"Krieg und Abbau demokratischer Rechte"
Rede von Hans Hoyer beim Ostermarsch 2002 in Erlangen
Wir dokumentieren die folgende Ostermarschrede in der uns übermittelten Fassung.
Liebe Friedensfreundinnen und -freunde,
ich bin vom Erlanger Bündnis für den Frieden gebeten worden, heute einen
Beitrag zum Thema "Krieg und Abbau demokratischer Rechte" zu halten.
Ich heiße Hans Hoyer und habe eine Vergangenheit im Umgang des Staates
mit meinen und damit Ihren Verfassungsrechten.
1977 erhielt ich von der bayerischen CSU-Regierung Berufs- und
Ausbildungsverbot als Lehrer - weil ich an der Erlanger Universität als
Mitglied im MSB Spartakus und in der DKP Flugblätter unterzeichnet,
Infostände angemeldet oder zum Studentenparlament kandidiert hatte.
Heute arbeite ich im Klinikum am Europakanal als Krankenpfleger. Ich bin
aktives Mitglied in der Gewerkschaft ver.di und im Personalrat des
Klinikums.
Für mein Berufsverbot bin ich bis heute weder rehabilitiert noch sozial
entschädigt worden.
Als ich im November letzten Jahres die Zeitung aufschlug, dachte ich,
bitte nicht schon wieder. In Siegen wurde der Lehrer Bernhard Nolz kurz
nach dem 11. September vom Dienst suspendiert, weil er öffentlich für
den Frieden gesprochen hatte. In den Neuen Bundesländern wurden 2
Lehrerinnen schikaniert bzw. suspendiert, weil sie die "bedingungslose
Solidarität" von Kanzler Schröder mit der Bush-Regierung kritisierten.
In Lüdenscheid wurde dem Türken Metin Serefoglu von der Firma Kostal
fristlos gekündigt, weil er nicht an der betrieblich verordneten
Schweigeminute teilgenommen hatte.
Berufsverbote und Entlassungen aus politischen Gründen haben eine
unselige Tradition. Von den Berufsverboten der Nazis bis zum sogenannten
"Radikalenerlass" vom 28.1. 1972, den der damalige Mitunterzeichner
Bundeskanzler Willy Brandt als einen großen "Irrtum" bezeichnete, bis
zu den Suspendierungen von heute.
In Nürnberg erhielten Mitte der 70er Jahre Heinrich Häberlein, damals
Landesvorsitzender der DFG-VK, Helmut Leonhardt, Gerhard Bitterwolf,
Manfred Lehner-Wendt, Peter Weiß Berufsverbot. Die Staatsbehörden
hielten ihnen vor allem ihr Engagement in der damaligen Friedensbewegung
und ihren Einsatz für die friedliche Koexistenz unterschiedlicher
Gesellschaftssysteme vor.
Bernhard Nolz ist seit dem 6.12. 2001 wieder als Lehrer tätig. Er wurde
an eine andere Schule versetzt - aber nicht rehabilitiert. Heinrich
Häberlein und die anderen genannten sind heute teilweise als Lehrer
tätig. Bis heute sind sie aber weder rehabilitiert noch sozial
entschädigt worden.
Metin Serefoglu, Vater von 4 Kindern, erhielt nach seinem Rausschmiss
eine dreimonatige Sperre des Arbeitslosengeldes. Wie es mit ihm
weitergegangen ist, konnte ich leider nicht in Erfahrung bringen.
An dieser Stelle fordere ich die Rehabilitierung und die materielle
Wiedergutmachung für all die Opfer von Berufsverboten.
Das Grundgesetz garantiert das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung
- auch dann, wenn diese Meinung den Überlegungen der Regierenden
widerspricht. Die aufgeführten "Fälle" zeigen aber, wer nicht "bedingungslos
solidarisch" mit den Kriegstreibern ist, riskiert seinen Job.
Was geschieht seit dem 11.9. mit unseren demokratischen Grundrechten?
Im Krieg stirbt immer die Wahrheit zuerst. Die Freiheit stirbt im Krieg
dann mit Sicherheit.
Unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung wird die Angst benutzt zum
Abbau demokratischer Rechte und Freiheiten in großem Stil.
Wir haben von der SPD-Grünen-Regierung im Bündnis mit der CDU/CSU zwei
sogenannte Sicherheitspakete erhalten, die es in sich haben.
Was vor allem mit dem sogenannten 2. Sicherheitspaket von dieser
Bundesregierung durchgesetzt wurde, trägt nach Burkhard Hirsch (FDP) den
"totalitären Geist".
Martin Kutscha, Berliner Staats- und Verwaltungsrechtler spricht von
"der Nähe zu totalitären Staaten".
Die ehemalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP)
erblickte am Tag der Verabschiedung in verschiedenen Regelungen ein
"deutliches Zeichen auf dem Weg in einen Polizei- und
Überwachungsstaat".
Wovon reden die drei Genannten? Ich kann nur einige wesentliche Aspekte
nennen.
Bundeskriminalamtes BKA:
Die Kompetenzen des Bundeskriminalamtes BKA wurden ausgeweitet. Das Tor
zu verdachtsunabhängigen BKA-Ermittlungen wurde geöffnet. Das BKA kann
jetzt auch Anhänger sogenannter ausländischer "Terror"-Organisationen
verfolgen. Die Zentralstellenfunktion des BKA wurde gestärkt.
Geheimdienste:
Die Geheimdienste werden mit den Polizeibehörden vernetzt. Damit wird
ein rechtspolitisch höchst bedeutsamer Weg weiter beschritten:
Die de-facto-Abschaffung des Trennungsgebotes zwischen Polizei und
Geheimdiensten, das nach dem NS-Faschismus die Entstehung übermächtiger
(weil unkontrollierbarer) Sicherheitsapparate verhindern sollte.
Die Regierung der BRD befreit sich damit von Einschränkungen, die die
Alliierten dem deutschen Rechtssystem nach den Erfahrungen mit der
Gestapo usw. auferlegt hatten.
Der Verfassungsschutz erhält mit der Befugnis zur Kontrolle von
Geldströmen auf Konten de facto den Charakter einer quasi-polizeilichen
Ermittlungsbehörde, freilich ohne irgendeiner justiziellen Kontrolle zu
unterliegen.
Ausländerrecht:
Die ausländerrechtlichen Regelungen wurden drastisch verschärft.
Wer von Ihnen, die sie jetzt hier stehen, einen Ausländer zu sich
einlädt, steht bereits im Fadenkreuz geheimdienstlicher Ausforschungen.
Wer als Flüchtling oder anderer Ausländer zukünftig in die BRD einreist,
wird in vielerlei Hinsicht als potentieller Tatverdächtiger behandelt.
Deutsche Einladende und ausländische Gäste werden grundsätzlich als
potentielle "Verfassungsfeinde" behandelt.
Sämtliche Nichtdeutsche mutieren in den Augen des Gesetzes zu
überwachungsbedürftigen Sicherheitsrisiken.
Rassistische Parolen gehören schon lange wieder zum Alltag in der BRD.
Durch die neuen Programme zur "inneren Sicherheit" wird das
ausländerfeindliche Klima bewusst weiter geschürt.
Auch das Asylrecht wird praktisch aufgehoben.
Mit der Ausweitung der Rasterfahndung und der Regelanfrage zur
Verfassungstreue wollen die Regierenden die Sache abrunden.
Erst vor kurzem wiesen aber zwei Gerichte der zweiten Instanz die
Rasterfahndung, die nach dem 11. September durchgeführt wurde, zurück,
weil es dafür keine rechtliche Grundlage gebe. Es handelt sich dabei um
das Landgericht Berlin (15.1.2002) und das Landgericht Wiesbaden
(6.2.2002)
Heribert Prantl, einer der Herausgeber der Süddeutschen Zeitung schreibt
am 15.12.2001 dort:
" Der Geist des Präventionsstaates sieht so aus:
Jeder Bürger ist potenziell gefährlich;
es muss also erst einmal festgestellt werden, dass er konkret nicht
gefährlich ist - er muss sich also entsprechende Überprüfungen gefallen
lassen. Bisher war dies umgekehrt.
