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"Menschen sind gestorben"

Dr. Arno Weber, Nürnberger Friedensforum, beim Ostermarsch 2002 in Nürnberg

Wir dokumentieren die folgende Ostermarschrede in der uns übermittelten Fassung.


Menschen sind gestorben

Am 11. September 2001 mußten in New York unschuldige Menschen leiden und sterben bei zwei der schrecklichsten Terroranschlägen in der Geschichte der Zivilisation.
Sprachlosigkeit, Entsetzen und Angst beherrschen seitdem die Welt.

Menschen sind gestorben

In den Dörfern und Städten Afghanistans mußten unschuldige Menschen flüchten, leiden und sterben durch die Bomben im Rahmen der sogenannten Terrorismusbekämpfung.
Die Zahl der zivilen Opfer in Afghanistan ist inzwischen genauso hoch wie in New York, weder sind die Terroristen erfolgreich bezwungen noch Frieden und Menschenrechte in Afghanistan eingekehrt, wie bereits meine Vorredner erwähnten.

Menschen sterben

In Israel werden Menschen verletzt und sterben in den Bussen und Hotelempfängen, weil sich dort Fanatiker selbst und ihre Umgebung in die Luft sprengen.

Menschen sterben

In Palästina werden Menschen verletzt und sterben, weil das benachbarte Land kein anderes politisches Mittel mehr kennt, als das der Gewalt, der Mündungsrohre, der Raketenabschußanlagen und der Vergeltung.
Die Dreistigkeit des israelischen Vorgehens, einfach ständig in die Autonomiegebiete einzudringen und den Präsidenten faktisch festzusetzen und damit auch gegen UNO Statuten zu verstoßen hat inzwischen jede Schamgrenze überschritten.

Menschen sterben

George Bush sprach von dem Krieg der Guten gegen das Böse. Ich frage: Wo sind hier die Guten?
Den Menschen die gestorben sind, ist es egal, ob die Bombe, die sie zerfetzte, von kriminellen Terroristen stammte oder die tödliche Kugel durch staatlich lizensierte Soldaten abgeschossen wurde.
George Bush sprach von einem Kriegsjahr.
Ich freue mich, daß Ihr heute gekommen seid, um hier in Nürnberg, gemeinsam mit vielen anderen Friedensbewegten in Deutschland zu sagen: Nein! Wir wollen kein Jahr des Tötens, des Sterbens und des Mordens

Die Bundesregierung unter Gerhard Schröder und Joschka Fischer sprechen von der "uneingeschränkten Solidarität" Deutschlands mit Amerika. Sie haben dabei nicht in meinen Namen gesprochen.
Solidarität mit den Opfern vom 11. September - ja

Keine Solidarität mit
  • dem Bruch internationaler Abrüstungsverträge wie z.B. zur Atombewaffung oder zur Weltraumbewaffnung
  • der Behinderung der Einrichtung eines internationalen Gerichtshofes
  • der Androhung eines atomaren Schlages gegen Nicht-Atomwaffenstaaten
  • mit den Bruch internationaler Vereinbarungen wie z.B. dem Protokoll von Kyoto
  • mit der Herstellung von Biokampfstoffen wie z.B. Milzbranderreger, die auch noch im eigenen Land zu Terroranschlägen benutzt werden
  • mit public-relation-Kampagnen um den Krieg und die Kriegsziele in eigenem Interesse zu schönen
  • mit dem Herunterspielen der anhaltenden radioaktiver Verseuchung durch Uranmunition in Serbien und Montenegro
    und, und, und ...
Besonders besorgniserregend ist die Liste der sogenannten Schurkenstaaten. Anfang der 80er unterstützten die USA sowohl den Irak als auch den Iran mit Waffen. Mit den Gewinnen wurden wiederum die Söldnertruppen des ehemaligen Diktators Somoza in Nicaragua finanziert.

Iran und Irak stehen mit etlichen anderen Ländern jetzt auf der Schurkenliste, gegen die die USA Krieg führen möchten. Durch wen oder was sind sie denn zu "Schurken" geworden?
Da drängt sich einem der Verdacht auf, es geht gar nicht um die "Schurken", sondern diese Länder sind aus ganz anderen Gründen wichtig.
Ganz nebenbei erfährt man, daß durch Afghanistan Erdöl-Pipelines gebaut werden sollen. Jetzt ist klar, warum die inzwischen abtrünnig gewordenen Taliban durch neue, willfährige Warlords ersetzt werden mußten.

Und es wird einem klar, warum die Menschenrechte in Angola und die Frauenrechte in Nigeria nur von so wenig Interesse sind. Hier sind die wirtschaftlichen Interessen zur Zeit nicht bedroht.

