Wir sehen „das Blut in den Straßen“, aber wie überwinden wir unsere Schwäche?
Rede von Rolf Becker (Hamburg) beim Ostermarsch 2009 in Kassel
Und eines Morgens war alles in Flammen,
und eines Morgens brachen Feuerstöße
aus der Erde
und verschlangen Leben,
und von da an Feuer,
Pulver von da an,
und von da an Blut.
Banditen mit Flugzeugen
kamen vom Himmel, um Kinder zu töten;
und in den Straßen das Blut von Kindern:
es floss einfach so, wie Blut von Kindern.
Aber aus jedem toten Kind wird ein Gewehr mit Augen,
aus jedem Verbrechen werden Kugeln geboren.
Ihr werdet fragen, warum meine Dichtung
uns nichts vom Traum erzählt, von den Blättern,
den großen Vulkanen meines Ursprungslandes?
Kommt und seht das Blut in den Straßen,
kommt und seht
das Blut in den Straßen,
kommt und seht das Blut
in den Straßen!
Liebe Friedensfreunde, Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Genossinnen und Genossen –
die eben zitierten Zeilen sind aus Pablo Nerudas Gedicht ICH ERKLÄRE EINIGE DINGE, geschrieben angesichts der Schrecken des Spanischen Bürgerkriegs von 1936 bis 1939 – des faschistischen Terrors gegen das republikanische Spanien durch die Milizen der Franco-Generäle, unterstützt von der deutschen Wehrmacht. Sie sind leider übertragbar auf die Kriege – ich beschränke mich auf das letzte Jahrzehnt – die wir seit 1999 erleben: Jugoslawien, Afghanistan, Irak, Gaza – sämtlich geführt unter direkter oder indirekter Beteiligung Deutschlands. Der Einwand, die Bundesregierung habe den Angriff auf Gaza doch lediglich gebilligt, überzeugt nicht: Billigung ist nur eine besondere Form der Beteiligung. Aber zu Gaza später.
Keinen Widerspruch dürfte es unter uns geben in der grundsätzlichen Ablehnung von Kriegen. Der moralische Protest eint uns. Schwieriger wird es, wenn es um die Verständigung über die politischen Zusammenhänge geht und die Konsequenzen, die sich daraus für gemeinsames Handeln ergeben. Ich will versuchen mich diesen Fragen anzunähern.
Wir haben die genannten Kriege nicht verhindern können. Wir waren, trotz aller Bemühungen, zu schwach. Wir sind zu schwach.
Jugoslawien:
Als sich die Bundesrepublik Deutschland 1999 am Nato-Überfall auf die bis dahin sozialistische Föderation und damit am ersten Angriffskrieg seit 1939, dem Beginn des 2. Weltkriegs, beteiligte, wurde der Protest dagegen nur von wenigen geteilt. Der Propaganda von Regierung und Medien ließ weder die Friedensbewegung noch kapitalismuskritische Parteien und Gruppierungen unbeeindruckt. Das Ja zum Krieg seitens des DGB blieb weitgehend unwidersprochen. Bis heute, zehn Jahre danach, ist es gewerkschaftlich weder thematisiert, geschweige denn aufgearbeitet worden. Dabei bestünde mehr als Anlass dazu: war es doch seit der Bewilligung der Kriegskredite 1914, die den 1. Weltkrieg überhaupt erst möglich machten, das zweite Ja zu einem Krieg in der Geschichte deutscher Gewerkschaften. Solange wir hier nicht ansetzen und für die Masse der Beschäftigten endlich Klarheit schaffen, wird unser Protest nicht wirksam werden, nicht zum Widerstand, der die Absichten der Herren über Leben und Tod zunichte machen kann. Ein drittes Ja deutscher Gewerkschaftsführungen zu einem Krieg darf es nicht geben.
Der Jugoslawienkrieg wurde, wie es der Journalist Otto Köhler auf den Punkt gebracht hat, zum „Gründungsmythos der Berliner Republik“. Der Sozialdemokrat Gerhard Schröder hatte als Kanzler bereits am 19. April 1999 in seiner Regierungserklärung das Kriegsgeschehen des Balkan-Überfalls als einen "Gründungsakt für Europa" bezeichnet und eine "neue deutsche Verantwortung" in der Welt postuliert. Dieser Mythos, der mit Hilfe der Medien kaum noch hinterfragtes Allgemeingut geworden ist, muss von uns zerstört, der Wahrheit, die mit den Lügen der Herren Schröder, Fischer und Scharping mit Füßen getreten, und dem Recht, das durch diesen Krieg vielfach gebrochen wurde, wieder Geltung verschafft werden. Zu begrüßen ist in diesem Zusammenhang, wenn auch mit der genannten Einschränkung, dass wir heute hier gemeinsam mit GEW und ver.di demonstrieren können.
