüstung der neu gegründeten Bundeswehr mit Nuklearwaffen wurde damals von der SPD praktisch liquidiert. Wir haben diese Haltung gegen Atomwaffen aufgenommen und konnten in den sechziger Jahren eine erhebliche Unterstützung bei den Menschen erreichen.

Dennoch verfolgte Adenauer die Aufrüstung. Warum?

Er hatte die Absicht, die Gleichstellung der Bundesrepublik zu den anderen NATO-Ländern zu erreichen. Außerdem wollte er staatliche Souveränität aushandeln. Adenauer hat energisch eine Bewaffnung der Bundesrepublik mit Atomwaffen von den Amerikanern gefordert.

Ende der 60er Jahre gingen 300 000 Friedensbewegte zu Ostern auf die Straße. 1983 waren es sogar 700 000. Teilnehmerzahlen, die heute längst nicht mehr erreicht werden. Ist der Ostermarsch ein Relikt aus vergangener Zeit?

Wir müssen unterscheiden: In den sechziger Jahren waren die Ostermärsche/Kampagne für Demokratie und Abrüstung die außerparlamentarischen Opposition, die sich nicht nur zu Ostern engagierte. Diese Bewegung wurde 1969 aufgelöst, da viele mit der Regierung Brandt auf eine neue Politik der Entspannung hofften und sich nun für eine demokratische Reformpolitik einsetzen wollten. Erst mit dem NATO-Doppelbeschlusses 1979 gab es eine Wiedergeburt der Friedensbewegung. Durch die Stationierung von Mittelstreckenraketen fühlten sich die Menschen in Deutschland unmittelbar zutiefst bedroht. Das ist heute nicht mehr der Fall.

Die Friedensbewegung begann mit der Kampagne »Kampf dem Atomtod« sich Ende der 50er Jahre zu formieren. US-Präsident Barack Obama spricht von der Abschaffung der Kernwaffen weltweit. Wie realistisch ist heute eine atomwaffenfreie Welt?

Ich begrüße, dass Obama dieses Ziel nennt, nehme aber nicht an, dass es in absehbarer Zeit erreicht wird. Obama bringt vermutlich nur eine Rüstungskontrollpolitik in Gang und beachtet hoffentlich stärker als sein Vorgänger internationales Recht. Das Streben nach militärischer Überlegenheit der USA und der NATO wird hingegen von ihm nicht beendet, worauf bereits die Umrüstungsankündigungen seines Verteidigungsministers Gates hinweisen.

Noch immer sind in der Bundesrepublik US-amerikanische Nuklearraketen stationiert. Wieso?

Das kann niemand beantworten. Die Bundesregierung gibt dazu keine Auskunft. Deshalb ist es wichtig, Obama jetzt beim Wort zu nehmen und einen zügigen Abzug der Atomwaffen aus der Bundesrepublik zu fordern. Die Bundesregierung muss auch die nukleare Teilhabe, also die Unterhaltung von Trägersystemen für Atomwaffen, schleunigst aufgeben.

Die Ostermarschbewegung war anfangs von Pazifisten dominiert. Heute gehen Kommunisten, Teile der Kirche und Grüne gemeinsam auf die Straße. Gehen die eigentlich pazifistischen Ziele der Ostermärsche dadurch verloren?

Schon seit den sechziger Jahren gibt es diese Pluralität. Die Ostermarschbewegung war immer ein Kaleidoskop unterschiedlichster Kräfte. Pazifistische und antimilitaristische Elemente aus der Arbeiterbewegung haben sich verständigen können. Im Laufe der Jahrzehnte hat sich der pazifistische Flügel verstärkt.

Seit Jahren demonstriert die Friedensbewegung für einen Abzug der Besatzer vom Hindukusch. Die Truppen vor Ort werden jedoch nicht abgezogen, sondern weiter verstärkt. Zeigt dieser Trend nicht, wie machtlos die Friedensbewegung heute ist?

Die Friedensbewegung hat Macht in einem realpolitischen Sinne niemals gehabt. Aufklärung und Bewusstseinsveränderung in der Gesellschaft waren ihre wichtigsten Aufgaben. Hier hat sie viel geleistet. Sie hat aber fast nie die Regierenden zu einer grundsätzlichen friedenspolitischen Kursänderung veranlassen können. Obama setzt in Afghanistan weitgehend die bisherige US-Politik fort. Sie wird ergänzt durch einen verstärkten Polizei- und Militäraufbau, durch etwas mehr Entwicklungshilfe und eine internationale Einbindung der Nachbarstaaten. Sie ist jedoch nach wie vor nicht auf Frieden und Aussöhnung, sondern auf die Zerschlagung des afghanischen Widerstands ausgerichtet. So wird dieser Krieg uns noch lange beschäftigen.

Fragen: Christian Klemm

*** Aus: Neues Deutschland, 11. April 2009


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