Deutschland will da nicht beiseite stehen.
So erklärte der Wirtschaftsmanager Mosdorf in der Frankfurter Rundschau - ich zitiere - "Wenn wir uns denn schon so stark militärisch engagieren, dann ist es doch klar, daß wir nicht nur die Rücklichter von anderen Wirtschaftsdelegationen sehen wollen."

Ist das der Hintergrund, warum in den verteidigungspolitischen Richtlinien von der - Zitat - "Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu den Märkten und Rohstoffen in aller Welt" - Zitatende - als Aufgabe der Bundeswehr gesprochen wird?

Menschen sterben

Unter dem Deckmantel der Bekämpfung des Terrorismus sind die Hemmungen Kriege zu führen verschwunden. Ob in Afghanistan, Palästina, Tschetschenien, Kurdistan oder anderswo. Kriegsgegnern wird vorgeworfen, den Terror unterstützen zu wollen.
Dabei zeigt die Eskalation der Gewalt im israelisch-palästinensischen Konflikt - seit dem berüchtigten Tempelbergspaziergang - daß mit Vergeltungsschlägen Terrorismus nicht bekämpft werden kann. Die jahrzehntelange Auseinandersetzung in Nordirland mündete in die Erkenntnis, daß es der einzig mögliche Weg ist, sich an den Verhandlungstisch zu setzen.

Sollte nicht viel lieber die Frage gestellt werden, welche Strukturen veranlassen Menschen dazu, bis zum äußersten, d.h. bis hin zur Aufgabe des eigenen Lebens, zu gehen, um andere Menschen dabei mitzureißen.

Wodurch entsteht der Haß auf andere Menschen anderer Länder?

Sind es nicht die weltweite Armut, die ungerechte Ausnutzung der Ressourcen, die Unterstützung korrupter Regime und die geduldete Missachtung der Menschenrechte, solange die eigenen wirtschaftlichen Interessen nicht gefährdet sind, die Konflikte erzeugen oder zumindest verschlimmern?

Wenn Terrorismus effektiv bekämpft werden soll, so muß zu allererst dieser unheilvolle Nährboden beseitigt werden. Dazu gehört es auch keine Waffen mehr in andere Länder zu exportieren.

Der Nobelpreisträger für Ökonomie Joseph Stiglitz fordert die Unterstützung von Staaten, die ihre Militärausgaben drastisch senken wollen, um die Armut besser bekämpfen zu können.
Doch es geschieht das Gegenteil.

In Afghanistan werden die neuen Machthaber massiv mit Waffen aufgerüstet. Die Versorgung der Bevölkerung wäre aber viel wichtiger und würde dem Frieden viel besser dienen. Dies erst recht nach den verheerenden Erdbeben.
Und medizinisch Helfen kann das Internationale Rote Kreuz sowieso besser als die Bundeswehr und das technische Hilfswerk hat sicherlich mehr Erfahrung mit der Beseitigung von Gebäudetrümmern und den Aufbau von Not-Unterkünften.
Das gerade die Helfer aber Gefahr laufen, auf amerikanische Streubomben und die vielen anderen Mienen zu treten, vereinfacht die Lage in Afghanistan nicht gerade. Die Hilfe kommt vielleicht noch in Kabul gut durch, bei den Dörfern ist die Situation nach wie vor katastrophal.

Menschen sind gestorben
Menschen sterben

Treten wir dafür ein, daß in Zukunft Menschen nicht mehr durch Bomben, Pistolen und Raketen leiden und sterben müssen.

Unser Appell an die Vereinigten Staaten:
Hört auf mit diesem Krieg und den militärischen Drohungen

Unser Appell an den Nahen Osten:
Rückzug der israelischen Truppen aus den Autonomiegebieten
Waffenstillstand sofort - Rückkehr zum Verhandlungstisch ohne Vorbedingungen

Unser Appell an Europa
Bindet Euch nicht ein, in die geplanten Kriege - Setzt ein Zeichen und rüstet ab

Unser Appell an die Bundesregierung:
Sofortiger Abzug der Bundeswehr aus den Kriegsgebieten und anderen Teilen der Welt
Keine neuen Einsätze der Bundeswehr
Aktive Unterstützung friedensfördernder Maßnahmen und einer gerechten Weltwirtschaftsordnung
Keine neuen Rüstungsprojekte - stattdessen Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und sozialen Armut
Wiederherstellung der demokratischen Rechte aller Bürger in unserem Land

Heute sind wir gemeinsam, wie in vielen andern deutschen Städten, auf die Straße gegangen. Dies ist ein wichtiger Schritt - er wird aber nicht der einzige bleiben.

Wir wollen:
Kein Kriegsjahr - denn Krieg ist keine Lösung


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