Man nannte das Rechtsstaat."
Das tückische an diesem Abbau von Rechtsstaatlichkeit ist, Sie spüren
ihn in der Regel nicht sofort.
Deshalb kann die Nürnberger Nachrichten am 4.12. 2001 kaum widersprochen
titeln: "Der gläserne Bürger schreckt niemanden mehr."
Mich schreckt der gläserne Bürger.
Wer Krieg nach außen führt, braucht die Friedhofsruhe im eigenen Land.
Da gilt es, jeden Widerstand von vornherein zu unterdrücken. Um dies zu
erreichen, wurde die BRD auf den Weg zum Polizeistaat gebracht.
Die Schily`schen Gesetze sind nicht dazu gemacht, Terroristen zu
enttarnen. Mit der Ideologie von umfassender Sicherheit und Kontrolle
soll das Vertrauen der Bevölkerung in den Staat gesichert werden.
Gesetzlichen Schutz vor Missbrauch ihrer Gesetze haben sie aber
überhaupt nicht vorgehen. Niemand weiß, was mit den Daten geschieht.
Mit den Schily`schen Gesetzen wurde die erkennungsdienstliche Behandlung
zur Standardmaßnahme für jedermann erhoben.
Es ist nicht so, dass wer sich nichts zu Schulden kommen lässt, auch
keine Probleme bekommt.
Die Redlichkeitsvermutung der Bürger als Leitgedanke unserer
Rechtsordnung wurde abgeschafft. Das ist deshalb so bemerkenswert, weil
unter JuristInnen weitgehend anerkannt ist, dass eben dieses Prinzip den
Rechtsstaat vom Polizeistaat unterscheidet.
Es wird ein Boden bereitet, auf dem das Überwachtwerden zur Normalität
für die Menschen zu werden droht. Niemand kann wissen, in welchen
Bereichen er dem allseits präsenten und allseits informierten Staat noch
entgehen kann. Genau dies hat das Bundesverfassungsgericht 1983 aber
als verfassungswidrig gebrandmarkt.
Es wird mit den Gesetzen der Boden bereitet für ein undemokratisches
Staatswesen, in der die Bürgerinnen und Bürger auf heute noch ausgeübte
Freiheitsrechte schlicht verzichten, um nicht die Aufmerksamkeit der
Sicherheitsbehörden zu erregen.
Wer immer noch nicht spurt, soll mit Existenzbedrohung- wie im jüngsten
Berufsverbotsfall Bernhard Nolz demonstriert - eingeschüchtert werden.
Wem nützt der Anschlag? habe ich mich am 11.9. letzten Jahres gefragt
- mal völlig unabhängig davon, wer in nun wirklich ausgeübt hat.
Die Nato-Länder, allen voran die Bush-Regierung wollten ihren Krieg zur
Durchsetzung ihrer Interessen auf dem ganzen Erdball. Dazu brauchen sie
Friedhofsruhe im Inneren.
Die Regierung Schröder/Fischer hat dies verstanden und sie hat
entsprechend gehandelt.
Und so getrauen sich die Nürnberger Nachrichten in einer Überschrift in
ihrer Weihnachtsausgabe 2001 zu schreiben:
"Auslandseinsätze regen niemanden mehr auf".
Da haben sie sich aber getäuscht. Die bisherige Bilanz der diesjährigen
Ostermärsche zeigt dies deutlich und macht mir Hoffnung.
Wer für den Frieden streiten will, der braucht die demokratische Luft
der Freiheit zum Atmen.
Diese Luft wird uns nicht geschenkt. Wir müssen sie uns täglich
erstreiten.
Ich kann leider nicht mit nach Nürnberg fahren. Um viertel nach eins
beginnt meine Spätschicht. Ihnen allen wünsche ich für Nürnberg einen
tollen Ostermarsch.
Danke schön.
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