Dem Nato-Krieg, der zur Zerschlagung Jugoslawiens führte, kommt über das bereits Genannte besondere Bedeutung zu:
(1) Heutige Kriegsführung ist in der Regel zunächst gegen die Bevölkerung des jeweils angegriffenen Landes gerichtet und erst zuletzt gegen Militär. Zwar sind die ferngesteuerten Angriffe aus der Luft, mit Präzisionswaffen wie Raketen und Cruise Missiles nicht vergleichbar mit den Flächenbombardements des zweiten Weltkriegs; durch das „punktgenaue" Bombardieren ist die Zahl der direkten Opfer geringer. Aber was wird bombardiert oder mit ferngesteuerten Raketen angegriffen – und wie wirkt sich das aus? Wir, eine Gruppe von zehn Gewerkschaftskolleginnen und -Kollegen, die im Mai 1999, also während der letzten Phase des Krieges unter dem Motto „Dialog von unten statt Bomben von oben“ für eine Woche in Serbien waren, können es aufgrund eigener Erfahrungen berichten: Elektrizitäts- und Wasserwerke, Bahnanlagen, Straßen, Brücken, Telefonnetze, Radio- und Fernsehstationen, Industrieanlagen - vor allem Chemieproduktion und Raffinerien. Die Nervenstränge des öffentlichen Lebens - zerstört. Die Folge: hohe Zahlen indirekter Opfer. „Kollateralschäden“, wie es heißt. Was können Ärzte in Krankenhäusern noch leisten, die ohne Strom und Wasser sind, in denen Medikamente wie Insulin wegen mangelnder Kühlung nicht mehr benutzbar sind? Wie soll sich eine Arbeiterfamilie mit Kindern in den oberen Stockwerken eines Wohnblocks helfen, ohne Aufzüge und nachdem die Vorräte in den Kühlschränken verfault sind? Nehmt Kassel, drei Tage nur, ohne Wasser, Strom und Gas, dazu abgeschnitten von jeglicher Information – was wäre die Folge? In Serbien und im Kosovo – nach wie vor einer Provinz Serbiens, trotz der völkerrechtswidrigen und gegen die Beschlüsse der UNO erfolgten Anerkennung durch die Bundesregierung – waren es 78 Tage. Punktgenau vernichtet: über 300 Schulen und Universitäten, sogar mehrere Krankenhäuser, darunter die Entbindungsstation des Belgrader Krankenhaus Dr. Dragisa Misovic am Bulevar Mira, dem Friedensboulevard, begründet mit der Annahme, sie seien militärisch genutzt worden. Punktgenau auch die Treffer der Splitterbomben auf dem Marktplatz von Nis zur Einkaufszeit. Punktgenau der Angriff auf die Brücke in Varvarin. Kein Terror? Dank deshalb an dieser stelle für alles, was die Kasseler Initiative „Sieben Brücken“ seit dem Krieg für die Kinder des beim Angriff auf den Belgrader Fernsehsender ums Leben gekommenen Kollegen mit monatlichen Beiträgen zu ihrer Ausbildung leistet. Frank Skischus wird noch ausführlich darauf eingehen.
(2) Beim Krieg gegen Jugoslawien ging es so wenig wie beim Krieg gegen Afghanistan und den Irak um die Durchsetzung von Freiheit und Demokratie, oder die Beseitigung von Milosevic, Osama Bin Laden und Saddam Hussein. Als wir nach unserer Rückkehr aus Serbien 1999 darauf hinwiesen, dass nicht die angestrebte Kontrolle über die Balkanregion eine ausreichende Erklärung für den Nato-Überfall sei, sondern dass der Krieg die Voraussetzung sei für einen Aufmarsch gegen den Nahen Osten und in der Weiterung gegen Russland und China, wurden wir nur von wenigen verstanden. Heute stellt sich die Frage deutlicher. Die Einkreisung Russlands und Chinas kann auch von bürgerlichen Medien nicht mehr negiert werden: Osterweiterung, Raketenstationierung in Polen und, von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, seitens der Bundesregierung die Intensivierung der wirtschaftlichen und militärischen Zusammenarbeit mit der Mongolei, deren Ministerpräsident vor wenigen Tagen Staatsgast in Berlin war.
Afghanistan:
Der Feldzug geht mittlerweile ins achte Jahr – und weitet sich aus. Amerikanische wie deutsche Truppeneinheiten werden verstärkt statt abgezogen. Auch Obama muss einräumen, dass der Verlauf des Krieges zur Entscheidungsfrage für die weitere geopolitische Strategie der USA wie über die Weiterexistenz der Nato werden kann. Dass die übergroße Mehrheit der Bevölkerung in der Bundesrepublik gegen eine weitere Beteiligung am Krieg ist, lässt die Berliner Regierung unbeeindruckt.
Irak:
Auch wenn die US-Truppen teilweise abgezogen und nach Afghanistan verlegt werden sollen, auch hier gilt: „Der Feldzug ist noch nicht zuend“ (Brecht). Die Bewegung gegen diesen, wieder mit Lügen begründeten und gegen Völkerrecht und UNO-Beschlüsse geführten opferreichen Krieg war weltweit und einzigartig in der Geschichte der Friedensbewegung – verhindern konnten wir ihn nicht.
Gaza:
Das Entsetzen über den Einmarsch und das Vorgehen der israelischen Armee ist weltweit – weltweit und hierzulande noch größer allerdings die Ratlosigkeit, wie dem zu begegnen ist. Die Gleichsetzung jeglicher Kritik an der Regierung des Staates Israel mit Antisemitismus, deren einschüchternde Wirkung beabsichtigt ist, hat Desorientierung bis in Parteien und Gruppierungen der Linken zur Folge. Wir sollten uns dadurch weder beirren noch unsere Sprache verbieten lassen, sondern weiterhin Klartext reden. Klartext wie vor Jahren schon Erich Fried mit seinem „Höre Israel“, Klartext wie Uri Avnery in seinen regelmäßig auch auf deutsch erscheinenden Kommentaren und Moshe Zuckermann in seinem neuen Buch „60 Jahre Israel“, Klartext an der Seite der israelischen Friedensbewegung und der israelischen Kriegsverweigerer. Unsere Kritik ist Kritik bestehender Klassenverhältnisse und Kritik imperialistischer Politik. Sie orientiert sich, bezogen auf Israel und Palästina an den Beschlüssen der Vereinten Nationen, die, würden sie umgesetzt, die Existenz Israels wirksamer und dauerhafter sichern würden als Siedlungsbau und Waffengänge.
Zur vorläufigen Bilanz des Krieges anhand der Angaben der Vereinten Nationen, israelischer und internationaler Presse wie „The Independent“, zitiert aus Noman Paechs Untersuchung „Gaza und das Völkerrecht vom 2. Februar 2009:
„Nach Angaben der UN vom 19. Januar 2009 wurden 1340 Palästinenserinnen und Palästinenser getötet, darunter 460 Kinder und 106 Frauen. 5320 Menschen wurden verletzt, darunter 1855 Kinder, wobei ein Großteil der Verletzungen schwerwiegend ist. Die Zahlen dürften inzwischen noch gestiegen sein. Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass es sich bei der Hälfte aller Todesopfer um Zivilisten handelt. 90.000 Menschen wurden aus ihrem Zuhause vertrieben. Auf Israels Seite gab es 13 Todesopfer, davon vier Zivilisten, und 183 Verletzte.
Bis zum 15.Januar 2009 flog die israelische Luftwaffe allein 2360 Angriffe, israelische Panzereinheiten stießen bis in die Städte Gaza, Chan Junis und Rafah vor, die israelische Marine nahm den Gaza-Streifen von See aus unter Feuer. Aber nicht nur die vielen Toten und Verwundeten sind zu beklagen. Etwa 15 Prozent aller Gebäude im Gazastreifen sind zerstört oder schwer getroffen, über 4100 Wohnhäuser, rund 1500 Betriebe und Werkstätten und 20 Moscheen – auch hier dürften die Zahlen inzwischen deutlich höher liegen.
Das UN-Büro für die Koordinierung Humanitärer Angelegenheiten schrieb bereits am 8. Januar 2009 in seinem wöchentlichen Bericht: »Es gibt keinen sicheren Ort im Gazastreifen – keine sichere Zuflucht, keinen Bunker, und die Grenzen sind geschlossen, Zivilisten haben keinen Ort zum Fliehen.« Auf einer Fläche von 365 Quadratkilometern (oder: etwa 35 x 10km), nicht halb so groß wie Hamburg, drängen sich 1,5 Millionen Menschen (Hamburg: 1,7 Millionen). In dieser Situation blieb den Bewohnern kaum eine Fluchtalternative, wenn sie von der israelischen Seite aufgefordert wurden, ihre Häuser zu verlassen, weil diese anschließend bombardiert würden.“ Soviel zu den bisher bekannten Tatsachen.
Aufgrund des bisher Ausgeführten wäre es unaufrichtig von mir, wenn ich meinen Einwand an einer – meines Erachtens wesentlichen – Forderung im Aufrufs zu unserer heutigen Kundgebung nicht hier vor Euch aussprechen würde: Die Forderung im Aufruf lautet: „alle Waffenlieferungen an die Kontrahenten im Konfliktgebiet einzustellen“. Sie unterstellt unausgesprochen
-
es stünden sich mit Israel und den Palästinensern zwei jedenfalls annähernd gleichwertige „Kontrahenten“ gegenüber. Das Gegenteil ist der Fall: Israel gehört zu den militärisch stärksten Staaten der Welt, die palästinensische Bevölkerung im Gaza-Streifen hat außer geschmuggelten Waffen nichts als ihren Willen zu Widerstand.
- Waffenlieferungen gibt es nur an Israel, jährlich in Milliardenhöhe, und bereits auch schon wieder nach dem Angriff auf Gaza. Beim Waffenschmuggel der Palästinenser von Lieferungen zu sprechen, wäre nicht nur sprachlich eine Verdrehung.
- Die Forderung, den Waffenschmuggel für die Palästinenser zu unterbinden, wurde außer von der israelischen Staatsführung bereits mehrfach von der Bundesregierung erhoben – wir müssen sie nicht wiederholen.
Entsprechend meine Bitte an das Kasseler Forum für Frieden und die den Aufruf unterstützenden Organisationen: überprüft, was Euch veranlasst hat die Zeile zu schreiben und zu veröffentlichen. Bedenkt, dass der vor wenigen Tagen zum Außenminister Israels aufgestiegene Avigdor Lieberman unmittelbar nach seiner Ernennung programmatisch erklärt hat „Si vis pacem, para bellum“ – übersetzt lautet das lateinische Sprichwort, dessen er sich bediente: „Wenn du Frieden willst, führe Krieg.“ Wenn wir demgegenüber nicht eindeutig Stellung beziehen, machen wir uns politisch überflüssig. Und bedenkt, bitte bedenkt die eingangs zitierten Worte Nerudas:
„Aus jedem toten Kind wird ein Gewehr mit Augen,
aus jedem Verbrechen werden Kugeln geboren.“
Zur Frage „Krieg und Frieden“ unter den besonderen Bedingungen der gegenwärtigen Weltwirtschaftskrise: Bereits 2003, wenige Tage vor Beginn des Irak-Krieges hat die schottische Schriftstellerin A. L. Kennedy die internationale Friedensbewegung an Folgendes zu erinnern:
"Am kommenden Wochenende werden nun wahrscheinlich zwei Kriege wüten – ein unnötiger Krieg in den Städten und auf den Ölfeldern des Irak, ein zweiter, länger andauernder bei uns zu Hause und überall auf der Welt. Dieser Krieg wird ein Kampf zwischen kommerziellen Interessen und der Durchsetzung weltweiter Gerechtigkeit sein, zwischen der Zukunft unseres Planeten und dem Drang, Konsumentenkredite und selbstmörderischen Konsum zu steigern, zwischen Demokratie auf der einen, Bigotterie, Angst und Neid auf der anderen Seite…Der zweite, der unsichtbare Krieg wird darüber entscheiden, ob wir noch Hoffnung auf ein Überleben haben dürfen."
Krieg wird immer an zwei Fronten geführt: außen und im Inneren – entsprechend müssen wir an beiden Fronten Widerstand leisten.
Die derzeitige wirtschaftliche und soziale Krise droht sich zu einer politischen auszuweiten– in eine Krise der bürgerlichen Herrschaft überhaupt. Die Verwirrung in den parlamentarischen Vertretungen der herrschenden Klasse ist ablesbar aus ihren widersprüchlichen Erklärungen – ob in den USA oder in Europa. Sie betrifft, anders als in der Weltwirtschaftkrise 1928-1933, nicht nur einige, sondern sämtliche Industrienationen. Das Abwälzen der Lasten auf die Bevölkerungen – Privatisierung der Gewinne, Sozialisierung der kaum noch bezifferbaren Verluste – betrifft sämtliche Industrienationen und weit darüber hinaus die von der Rohstoffproduktion abhängigen Länder der sogenannten 3. Welt.
„Wodurch überwindet die Bourgeoisie die Krisen?“ Die Antwort von Marx und Engels auf die in ihrem kommunistischen Manifest selbst gestellte Frage lautet: „Einerseits durch die erzwungene Vernichtung einer Masse von Produktivkräften; anderseits durch die Eroberung neuer Märkte und die gründlichere Ausbeutung alter Märkte. Wodurch also? Dadurch, dass sie allseitigere und gewaltigere Krisen vorbereitet und die Mittel, den Krisen vorzubeugen, vermindert. “ Die „Vernichtung einer Masse von Produktivkräften“ wird mittlerweile zur Alltagserfahrung. „Die gründlichere Ausbeutung alter Märkte“ mit den entsprechenden Konsequenzen für die soziale Lage der Bevölkerungsmasse bahnt sich an. Ebenfalls die „Eroberung neuer Märkte“ durch Fortsetzung und Ausweitung der bereits geführten und durch neue Kriege – auf die Einkreisung Russlands und Chinas habe ich eingangs bereits hingewiesen. Bertolt Brecht: „Die Kapitalisten wollen keinen Krieg. Sie müssen ihn wollen.“
Wir sehen „das Blut in den Straßen“, aber wie überwinden wir unsere Schwäche? Wie finden wir den Weg von moralischer Aufbegehren und Protest zum politischen Widerstand? In das Kriegsgeschehen an den Fronten im Irak, in Afghanistan oder wo auch immer können wir nicht eingreifen. Nur hier, bei uns zuhause. Nur im konkreten Widerstand gegen die Abwälzung der Krisenfolgen auf die Bevölkerung werden wir zusammenfinden. „Wir zahlen nicht für Eure Krise“ – die Forderung muss zur Voraussetzung zunächst gewerkschaftlicher Politik werden: Was sind Gewerkschaften noch wert, wenn sie mittragen, was sie überflüssig machen würde? Sie sollte Maßstab werden auch für Parteien, die proklamieren, Interessen der arbeitenden und arbeitslosen Bevölkerung zu vertreten. Widerstand gegen weitere soziale Einschnitte, Verteidigung der ohnehin schon abgesenkten Standards. Widerstand vor allem auch im Namen unserer Kinder, die um Bildung, Ausbildung, Arbeit und Perspektiven fürs Leben betrogen werden! Wir müssen uns enger zusammenschließen, vor allem in der täglichen Kleinarbeit. Gegen Sozialabbau, für Frieden und Völkerverständigung.
Bertolt Brecht, aus „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“, geschrieben 1931, während der damaligen Weltwirtschaftkrise:
Denn es ist eine Kluft zwischen oben und unten, größer als
Zwischen dem Berg Himalaja und dem Meer
Und was oben vorgeht
Erfährt man unten nicht
Und nicht oben, was unten vorgeht
Und es sind zwei Sprachen oben und unten
Und zwei Maße zu messen
Und was Menschengesicht trägt
Kennt sich nicht mehr.
Die aber unten sind, werden unten gehalten
Damit die oben sind, oben bleiben.
Und der Oberen Niedrigkeit ist ohne Maß
Und auch wenn sie besser werden, so hülfe es
Doch nichts, denn ohnegleichen ist
Das System, das sie gemacht haben:
Ausbeutung und Unordnung,
tierisch und also
Unverständlich.
Unsere Lage ist schlecht. Wir sind schwach. Aber lassen wir uns nicht entmutigen bei der Suche nach dem Ausweg. Wir können ihn finden, unsere Schwäche überwinden, die Widersprüche unter uns lösen, wenn wir ansetzen im Konkreten. Und uns nicht scheuen die Eigentumsfrage zu stellen. Die Gegenseite, Unternehmer und Regierung, stellt sie seit Jahren. Stellt sie nicht nur, sondern praktiziert sie durch Umverteilung. Bertolt Brechts "Es wechseln die Zeiten" – der Text liest sich neu unter den veränderten weltpolitischen Vorzeichen:
Es wechseln die Zeiten. Die riesigen Pläne
Der Mächtigen kommen am Ende zum Halt.
Und gehn sie einher auch wie blutige Hähne
Es wechseln die Zeiten, da hilft kein' Gewalt.
Am Grunde der Moldau wandern die Steine.
Es liegen drei Kaiser begraben in Prag.
Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine.
Die Nacht hat zwölf Stunden, dann kommt schon der Tag.
Rolf Becker, Cusco (Peru), 2.–10. April 2009
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